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In dieser Episode spricht Florian Ulrich Jehn darüber, wie in globalen Katastrophenfällen möglichst viele Menschen ernährt werden können, und darüber, warum Zivilisationen scheitern.
Florian ist Forscher bei der Organisation Alliance to Feed the Earth in Disasters, kurz: ALLFED. Außerdem schreibt er über die Kollapsforschung für seinen Blog Existential Crunch.
Florian und Stephan diskutieren unter anderem:
- Szenarien, die zu einem signifikanten, globalen Einbruch der Lebensmittelproduktion führen könnten, z. B. Nuklearkriege, Supervulkanausbrüche und Solarstürme,
- potenzielle Gegenmaßnahmen bei globalen Hungersnöten, z. B. die Verlagerung von Produktion und Handel, Keulungen, das Einstellen der Produktion von Biokraftstoffen sowie alternative Lebensmittelproduktionsmaßnahmen wie Einzellerproteine und Meeresalgen,
- die Auswirkungen des Klimawandels auf die Nahrungsmittelproduktion, Kipppunkte im Klimasystem und die Veränderung des Fokus der IPCC-Berichte,
- die Ansätze der Kollapsforschung: Grenzen des Wachstums, nicht nachhaltige Komplexitätssteigerungen, statistische Ansätze u. a; das Fallbeispiel des Zusammenbruchs der Bronzezeit,
- wie man interessante Forschungsfragen entwickelt.
Ressourcen
- Zum Thema Ernährungssicherung sind diese Ressourcen ein guter Startpunkt:
- die Website von ALLFED mit vielen Ressourcen und aktueller Forschung
- ein einführender Vortrag von Florian in das Thema
- Famine: A Short History von Cormac Ó Gráda
- Zum Thema Zivilisationskollaps und Kollapsforschung sind zu empfehlen:
- Florians Literaturübersicht zu Kollapsforschung Existential Crunch auf GitHub und Substack
- The Knowledge von Lewis Dartnell, geschrieben als Handlungsführer nach einem globalen Desaster
- Societal Collapse: A literature review von Danilo Brozović
- Andere Podcasts zu den diskutierten Themen sind:
- Fall of Civilizations Podcast
- relevante 80,000 Hours-Folgen: ALLFED-Forscher Sahil Shah und ALLFED-Gründer David Denkenberger über Ernährungssicherung in globalen Katastrophenfällen und Luisa Rodriguez dazu, wie die Welt nach einem Kollaps aussehen könnte
- In Our Time: The Bronze Age Collapse
- Sowohl zu Ernährungssicherung als auch zu Kollapsforschung lässt sich spannende, wichtige Forschung anstellen:
- Über Effective Thesis lassen sich viele interessante, wichtige Forschungsfragen und gute Kontakte finden.
- Das von Florian erwähnte Buch Constructing Research Questions gibt gute Denkanstöße dazu, wie man interessante Forschungsfragen finden kann.
- Das Tool TERRA empfiehlt potentiell relevante Fachartikel im Feld der katastrophalen oder existenziellen Risiken.
- Auf dieser Seite gibt es ein paar Übungen zum Entwickeln eines „guten Geschmacks“ für Forschungsfragen.
- Ein guter Einstieg in die Forschung zu den besprochenen Themen kann das ALLFED-Freiwilligenprogramm sein. Oft lässt sich das mit dem Verfassen einer Bachelor- oder Masterarbeit verbinden.
- Florians Publikationen sind auf ResearchGate gelistet.
- Kontakt zu Florian per E-Mail an florian@allfed.info
Kapitelmarkierungen
[00:00:00] Intro
[00:01:42] Florians berufliche Laufbahn
[00:04:08] ALLFED
[00:06:50] Handel in globalen Katastrophenfällen
[00:10:24] Geschichte von Hungersnöten
[00:22:40] Heutige Risiken: Infrakstrukturverlust und Sonnenlichtsreduktion
[00:40:07] Nahrungsmittelproduktionseinbrüche bei Sonnenlichtsreduktion
[00:47:59] Existierende Puffer im System: Tierhaltung, Biokraftstoffe, Lebensmittelverschwendung
[00:53:34] Wichtigkeit der Fortführung des Welthandels
[01:00:05] Einzellerprotein aus Bioreaktoren
[01:02:58] Umrüstung von Papierfabriken für die Zuckerproduktion
[01:05:33] Sonstige Verwendung von Biomasse
[01:07:47] Meeresalgen
[01:14:24] Individuelle Präventivmaßnahmen
[01:16:09] Auswirkungen des Klimawandels auf die Nahrungsmittelproduktion
[01:18:16] Zunehmender Fokus auf geringe Temperaturanstiege in IPCC-Berichten
[01:23:13] Kipppunkte im Klimasystem
[01:28:59] Kollapsforschung
[01:32:30] Hypothese der mangelnden Tugendhaftigkeit
[01:33:54] Grenzen des Wachstums
[01:38:51] Komplexität
[01:41:37] Statistische Ansätze
[01:44:20] Kollapsmechanismen abhängig von der Art des Systems
[01:51:56] Zusammenbruch der Bronzezeit
[01:58:32] Wiederaufbau nach einer globalen Katastrophe
[02:00:36] Was können wir aus der Geschichte lernen?
[02:02:27] Forschungsmöglichkeiten in der Kollapsforschung
[02:06:04] Interessante Forschungsfragen entwickeln
[02:12:12] Kontaktmöglichkeiten
[02:12:52] Outro
Transkript
[00:00:09] Stephan: Mit dem Umweltwissenschaftler Florian Ulrich Jehn habe ich über Ernährungssicherung in globalen Katastrophenfällen und über die Kollapsforschung gesprochen.
Florian forscht zu Ernährungssicherung im Rahmen seiner Tätigkeit für die Organisation Alliance to Feed the Earth in Disasters, kurz: ALLFED. Über Kollapsforschung, also die Frage, warum Zivilisationen scheitern, schreibt er in seiner von Open Philanthropy finanzierten Literaturübersicht Existential Crunch.
Auch wenn das nicht nach den fröhlichsten Themen klingen mag, ist die gute, wichtige und interessante Nachricht, dass wir mit den richtigen Maßnahmen auch in einem nuklearen oder vulkanischen Winter alle Menschen weiter ernähren könnten. Wie das klappen könnte, erklärt Florian im Gespräch. Wie auch bei dem in einer früheren Folge diskutierten Thema Pandemieprävention bleiben uns also bessere Möglichkeiten, als angesichts großer Herausforderungen verzweifelt die Hände in die Luft zu werfen.
Die Wichtigkeit des akademischen Feldes der Kollapsforschung ist offensichtlich. Auch wenn es noch viel gibt, das wir nicht wissen, sind die existierenden Ansätze spannend und erkenntnisreich. Wie auch im Bereich der Ernährungssicherung lässt sich hier nützliche Forschung anstellen. Auch darauf kommen Florian und ich im Verlauf des Gesprächs zu sprechen. Einige nützliche Ressourcen sind auf der Episodenseite verlinkt.
Ohne weitere Umschweife wünsche ich nun eine bereichernde Hörerfahrung.
[00:01:42] Stephan: Hallo Florian, ich freue mich auf das Gespräch mit dir. Du hast einen ungewöhnlichen Beruf. Du beschäftigst dich mit der Ernährungssicherung in globalen Katastrophenfällen und der Frage, warum Zivilisationen kollabieren. Wie kam es dazu?
[00:01:55] Florian: Ja, also ich glaube, da waren definitiv auch viele Zufälle drin. Also mir halt wirklich Gedanken so ein bisschen darüber zu machen, wo ich mit meiner Karriere hin will, habe ich, glaube ich, erst richtig angefangen in meiner Promotion. Also meine Promotion war auch so ein bisschen so „Hey, der Prof., wo ich meine Masterthesis geschrieben habe, der mag mich, ich finde ihn auch sympathisch, das Thema ist spannend, okay, dann mache ich es einfach hier.” Alles klar. Aber währenddessen, während der Promotion, bin ich dann auch darauf gestoßen, so, ja, das Thema ist schon irgendwie interessant, aber es kommt nicht so richtig viel bei rum, so für die Gesellschaft.
[00:02:34] Stephan: Erklär, was das Thema war.
[00:02:36] Florian: Das Thema waren einfach hydrologische Modelle. Also ich habe mir mehr oder weniger angeguckt oder versucht am Computer nachzubilden, was machen denn Flüsse so den ganzen Tag?
[00:02:46] Stephan: Fließen.
[00:02:48 ] Florian: Ja, unter anderem das. Aber die spannende Frage ist halt „Wie und wo lang und wie lange dauert das?” Das ist an sich schon ein cooles Thema, aber Hydrologie ist auch ein Feld, was es halt schon seit 150 Jahren in einer ähnlichen Form wie heute gibt. Und Modellierung machen wir auch schon seit Jahrzehnten. Dementsprechend ist halt jede Sache, die man da macht, halt normalerweise nur ein sehr inkrementeller Wissensgewinn. Und es ist auch wichtig, dass da Leute dran arbeiten, aber ich finde es immer spannender, wenn ich mich einfach mit größeren Fragen beschäftigen kann.
[00:03:23] Stephan: Und dann bist du über deinen jetzigen Arbeitgeber ALLFED gestolpert?
[00:03:28] Florian: Nee, ich bin über Effective Thesis auf ALLFED gestolpert. Also Effective Thesis ist eine Organisation, die Studierenden und Leuten, die einen Doktor machen wollen, versucht, Themen zu vermitteln, die gesellschaftlich relevanter sind. Die habe ich während meiner Promotion kontaktiert, was dann dazu geführt hat, dass sie mich mit ALLFED connectet haben.
Wofür ich dann erst ein bisschen Volunteering gemacht habe und dann letztes Jahr, als da Stellen ausgeschrieben waren, habe ich mich einfach drauf beworben, weil ich eh mit meinem post grad gerade fertig war. Und dann haben sie mich eingestellt und seitdem mache ich da Forschung.
[00:04:07] Stephan: Cool. Ich glaube, ALLFED hat relativ viele Fragen auf Effective Thesis, weil das ganze Thema Ernährungssicherung noch relativ wenig beforscht ist. Willst du einmal genauer schildern, was ALLFEDs Mission ist?
[00:04:20] Florian: Ja, gerne. Also allgemein ist so ein bisschen die Idee von ALLFED, sich einfach alle Katastrophen oder Prozesse anzuschauen, die dazu führen können, dass die globale Nahrungsmenge sich so fünf bis zehn Prozent mindestens verringert. Also das klingt erstmal nicht so viel, aber global gesehen ist das schon richtig viel.
Also die meisten Schocks, die wir so in der Vergangenheit hatten, was Nahrungsmittelproduktion angeht, sind so im Bereich ein bis drei Prozent, vielleicht noch mal was Richtung fünf Prozent, aber alles darüber hattest du zumindest global gesehen nicht mehr seit der Industrialisierung. Dementsprechend sind wir darauf halt nicht so vorbereitet. Und ALLFED versucht dann immer zu gucken: „Okay, welche Prozesse können überhaupt dazu führen, dass das passiert? Und wenn es dazu kommt, was können wir dann machen, dafür zu sorgen, dass trotzdem noch genug Nahrung für alle da ist?”
[00:05:19] Stephan: ALLFED fokussiert sich dabei nicht auf die Prävention, richtig?
[00:05:24] Florian: Jein, also wir sind definitiv mehr in die Richtung so: „Okay, was können wir machen, wenn die schlechte Sache passiert ist?”
Aber das spielt auch immer so ein bisschen in Prävention mit rein, weil es schon auch viele Sachen gibt, die sowohl heute sinnvoll sind, als auch in so einer globalen Katastrophe einem weiterhelfen würden.
[00:05:44] Stephan: Du sagst, viele der Interventionen, viele der Maßnahmen, die im Katastrophenfall hilfreich sein könnten, wären auch heute schon bei Ernährungssicherung hilfreich. So meinst du das? Aber sie wären nicht hilfreich dabei, jetzt einen Atomkrieg zum Beispiel, der so einen drastischen Produktionsabfall verursachen könnte, zu verhindern. Das wollte ich nur herausstellen. Ihr befasst euch nicht so sehr mit der Prävention dieser Gefahren, sondern ihr schaut, weil das vernachlässigt ist, weil es wahrscheinlich wenige Akteure machen, was können wir machen, wenn das schon eingetreten ist?
[00:06:17] Florian: Ja, genau. Also grundsätzlich fände ich es auch einfach sehr gut, wenn wir einfach keinen Nuklearkrieg machen würden oder kein Supervulkan ausbricht. Aber gegeben der Anzahl von möglichen Sachen, die halt das Nahrungssystem beeinflussen können, ist die Chance halt gar nicht mal so klein, dass das irgendwann in diesem Jahrhundert passiert in einem kleineren oder größeren Maßstab. Und da gibt es einfach echt nicht viel Forschung und ALLFED ist halt so ein bisschen dabei, einfach so zu gucken: „Okay, was würde denn da überhaupt passieren?”
[00:06:49] Stephan: Woran arbeitest du derzeit?
[00:06:52] Florian: Das Projekt, an dem ich gerade die meiste Zeit reinstecke, ist eins, wo ich gucken möchte, wie sich Handelsgemeinschaften verändern, wenn wir globale Katastrophen haben. Also, weil einmal so eine Vergangenheit von meiner eigenen Forschung, von ALLFED, ist halt eine Sache, die sich immer wieder zeigt, so: Handel ist halt super wichtig, weil wenn Handel funktioniert, dann kannst du super viele Sachen einfach weiterhin aufrechterhalten, aber wenn er zusammenbricht, dann hast du ein sehr großes Problem.
Aber wir wissen halt einfach nicht so richtig gut, wie Handel sich halt dann nach so globalen Katastrophen verändern könnte. Und was ich in dem Projekt mache: Ich habe von einer Klimawissenschaftlerin ein Modell gefunden, das schaut, wie sehr sich Erntemengen durch Katastrophen – also in dem Fall Klimawandel – verringern und wie dann diese Verringerung der Erntemenge dazu führt, dass sich die Handelspartner ändern, weil klar: Wenn ich halt mit dem Land Handel betreibe, aber das dann wegen Klimawandel keinen Weizen mehr produziert, dann kann ich halt mit dem Land keinen Handel mehr treiben. Und wie sich halt diese Sachen dann verschieben. Als ich das gesehen hab, dachte ich mir dann so: Das könnte ja eigentlich auch für andere Sachen funktionieren, weil dem Modell ist erstmal egal, was die Erntemenge verringert hat, sondern nur, dass sie verringert wurde.
Und jetzt bin ich gerade dabei, das nochmal in Python neu zu implementieren und noch ein paar weitere Features dazu zu machen, es dann auf verschiedene Katastrophen draufschmeißen zu können.
[00:08:23] Stephan: Also ist das ein ökonomisches Equilibrium-Modell? Und dann haben wir bei Nuklearkrieg aber noch zusätzlich die Komplikation, dass die Akteure sich vielleicht auch noch nicht mögen.
[00:08:36] Florian: Nee, es ist sogar noch simpler. Es ist eigentlich nur ein Netzwerkmodell, also dass du die Handelsdaten nimmst. Also wir haben ja jetzt von der FAO, also der Food and Agriculture Organization, die veröffentlicht regelmäßig Daten darüber, wie viel Nahrung wir produzieren und wer mit wem handelt und diese Daten darüber, wer mit wem handelt, kannst du dann dazu nutzen, einen gewichteten Graph aufzubauen, also sozusagen die einzelnen Länder sind dann die Knotenpunkte und die Verbindung zwischen Ländern ist stärker oder schwächer, je mehr sie miteinander handeln.
Und dann kannst du einfach über verschiedene Algorithmen dann sozusagen sagen: „Okay, diese Knotenpunkte handeln besonders viel miteinander, das heißt, sie sind eine Handelsgemeinschaft.” Und das hilft dir dann so ein bisschen zu verstehen: „Okay, was ist denn der Einfluss nur von der Katastrophe auf diese Handelsnetze?” Also du hast danach logischerweise noch Ökonomie und Politik in den ganzen Sachen, aber der erste Schritt ist ja erst mal sozusagen zu verstehen, so okay: „Wie wirkt sich allein die Verringerung der Erntemenge auf diese ganzen Sachen aus?”
[00:09:40] Stephan: Okay, verstehe. Also welche Handelsgemeinschaften zerfallen, wie reorganisieren die sich? Die Richtung?
[00:09:46] Stephan: Genau. Also die Hoffnung ist dann auch so ein bisschen, dass man halt dann auch Einzelländer ausschließen kann. Also zum Beispiel, wenn du simulierst oder dir anschauen möchtest, wie ein Nuklearkrieg ablaufen würde zwischen Russland und der Ukraine… äh Russland und der USA, macht es ja Sinn, wenn du dir danach die Handelsbeziehungen anschaust. Halt die USA und Russland rauszunehmen, weil die existieren dann halt mehr oder weniger nicht mehr. Und allein sozusagen zu gucken: Okay, einfach nur, wenn ich diese beiden großen Player rausnehme, wie verändern sich dann die Handelsgemeinschaften einfach, weil da halt diese ganze connection fehlt.
[00:10:24] Stephan: Okay, super. Wir kommen gleich auf die Szenarien, in denen abrupt eine Sonnenlicht-Reduktion erfolgt, zurück. Erstmal vielleicht historisch: Was waren schlimme Hungersnöte und wie haben die wechselgewirkt mit Politik?
[00:10:41] Florian: Also es gab leider in der Vergangenheit sehr, sehr viele Hungersnöte. Also wenn man sich die Daten anschaut, dann war das in der Vergangenheit an sehr vielen Orten ein sehr großes Problem. Und die Intensität variiert natürlich normalerweise ein bisschen, aber es gibt eine Insel – mir fällt der Name gerade nicht mehr ein – aber da war so ein bisschen so Perfect Storm for Hungersnöte. Und die haben dann regelmäßig 50 % von ihrer Bevölkerung an Hungersnöte verloren, was halt schon krass ist.
Aber es gab auch in den größeren Ländern regelmäßig Hungersnöte. Also zum Beispiel eine ist einfach – die ist sehr bekannt – das ist die große Hungersnot in Irland. Wo auch sehr viele Leute gestorben sind und vor allem sehr viele Leute dann emigriert sind. Das lag einfach daran, dass die einen Großteil von ihrem Nahrungssystem darauf ausgelegt haben, dass halt die Leute Kartoffeln essen. Dann waren es aber auch halt nur sehr wenige Sorten, wodurch dann eine Pilzinfektion halt sehr gute Chancen hatte, das alles anzugehen.
Das führt dann sehr leicht auch zu politischen Konsequenzen. Einfach weil es halt extrem destabilisierend ist für die Gesellschaft, wenn du eine Hungersnot hast. Weil Menschen greifen halt logischerweise zu sehr extremen Maßnahmen, wenn sie halt die Wahl haben, okay, ich bekomme jetzt hier irgendwo Essen oder ich verhungere halt. Das ist halt schon ein sehr großer Antrieb dann. Und das spiegelt sich dann auch halt in den Zeiten danach wider. Also man hat das sehr oft, dass einfach nach einer großen Hungersnot du auch einen politischen Umsturz in irgendeiner Form hast. Einfach weil die Leute halt das politische System als so diskreditiert ansehen, dass es halt überhaupt sowas zugelassen hat.
[00:12:33] Stephan: Wann passiert das normalerweise?
Du schreibst in einem Artikel, dass erst Revolten möglich sein könnten oder vielleicht wahrscheinlicher sind und irgendwann passiert es aber, dass Leute schon gar nicht mehr genug Energie für die Revolte haben. Oder passiert es erst dann im nächsten Jahr, wenn die Hungersnot schon vorbei ist?
[00:12:53] Florian: Ich glaube, du hast beide Szenarien in der Vergangenheit. Also einmal ist es, dass die Leute halt… dass sich eine Hungersnot abzeichnet und die Leute dann rebellieren. Aber klar, wenn du sozusagen schon so weit in der Hungersnot drin bist, dass die Leute einfach nur noch lethargisch sind, dann wird es auch sehr schwierig, sich irgendwie gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse zu wehren.
Aber du hast auch das andere Szenario, dass wenn dann der Haupteffekt der Hungersnot langsam wieder abklingt und langsam wieder genug Nahrung da ist, auch einfach dadurch, dass halt viele Leute gestorben sind und dementsprechend weniger Nahrung benötigt wird, dass du danach dann den politischen Wechsel hast. Weil auch die Leute, die dann wieder genug Energie haben, um sich um mehr zu kümmern als nur um die nächste Mahlzeit, die sind natürlich auch halt traumatisiert und extrem unzufrieden mit der Situation, dass halt so ein krasses Ereignis in ihrer Gesellschaft passiert ist. Und wenn sich bis dahin noch nicht das politische System geändert hat, dann besteht halt ein sehr großer Drang bei den Menschen, das zu ändern.
[00:13:55] Stephan: Es besteht ein großer Vertrauensverlust.
In Irland hatten wir damals – also die Hungersnot war 1845 bis 1849. In Irland gab es eine Revolte. In Frankreich gab es eine, die man erfolgreich nennen mag, wobei dann wenige Jahre später ein Staatsstreich kam. Und in Deutschland hatten wir eine gescheiterte Revolte. Wie hängen die mit der großen Hungersnot zusammen?
[00:14:21] Florian: Also du hast da halt so ein super komplexes Geflecht. Also auch bei diesen Ereignissen, dass du dann oft so wie so einen mehrstufigen, super komplexen Ablauf hast. Also du hast erst die Hungersnot, dann die Hungersnot führt halt gerne zu diversen wirtschaftlichen Problemen. Also zum Beispiel setzt die Nachfrage aus für Luxusgüter, weil dafür hat keiner mehr Geld und auch nicht mehr jemand so den Kopf dafür. Und dann hast du eine wirtschaftliche Depression und daraus können dann wieder so Sachen entstehen, wie dass zum Beispiel irgendwelche Spekulationsblasen platzen.
Also bei der Hungersnot, über die wir jetzt gerade sprechen, war das auch so, dass dann halt die Wirtschaft runterging, was dazu geführt hat, dass die Eisenbahn-Bubble, die es damals gab, geplatzt ist. Also dass da einfach sehr viele Eisenbahnprojekte gar nicht die Chance hatten, groß Gewinne abzuwerfen. Und das heißt, du hast dann auch wieder so ein Zusammenkommen von sehr vielen Faktoren. Also, die Leute sind erstmal unzufrieden, weil einfach eine Hungersnot war. Dann sind sie unzufrieden, dass die Wirtschaft am Boden liegt, auch eine sehr hohe Arbeitslosigkeit, einfach weil viele Projekte nicht mehr funktionieren. Und das führt dann einfach sehr leicht dazu, dass die Leute auch halt eine sehr große Systemänderung haben wollen. Ob die dann funktioniert – also wie zum Beispiel in Deutschland dann nicht – ist dann eben auch die andere Frage. Aber du hast auf jeden Fall, dass diese ganzen Sachen sehr zusammenhängen und ineinander greifen.
[00:15:52] Stephan: Nur das einmal deutlich zu machen: In Deutschland und Frankreich gab es auch eine weniger stark ausgeprägte Hungersnot, aber schon eine Hungersnot zu der Zeit. Sind die Erreger, die Kartoffeln befallen haben, auch übergeschwappt oder sind das indirektere Effekte, die dazu geführt haben?
[00:16:09] Florian: Genau, du hattest auch diese ähnliche Probleme mit den Kartoffeln. Und wenn ich mich aber recht erinnere, war dann auch noch das Problem, dass es dann auch noch mehrere Jahre gab, wo auch die Getreideernte eher so mittel war und dann auch insgesamt auf dem ganzen europäischen Kontinent Nahrungsmittelpreise sehr hoch waren, also nicht nur in Irland.
[00:16:31] Stephan: Was waren die häufigsten… historisch gesehen die häufigsten Ursachen für Hungersnöte hier? Bei der großen Hungersnot in Irland haben wir so ein Zwischending vielleicht aus natürlich und menschengemacht. Die Menschen haben nur zwei Sorten Kartoffeln angepflanzt und dann kam dieser Erreger, dieser Pilz, der über Sporen, über die Luft übertragbar war. Was waren die häufigsten Ursachen?
[00:16:54] Florian: Was die häufigste Ursache ist, weiß ich gerade gar nicht. Ich glaube, es lässt sich halt auch immer schwierig auf eine einzelne Sache zurückführen. Weil klar, in Irland hattest du das zum Beispiel mit diesem Kartoffel-Erreger, der halt ein sehr großer Faktor war, aber dann ist es ja auch einfach eine Form von Missmanagement, wenn du halt sagst: „Okay, wir bauen jetzt hier einfach nur noch Kartoffeln an.” Dann begibst du dich auch einfach in eine vulnerable Position.
Aber klimatische Effekte sind definitiv immer sehr groß, weil unser Nahrungssystem ist halt sehr darauf angewiesen, dass alles bleibt, wie es ist, weil halt Pflanzen sehr klar definierte Ansprüche haben. „Wie kalt darf es sein? Wie warm darf es sein? Wie viel Wasser ist da? Wie viele Nährstoffe habe ich?” Und wenn du halt eine von diesen Sachen verletzt, dann macht die Pflanze halt nicht mehr mit und stirbt und dann hast du halt kein Essen mehr.
Aber was auch definitiv ein sehr großer Faktor ist, ist einfach Krieg. Weil Krieg halt so ein extremer Disruptor ist, davon, wie dein ganzes System funktioniert. Und dann auch zum Beispiel: Die Leute können auch einfach nicht mehr aktiv Nahrung anbauen, weil wenn irgendwo Krieg ist, dann kannst du halt nicht mal kurz auf dein Feld gehen und dich um deinen Weizen kümmern. Also es hat auch schon einen Grund, dass diese… die vier apokalyptischen Reiter gerne zusammenkommen, also Krieg, Conquest, Krankheit und…
[00:18:18] Stephan: Also es gibt Krieg und Eroberung, wobei Eroberung ist… Manchmal wird das in populären Darstellungen dann mit Krankheit oder so ersetzt, aber eigentlich ist es Eroberung, aber wir müssen nicht in die Deutung davon reingehen.
Und die anderen beiden sind… Tod … und was ist Nummer vier?
[00:18:36] Florian: Ich glaube einfach Hungersnot, ja.
[00:18:38] Stephan: Hungersnot, genau. Okay, alle auch miteinander verbunden. Und es ist kein Zufall, dass diese vier so dort schon auftauchen.
[00:18:46] Florian: Ja, genau.
[00:18:47] Stephan:
Warum sind diese lokalen Hungersnöte heute kein so großes Thema mehr?
[00:18:54] Florian: Ja, das ist eine gute Frage. Das hat mich auch so ein bisschen gewundert, als ich angefangen habe, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Aber es gibt relativ klare Gründe, warum das so ist. Also einmal ist unsere Landwirtschaft sehr, sehr viel effektiver, als sie noch vor 100 oder 200 Jahren war. Also wir produzieren halt einfach mit viel weniger Leuten viel mehr Essen. Das heißt, eine große Menge Nahrung zu produzieren, ist heute einfach sehr viel einfacher, als es früher noch war.
Aber was so insgesamt das Ding ist, ist einfach, dass wir jetzt ein globales Handelsnetz haben. Weil, in der Vergangenheit hattest du immer das Problem: Wenn lokal eine Hungersnot passiert, dann hast du nicht so wirklich eine Möglichkeit gehabt, woanders Nahrung herzubekommen. Also klar, du konntest auch im Mittelalter auf deinen Pferdewagen Getreide draufladen und das woanders hinfahren, aber das war halt sehr, sehr teuer. Einfach weil du auch… dann musst du ja auch das Pferd versorgen und so. Aber heute haben wir halt einfach ein globales Handelssystem, was uns ermöglicht: Wenn irgendwo eine Hungersnot ist oder einfach auch allein schon ein Ernteausfall stattfindet, dann ist es eigentlich immer die einfachste Möglichkeit, da dann mehr über unser Handelsnetz Nahrung hin zu transportieren. Und das können wir auch relativ günstig. Dementsprechend ist halt für lokale Katastrophen eigentlich immer das einfachste, dass man einfach Nahrungsmittel dahin transportiert und deswegen haben wir nicht mehr so diese krassen Hungersnöte, wie es noch vor 100, 150 Jahren gab.
Also klar, man hat heute immer noch Probleme mit Hungersnöten und vor allem Mangelernährung. Aber das ist mehr darin begründet, dass wir nicht so gut hinbekommen, für alle Menschen die Grundbedürfnisse sicherzustellen. Nicht, weil wir es nicht könnten, sondern weil wir es irgendwie nicht hinbekommen uns so zu koordinieren, dass das stattfindet. Und früher wäre es halt einfach an sich unmöglich gewesen, das so zu machen.
[00:20:55] Stephan: Wir haben also so ein Risiko-Pooling im Grunde, sodass zumindest reiche Länder… können es wirtschaftlich ausgleichen durch Handel, können sich Nahrung kaufen. Ärmere Länder teilweise, teilweise machen wir internationale Hilfe und die Mangelernährung kommt aber dadurch zustande, dass wir bei einem Level über einer Hungersnot trotzdem eben nicht international koordinieren können, dass jeder eine ausgewogene, ausreichende Ernährung hat.
[00:21:26] Florian: Ja, genau. Also theoretisch haben wir eigentlich genug Lebensmittel für alle auf der Erde, aber wir schaffen es halt nicht, diese gleichmäßig zu verteilen.
[00:21:35] Stephan: Die schlimmste Hungersnot gab es aber eigentlich schon in einer Ära, in der Handeln möglich gewesen wäre, oder? Ich denke an den großen Sprung nach vorne in China unter Mao.
[00:21:48] Florian: Ja, das stimmt. Da wäre definitiv auch Handel möglich gewesen. Aber da hattest du halt das Problem, dass einfach die Ideologie damals in China nicht zugelassen hat, dass internationale Hilfe angenommen wurde. Also ich weiß nicht genau, ob sie …
[00:22:03] Stephan: Also es war ja selbst auferlegt, also die …
[00:22:07] Florian: Ja, genau.
[00:22:08] Stephan: …die Landwirtschaftsbetriebe wurden verstaatlicht und so weiter. Die hatten einen massiven Produktivitäts-Abfall und haben das lange nicht korrigiert, haben sich… haben das nicht durch internationalen Handel ausgeglichen.
Also sind wir bei Klimaveränderungen, entweder zufällige regionale oder eben auch durch so etwas wie Vulkanausbrüche. Wir sind bei Kriegen und Governance-Fehlern, könnte man das sagen, als Hauptursachen in der Vergangenheit.
Welche größeren Risiken bedrohen uns heute trotzdem noch?
[00:22:52] Florian: Genau, also wir haben leider eigentlich, also A: Risiken, die eh schon immer da waren, aber wo wir einfach Glück hatten, dass sie so selten passieren, dass sie in letzter Zeit nicht so oft passiert sind, aber auch einfach Sachen, die wir selbst mit verursachen. Also ganz grob kann man diese globalen Katastrophen einmal einteilen in alle Sachen, die das Sonnenlicht verdunkeln. Also da haben wir dann so Sachen wie ein Komet schlägt ein, ein Super-Vulkan bricht aus oder auch mehrere kleine Vulkane brechen parallel aus und dann einen Atomkrieg. Und das sind alles Sachen, die dazu führen, dass über verschiedene Mechanismen einfach die Sonne verdunkelt wird. Also bei Atomkrieg und bei Kometeneinschlägen ist es mehr über soot…
[00:23:38] Stephan: Ruß…
[00:23:40] Florian: Ruß, genau, danke!
Und das sind einfach diese kleinen Ruß-Plättchen, die fliegen dann sehr hoch in die Atmosphäre rauf und verdunkeln halt die Sonne, weil sie einfach halt schwarz sind und dann das Licht da nicht mehr durch kann. Und bei einem Vulkan hast du mehr, dass Schwefeldioxid in die Luft kommt und das Schwefeldioxid nimmt auch die Luft auf… nicht die Luft… die Sonneneinstrahlung auf und streut sie dann einfach in alle Richtungen und halt auch wieder nach oben zurück. Aber in Konsequenz haben halt beide Sachen, dass es einfach halt dunkel wird und kalt. Und dementsprechend, wenn es dunkel wird und kalt, dann kannst du deine Landwirtschaft, wie du sie jetzt hast, nicht mehr fortsetzen.
[00:24:17] Stephan: Und die Rußpartikel – um das einmal nur klar zu machen – die Rußpartikel kommen dadurch zustande, dass wir große Gebäude und so weiter, große Teile der Infrastruktur, zerstören, und die kleinsten Staubpartikel, also Rußpartikel davon – oder es brennt, und dann die kleinsten Partikel davon – die gelangen weit nach oben in die Stratosphäre sogar. Und die regnen nicht schnell ab, die fallen nicht schnell herunter.
[00:24:43] Florian: Genau, also bei Kometeneinschlägen, bei einem Atomkrieg kann es halt passieren, dass sogenannte Feuerstürme entstehen, also was zum Beispiel in Hamburg im Zweiten Weltkrieg passiert ist, dass du einfach einen extrem heißen Brand hast, der auch die Luft aus der Umgebung ansaugt und dann einfach wie ein riesiger Kamin einfach die Rußpartikel in die Atmosphäre hochschießt.
Die sind dann immer noch unter da, wo sie eigentlich abregnen würden, aber du hast dann das sogenannte self lifting, also das Selbst-Hochheben, dass halt die Sonne auf diese Partikel drauf scheint, dann erwärmt sich die Luft um sie und weil sie halt so leicht sind, dann werden sie mehr oder weniger von dem eigenen erzeugten Luftstrom nach oben getragen und das geht halt so weit, bis sie irgendwann darüber sind, wo der Regen normalerweise stattfindet. Wenn sie dann da angekommen sind, dann können sie logischerweise nicht mehr abregnen. Die aggregieren sich über die Zeit, also dass sie einfach ineinander kollidieren und größere Partikel bilden und die sind dann irgendwann wieder so schwer, dass sie von alleine runterfallen, aber das ist ein Prozess, der Jahre dauert.
[00:25:41] Stephan: Und wie lange dauert es beim Schwefeldioxid? Wie hoch gelangt das?
[00:25:46] Florian: Wie hoch das gelangt, weiß ich gerade gar nicht. Aber ich würde auch davon ausgehen, dass es auch in eine ähnliche Höhe kommt. Und das Schwefeldioxid dauert tendenziell ein bisschen kürzer, also mehr so zwei, drei, vier, fünf Jahre. Aber das ist auch noch so ein bisschen unklar, wie lange das jetzt genau dauert. Weil das Problem ist so ein bisschen: Diese wirklich großen Eruptionen, das dauert halt… also davon gab es einfach nicht so viele und die sind auch halt in der Vergangenheit schwierig zu detektieren, wie lange genau sowas gedauert hat. Also wenn du tief in die Klima-Vergangenheit schaust, dann hast du ja immer nur so Proxys, mit denen du arbeiten kannst, also du kannst ja nicht genau das Klima anschauen, sondern du kannst nur Sachen anschauen, die vom Klima beeinflusst wurden. Also zum Beispiel Baumringe oder sowas.
[00:26:34] Stephan: Wie dick die sind, also wie doll die gewachsen sind.
[00:26:34] Florian: Und dann ist es aber schwierig, in so was halt so Signale zu detektieren, ob jetzt irgendetwas zwei oder fünf Jahre gedauert hat. Es ist halt wirklich sehr, sehr schwierig, genau festzulegen, wenn es halt vor 50.000 Jahren passiert ist.
[00:26:50] Stephan: Weil wir wenige Bäume noch haben, bei denen wir gucken können, wie dick sind die Ringe oder warum?
[00:26:56] Florian: Genau, also bei 50.000 Jahren hast du einfach normalerweise eigentlich fast keine Bäume mehr, wo du nachgucken kannst. Und dass es sich einfach halt nicht aufschlüsseln lässt. Also du machst es auch viel über Eiskernbohrungen. Also dass du zum Gletscher gehst und bohrst ganz tief in den Gletscher rein, weil in dem Gletscher, wenn der Schnee sich ablagert, dann hast du auch immer so ein paar Luftpartikel, die dann da mit eingelagert werden und dann friert es fest im Eis und dann kannst du die beproben und wissen, was zu diesem Zeitpunkt abgegangen ist. Aber je länger das dauert, desto mehr wird halt auch das Eis komprimiert und dann ist halt jedes Jahr halt einfach nur noch so super dünn und dann ist es halt sehr schwierig zu differenzieren: Okay, war das jetzt in dem Jahr oder in dem Jahr davor oder vielleicht doch zwei Jahre später? Und das macht es dann halt super schwierig, das wirklich auseinander zu dröseln.
[00:27:49] Stephan: In dem Eis sind Luftbläschen eingeschlossen und bei denen… daher kennen wir, glaube ich, auch die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre zu gewissen Zeitpunkten. Und daraus ließe sich dann auch die Schwefeldioxidkonzentration theoretisch zu bestimmten Zeitpunkten bestimmen?
[00:28:08] Florian: Genau.
[00:28:09] Stephan: Okay. Wie oft passieren diese großen Katastrophen, also insbesondere Vulkanausbrüche, Supervulkanausbrüche?
[00:28:17] Florian: Genau, also da gibt es… also kommt natürlich auch darauf an, wie groß der Vulkan ist, aber tendenziell, logischerweise, je größer der Vulkan, desto seltener. Aber für die Sachen, die halt wirklich globale Probleme verursachen, gehen wir davon aus, dass so alle paar tausend Jahre, so 5.000 bis 10.000 Jahre, vielleicht noch ein bisschen mehr, so einer ausbricht. Und es gibt auch schon ein paar von den Vulkanen, wo wir halt wissen, in welchen Frequenzen sie in der Vergangenheit ausgebrochen sind, die jetzt eigentlich schon überfällig sind. Und dann gibt es halt noch die ganz, ganz riesigen, also sowas wie den Yellowstone-Nationalpark. Da muss ich auch nochmal nachgucken, wie oft der ausbricht. Also definitiv länger als ein paar Zehntausend Jahre. Aber die wären halt dann extrem katastrophal, weil sie halt einfach sehr, sehr groß sind.
[00:29:09] Stephan: Die sind so groß, du erkennst sie gar nicht wirklich als Vulkan, sondern es ist ein riesiges Areal. Und bei Vulkanen ist es so, dass wir zumindest die Frequenz dann ungefähr festmachen können und die einigermaßen regelmäßig sind?
[00:29:21] Florian: Genau, also bei Vulkanen… Du kannst halt schwierig sagen, wann jetzt der nächste Vulkan genau ausbricht und welcher das sein wird. Also Vulkane-Vorhersagen sind immer noch echt knifflig. Aber was halt schon geht, einfach in die Vergangenheit gucken und herausfinden, so okay: Wie oft machen die das denn normalerweise in verschiedenen Größen. Und da haben wir eigentlich schon relativ akkurate Daten für.
[00:29:44] Stephan: Und die Ausbrüche sind nicht ganz unabhängig voneinander, weil sich auch erstmal die Spannung, also bei einem einzelnen Vulkan, die Spannung aufbauen muss, nehme ich an?
[00:29:52] Florian: Ja, also sie sind… zumindest auf lokaler Ebene. Also global in irgendeinem Vulkan in Russland ist es relativ egal, was in Südamerika ist.
[00:30:00] Stephan: Ja, genau, aber auf lokaler Ebene. Okay. Die zweite große Gruppe von Gefahren sind solche, bei denen die globale Infrastruktur beeinträchtigt wäre. Welche sind das?
[00:30:12] Florian: Genau, also da gibt es eigentlich vier große, über die wir normalerweise nachdenken. Einmal sind es auch die Konsequenzen von Atomkriegen, weil wenn man eine Nuklearwaffe hoch in der Atmosphäre zündet, dann verursacht die einen elektromagnetischen Puls. Und dieser elektromagnetische Puls kann dann wiederum dafür sorgen, dass zu hohe Spannungen in allen möglichen elektronischen Geräten entstehen, die dann kaputt gehen. Insbesondere kann das auch passieren, mit unserem Stromnetz an sich, weil das auch so gegen solche Sachen nicht gewappnet ist, also zumindest nicht an den meisten Stellen. Also es gibt glaube ich schon ein paar Stellen, die da gegen solche Sachen auch stabil wären, aber der Großteil halt nicht.
Dann haben wir noch Sonnenstürme, das heißt also die Sonne ist ja auch sehr aktiv und es finden ständig irgendwelche Umwälzungen statt. Und die können halt auch dazu führen, dass sehr energiereiche Teilchen Richtung Erde geschleudert werden, also das ist eigentlich ständig, aber das kann auch halt nochmal in größeren Größenordnungen passieren, als es halt so normalerweise passiert. Das wiederum kann dann so ziemlich denselben Effekt haben wie eine Nuklearwaffe, also dass man auch diesen wie einen elektromagnetischen Puls hat, der durch die Atmosphäre jagt und alle Geräte kaputt macht. Also in der Vergangenheit hatten wir das auch schon ein paar Mal. Zum Beispiel gab es in den, entweder Ende der 80er, Anfang der 90er in Kanada, in Quebec, gab es einen sehr großen Stromausfall, weil genau sowas passiert ist. Also dass halt Sonnenteilchen, gegen die… in der Atmosphäre das ausgelöst haben und dadurch das Stromnetz deaktiviert haben.
[00:31:54] Stephan: Und die machen das selbst? Wir wüssten ein, zwei Tage wenigstens vorher, selbst bevor es akut geschieht, Bescheid, oder? Weil zumindest… es kommt auch ein Röntgenblitz erst mit der Lichtgeschwindigkeit an und dann langsamer die geladenen Teilchen. Aber wie viel könnten wir uns vorbereiten? Wie regional oder global wäre das?
[00:32:16] Florian: Kommt sehr auf die Skala an. Also je größer, desto globaler. Und es gibt auch schon in der Vergangenheit Events, wo wir davon ausgehen, dass das wirklich auf einer sehr großen Skala stattgefunden hat. Also schon wirklich ein globales Event. Aber da sind die Daten auch noch relativ unsicher, weil dann muss man auch wieder über Proxys gehen und irgendwie kann man dann auch aus den Bäumen auch wieder raus rechnen, wann die von besonders vielen Teilchen getroffen wurden. Aber man kann schon davon ausgehen, dass das global sein kann.
Also klar, du hast immer regionale Unterschiede und die Vorhersage können wir auch zum Teil machen, aber wie du auch schon gemeint hast, auch eher so im Tagesbereich. Allerdings hatte ich letztens auch ein Paper gelesen, wo es darum ging, wie man halt solche extrem großen Sonnenstürme vorhersagen kann. Und dafür musst du anscheinend auch schon relativ große Sonnenflecken haben. Also ich weiß auch nicht genau den Mechanismus, aber ist anscheinend so. Und wenn sich so ein riesiger Sonnenfleck bilden würde, dann würden wir das auch schon ein bisschen im Voraus merken.
[00:33:19] Stephan: Könnten wir irgendwas machen? Hilft das, wenn man seine Geräte abschaltet?
[00:33:23] Florian: Genau, du kannst dich schon darauf vorbereiten. Also die ganzen genauen Mechanismen weiß ich jetzt auch nicht, aber man kann anscheinend schon das Stromnetz auf solche Events vorbereiten.
Und wenn man genug Zeit hat und das ernst nimmt, dann könnte man da auch schon dafür sorgen, dass der Schaden deutlich kleiner wäre. Also, ich glaube ganz lässt sich das nicht vermeiden, aber du könntest zumindest dafür sorgen, dass es nicht ganz so krass ist, wie wenn du nichts in Vorbereitung machst.
[00:33:49] Stephan: Weiter mit Infrastruktur-Verlust Nummer 3?
[00:33:53] Florian: Genau, dann könnte man sich vorstellen, dass es einfach sehr große Cyber-Angriffe gibt, also vielleicht auch versehentliche, weil wir, genauso wie sich unsere Computer weiterentwickeln, entwickeln sich auch die Angriffsmöglichkeiten gegen Computer und da könnte man jetzt davon ausgehen, wenn zum Beispiel irgendeine, zum Beispiel eine Terroristengruppe vorhat, dass sie irgendwie die globale Zivilisation lahmlegen möchte, irgendwie einen sehr ausgefuchsten Virus zu bauen, der dann ganz viel Schaden anrichtet und dadurch halt die Infrastruktur kaputt macht.
Und das Letzte, was ein bisschen ein spekulativeres Szenario ist, ist einfach die Frage so: Okay, was würde denn passieren mit unserer Infrastruktur, wenn wir einfach eine sehr tödliche Pandemie hätten? Also offensichtlich haben wir ja schon mal geklärt, so, wenn wir auch was auf dem Level von Covid haben, dann kümmern wir uns weiter um unsere Infrastruktur, weil das uns nicht davon abhält, weil wir halt wollen, dass es weiter Strom gibt. Aber wenn wir jetzt eine Krankheit hätten, die zum Beispiel so tödlich ist wie Ebola und auch einfach durch die Luft übertragen wird, könnte man sich dann schon vorstellen, dass halt viele Leute auch ihren Jobs gar nicht mehr nachgehen wollen, weil sie es zu gefährlich finden, ihr Haus zu verlassen. Und dass man dann einfach die Infrastruktur kaputt geht, einfach weil die Leute, die sich normalerweise darum kümmern, dass die funktioniert, einfach nicht mehr zur Arbeit erscheinen.
[00:35:18] Stephan: Bei weniger schlimmen Pandemien haben Leute immer noch so… rücken, glaube ich, eher zusammen und haben den Wunsch, vieles weiter aufrechtzuerhalten und sind auch tendenziell, glaube ich, zumindest erstmal solidarisch, aber wahrscheinlich gibt es da irgendwo einen Punkt, wo man, je sicherer man sich sein kann, dass man sterben würde, wenn man rausgeht, dann will man vielleicht nicht mal sein Haus verlassen.
Bei diesen menschengemachteren Gefahren, wie würdest du die Wahrscheinlichkeiten ungefähr einschätzen? Ist das überhaupt wichtig für eure Arbeit? Mal so gefragt.
[00:35:58] Florian: Na gut, es ist halt dahingehend wichtig, weil wenn es nicht passieren könnte, dann würde es auch keinen Sinn machen, daran zu forschen.
[00:36:02] Stephan: Ja, aber vielleicht reicht schon das Risiko durch Atomkrieg und die Frage ist, wie sehr die Maßnahmen auseinandergehen würden in den unterschiedlichen Szenarien.
[00:36:13] Florian: Genau, also die Wahrscheinlichkeiten sind definitiv nicht riesig, weil wenn sie riesig wären, dann hätten wir auch halt schon das ein paar mal gehabt. Aber es gibt verschiedene Abschätzungen, also zum Beispiel gibt es ein Paper, das ausgerechnet hat, dass sie davon ausgehen, dass so ein Prozent pro Jahr Chance für einen Atomkrieg ist, aber das ist auch sehr umstritten, wie sehr man so eine Berechnung überhaupt gut machen kann. Aber wie du schon gemeint hast, so ein bisschen so allein die Chance, dass wir das halt machen können – Atomkrieg – rechtfertigt eigentlich schon diese Forschung. Diese ganzen Sachen, wo du das Problem hast, dass deine Sonne verdunkelt wird, dafür kannst du eigentlich sehr ähnliche Maßnahmen machen. Also wie sich genau die Sonneneinstrahlung verteilt, wäre bei einem Vulkanausbruch und einem Nuklearkrieg wahrscheinlich auch nochmal anders, wie halt diese ganzen Prozesse ablaufen mit Schwefeldioxid und Ruß.
Aber, so die grundsätzliche Sache ist einfach so ein bisschen so: Okay, es ist kalt und dunkel und du musst da was dagegen tun, dass du trotzdem Nahrung bekommst. Also diese Sachen haben ähnliche Möglichkeiten. Und diese Industrialisierungs-Zerstörung-Katastrophen haben auch ähnliche Sachen, weil es halt einfach auch alles darüber… auch alle denselben Wirkmechanismus haben. So ein bisschen: Du hast keinen Strom mehr, wenn du keinen Strom mehr hast, dann funktioniert gar nichts hier. Und dementsprechend musst du jetzt überlegen, so: Okay, wie kann ich denn noch weiter Nahrung produzieren, wenn ich jetzt nicht mehr den Strom und die ganzen anderen Inputs, die mir die Industrie hier bereitstellt, einfach nicht mehr habe plötzlich.
[00:37:40] Stephan: Ich glaube, wir reden hauptsächlich über die Sonnenlichtreduktions-Szenarien, aber vielleicht gibst du uns einmal einen groben Eindruck, was die Maßnahmen in den Infrastruktur-Verlustfällen wären.
[00:37:56] Florian: Ja, ich glaube, bei den Infrastruktur-Verlustsachen muss man viel drüber nachdenken, so okay: Wie können wir einfach die Art, wie wir Nahrung produzieren, umstellen auf so, wie wir das früher gemacht haben. Weil offensichtlich gab es ja schon mal einen Zustand, wo die Menschheit ohne Strom Nahrung produziert hat. Also wir können das ja anscheinend. Aber die Frage ist, wie kommt man dann halt von dem System, was wir jetzt haben, was irgendwie darauf beruht, dass du GPS-gesteuert Traktoren hast und super viel Dünger und Pestizide, wieder zu sowas, wie halt irgendwie der Urgroßvater Kartoffeln angebaut hat. Und dementsprechend geht es da um so Fragen: Wie kann man zu diesen Sachen wieder zurückfinden, in kurzer Zeit auch.
Weil das Problem ist ja auch: Du brauchst dann halt zum Beispiel ein Tier, was halt deinen Pflug zieht. Aber dann hast du das Problem, dass deine Kuh, die halt heute Milch produziert – davon haben wir jetzt zwar so viele, aber die sind richtig schlecht darin, einen Pflug zu ziehen, weil sie dafür halt nicht ausgelegt sind. Und insgesamt ist aber – bei dem Teil der Forschung – ist alles halt noch ein bisschen spekulativer, einfach weil da wir auch noch nicht so viel Forschung reingesteckt haben, wie in den Szenarien, wo das Sonnenlicht runtergeht.
Aber was vielleicht noch interessant ist, also da ist jetzt auch ein Paper bald fertig, wo wir uns angeguckt haben, so: Wie verändern sich denn überhaupt die Erntemengen global, wenn sowas stattfindet? Und da siehst du sehr deutlich, dass verschiedene Regionen verschieden stark betroffen sind.
Also wir hier in Europa sind extrem stark betroffen, irgendwie 75 Prozent Ernte-Reduktion, aber du hast halt viele Orte, insbesondere in Afrika, aber auch in Asien, wo du eigentlich fast keinen Impact hast, weil das sind halt jetzt sowieso Smallholder-Farmers und die benutzen keine Traktoren oder Pestizide oder Dünger und wenn die Sachen weg sind, dann ist es denen egal, weil sie haben sie davor ja auch noch nicht benutzt.
Das heißt jetzt nicht, dass wir alle Smallholder-Farmer werden sollen, aber dass man definitiv was daraus lernen kann, dass es offensichtlich auch Leute gibt, die heute auch noch nicht unerhebliche Mengen Nahrung produzieren können, ohne auf diese ganzen Sachen angewiesen zu sein.
[00:40:06] Stephan: Dann lass uns zu den Szenarien kommen, in denen das Sonnenlicht reduziert wird. Vielleicht gibst du uns erstmal einen Eindruck, was mit der Produktion unterschiedlicher Nahrungsmittel passiert, wenn wir keine Gegenmaßnahmen einleiten.
[00:40:26] Florian: Genau, wenn wir keine Gegenmaßnahmen einleiten, also da gibt es ein sehr gutes Paper von Lili Xia [et al.] von 2022, glaube ich, wo sie geschaut haben: Okay, wir gucken uns einfach Nuklearkriege in verschiedenen Größenordnungen an und wir gehen davon aus, dass wir halt das auch schon auf so Sachen wie Vulkane übertragen können, was den Impact angeht. Und da haben sie auch versucht, das Nahrungssystem zu modellieren, unter der Annahme, dass wir uns mehr oder weniger gar nicht groß daran anpassen, dass das gerade passiert ist, was jetzt vielleicht nicht das realistischste ist, aber einem schon so ein bisschen so ein Worst-Case-Szenario gibt. Und da zeigt sich, dass wir schon mit echt richtig großen Einbußen rechnen können. Also das größte Szenario, was sie sich angeschaut haben, sind 150 Teragramm Ruß in der Atmosphäre. Also das ist unter der Annahme, dass Russland und die USA einen All-Out-Nuclear-War geführt haben und mehr oder weniger ihr ganzes Arsenal verschossen haben. Wie sehr dann genau diese 150-Teragramm-Ruß-Nummer- stimmt, ist auch so ein bisschen umstritten, ob das wirklich so viel wäre, aber gehen wir mal davon aus, dass es so viel wäre, dann können wir damit rechnen, dass im extremsten Fall so unsere Nahrungsmittelproduktion um 90 Prozent einbricht, wenn wir nix machen. Und das ist halt schon extrem viel.
Aber selbst bei den kleineren Nuklearkriegen und entsprechenden Vulkanausbrüchen können wir halt auch schon damit rechnen, dass irgendwie so 10 bis 50 Prozent der Nahrungsproduktion flöten gehen. Und wie ich ja schon am Anfang vom Podcast gemeint hatte, ist, dass so alles, was über fünf bis zehn Prozent globaler Ernteeinbuße hinausgeht, hatten wir halt nicht mehr seit Beginn der Industrialisierung. Dementsprechend wäre das halt einfach auch der „kleine“ (in Anführungszeichen) Atomkrieg schon ein extrem einschneidendes Event potenziell für unser Nahrungssystem.
[00:42:20] Stephan: Vielleicht sollten wir ein Missverständnis präventiv ausräumen: Viele Menschen könnten meinen, dass wir, wenn wir so einen totalen Atomkrieg haben, sowieso die meisten Menschen sterben. Inwiefern würde das stimmen? Inwiefern würde das für die USA und Russland stimmen oder eben für andere Länder?
Es gibt ja oft so Aussagen, dass wir genug Atomsprengköpfe haben, um die Welt so und so viel mal zu zerstören, aber das ist ein bisschen misleading.
[00:42:53] Florian: Ja genau, das ist definitiv ein bisschen misleading. Also klar, wir hätten genug, um alles zu zerstören, aber diese Nuklearwaffen haben ja alle einen Zweck. Also du willst ja eine bestimmte Sache damit kaputt machen. Normalerweise im Land, mit dem du gerade Krieg führst. Also im Falle von Russland gegen die USA, wäre das dann mehr oder weniger alle NATO-Länder plus halt Russland, die wahrscheinlich in irgendeiner Form angegriffen worden werden würden. Aber das ist ja auch nur ein Teil der gesamten Menschheit. Also ich glaube, in dem… es gibt auch so Annahmen, dass selbst wenn du halt den extremsten Krieg annimmst, der mit Nuklearwaffen irgendwie Sinn macht, dann könntest du davon ausgehen, dass durch die direkten Effekte so in den ersten paar Wochen wahrscheinlich so eine, ungefähr eine, Milliarde Leute sterben könnten, was auch schon extrem viel ist, aber auch nur, in Anführungszeichen, ein Siebtel oder so von den Leuten, die wir jetzt auf diesem Planeten haben. Und was halt insbesondere dabei wichtig ist: Wir haben halt nicht wirklich Nuklearwaffen auf der Südhalbkugel und dementsprechend macht es auch nicht so wirklich Sinn, da groß jemanden anzugreifen. Also du könntest halt schon davon ausgehen, dass halt bei so ziemlich allen Atomkrieg-Szenarien, die irgendwie Sinn machen, die ganze Südhalbkugel von den direkten Effekten erstmal nicht viel abbekommen würde.
[00:44:12] Stephan: Genau, Atomwaffen haben ohnehin nur die USA und Russland, die meisten, dann China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Pakistan.
[00:44:24] Florian: Genau, und Israel eventuell noch und Nordkorea.
[00:44:27] Stephan: Und Israel, die sagen es aber nicht. Und Nordkorea ein bisschen, aber nur wenige.
Und selbst in den Ländern gäbe es wahrscheinlich einige Regionen, die so ländlich sind, dass Menschen dort nicht sterben würden, weil der Radius der Atomsprengköpfe zu begrenzt ist.
[00:44:47] Florian: Ja, genau. Also insbesondere Russland ist auch einfach halt riesig.
[00:44:51] Stephan: Riesig, ja. Wie wurde diese Modellierung angestellt, dass die Produktion bis 90 Prozent teilweise zurückgehen könnte? Also guckt man sich einfach an: Wie gut wachsen verschiedene Pflanzen, je nachdem, wie viel Sonnenlicht sie erreicht, und dann gehen wir von den gleichen Flächen aus und schauen eben, wie doll der Ertrag gesunken ist?
[00:44:13] Florian: Ja genau, also du gehst einmal halt über die Pflanzen an sich, weil du weißt ja ziemlich gut: Okay, wenn wir Weizen haben, der hat halt die und die Ansprüche, damit er weiter Weizen produziert. Dementsprechend, wenn die halt nicht mehr gegeben sind, dann kannst du da halt einfach nicht mehr diese Pflanze anbauen. Und insbesondere in den größeren Atomkriegen, da hast du einfach halt viele Gebiete, wie irgendwie ein großer Teil der USA, die sind halt einfach erstmal für zwei Jahre weitestgehend unter Gefrierpunkt und dementsprechend kannst du da halt sowieso keine Pflanzen mehr hinmachen, wenn du halt einen All-Out-Nuklear-War hast.
Und die anderen Sachen laufen auch einfach über Modellierung, dass du zum Beispiel… gibt's halt Modelle davon wie Phytoplankton, wie gut der wächst, auch bei verschiedenen Temperaturen. Und dann kannst du von dem Phytoplankton wieder ausgehen: So okay, wenn wir so viel Phytoplankton haben, dann haben wir so viele Fische. Also geht einfach sehr viel über Modellierung davon, weil wir jetzt ja auch wissen, was sozusagen die Ranges sind, in denen dieses Wachstum einfach von Lebewesen stattfindet.
[00:46:15] Stephan: Bei den Fischen stelle ich es mir deutlich schwieriger vor. Wir kommen später noch zu Meeresalgen als potenzielle Gegenmaßnahme. Und so wie ich es verstehe, wachsen die gegebenenfalls sogar besser bei schlimmeren Szenarien, weil du mehr Umwälzung des Ozeans hast und deswegen mehr Nährstoffe an die Oberfläche kommen. Warum stimmt das für das Phytoplankton nicht oder nicht so sehr? Also wir sehen immer noch eine… Modelliert ist immer noch, dass die Fischproduktion in Anführungszeichen runtergeht, aber nicht so stark.
[00:46:47] Florian: Ja, genau. Also das ist auch noch so ein bisschen schwierig einzuschätzen, wie gut sich dann Phytoplankton und Seaweed dann vergleichen lassen. Aber zumindest von den Sachen, die wir geforscht haben und den Gesprächen mit Seaweed-Expertinnen, die ich hatte, war es halt so, dass: der Phytoplankton ist anscheinend mehr durch Eisen limitiert, was wir auch nicht so viel haben, auch wenn wir diese Umwälzung haben von dem Nuklearkrieg, während Seaweed, das halt weniger ist, und wir dementsprechend davon ausgehen, dass das Seaweed halt besser wächst, weil es einfach halt durch paar Sachen nicht limitiert ist, wo der Phytoplankton limitiert ist.
[00:47:28] Stephan: Welche Nährstoffe brauchen Meeresalgen? Phosphor, Stickstoff?
[00:47:43] Florian: Ja genau, also Phosphor, Stickstoff brauchst du einfach halt am meisten, weil das ja so die Hauptnährstoffe sind, die einfach wir alle brauchen. Und welche Mikronährstoffe jetzt alle insgesamt, weiß ich gar nicht genau, aber mit Stickstoff und Phosphor hast du schon so die größten Sachen abgesteckt und die werden halt dann in diesen Szenarien, insbesondere viel nach oben wieder transportiert durch die Meeresströmung.
[00:47:58] Stephan: Okay, verstanden. Lass uns einmal mit den Mitigationsmaßnahmen anfangen, die wir wahrscheinlich sowieso ergreifen würden, auch ohne eure Arbeit quasi. Also, wir haben gewisse Puffer, die wir auch in Friedenszeiten haben, nämlich, dass wir unglaublich viel Nahrung an Tiere verfüttern. Wir haben diese Tiere auch einfach physisch vorhanden. Wir verwenden zum Beispiel Mais, um Biokraftstoffe herzustellen. Und wir verschwenden Lebensmittel. Wie groß sind diese Faktoren? Da wäre ja ein großer Anreiz da, die zurückzufahren. Wie viel würde das ausmachen?
[00:48:40] Florian: Genau, also wir haben jetzt definitiv viel Spielraum in unserem System eigentlich. Also wenn man sich das anguckt: Wir produzieren so ganz grob ungefähr doppelt so viele Lebensmittel, wie wir theoretisch bräuchten. Aber wie du schon gesagt hast, davon geht halt viel in Abfall, viel in Biokraftstoffe, aber insbesondere halt viel auf Tierhaltung. Also Tierhaltung ist mehr oder weniger der größte Puffer, den wir im System haben. Also, wie du schon gesagt hast, du kannst dann auch einfach die Tiere essen. Und Tiere, die du gegessen hast, brauchen auch kein Futter mehr. Dementsprechend kannst du das dann auch einfach zu Menschen umlenken. Also da besteht schon an sich ein großer Puffer. Da ist nur wieder das Problem, dass dieser Puffer auch räumlich sehr ungleich verteilt ist. Es gibt halt schon ein paar Länder, die einfach extrem viel Tierhaltung machen. Zum Beispiel halt, wie bei fast allen Sachen, die USA. Aber das bringt halt in einem Land nichts, was halt super weit weg ist, wenn kein Handel mehr da ist, weil dann trotzdem halt die extra Lebensmittel, die in den USA zum Beispiel eigentlich da wären, halt nicht den Weg darüber finden.
[00:49:42] Stephan: In der Abwägung: Welche Puffer, von denen, würdest du behalten wollen? Also ist es gut, dass wir einen Teil unserer Lebensmittel verschwenden? Ist es gut, dass wir Biokraftstoffe herstellen? Ist es vertretbar, dass wir wegen dieses Puffers Tieren so viel Leid antun?
[00:49:59] Florian: Ja, das ist eine echt knifflige Frage. Also da bin ich auch noch nicht so zu einer befriedigenden Antwort für mich gekommen, weil offensichtlich ist Tierhaltung richtig scheiße und ich fände es eigentlich gut, wenn wir keine Massentierhaltung machen würden. Aber es ist auch sozusagen schon ein Puffer in dem System, der halt für so globale Katastrophen schon sehr hilfreich sein könnte.
Also das optimale Szenario wäre halt irgendwie, dass wir Tierhaltung einfach aufhören und uns halt einfach andere Resilienzstrategien überlegen, wie wir halt damit besser umgehen können. Weil das Problem ist ja auch so ein bisschen so: Wir müssen uns jetzt auf diese Sachen verlassen, weil wir halt uns um die anderen Sachen nicht gekümmert haben. Und wenn wir einfach halt in andere Systeme rein investieren würden, dann bräuchten wir halt nicht mehr diese Hilfspuffer, mehr oder weniger, und könnten dann halt da das beenden.
[00:55:54] Stephan: Und a priori würde man wahrscheinlich denken, dass die Resilienz-Maßnahmen, die eben auf Resilienz abzielen, effektiver sein könnten als die, die uns aus Versehen sozusagen resilienter machen. Ja. Und wahrscheinlich stimmt das auch, oder?
[00:51:13] Florian: Ja, ich denke schon. Also ich kann mir vorstellen, dass insbesondere wenn man über so Biokraftstoffe nachdenkt, wenn man die sozusagen mehr nutzt als die Tierhaltung, also zum Beispiel das Seaweed, was wir jetzt schon ein paar Mal erwähnt haben, das kann man ja auch in Biokraftstoffe umwandeln. Und dann könnte man auch einfach theoretisch sagen, so: Okay, wir bauen halt eine große Biokraftstoffindustrie auf, die wir halt sowieso brauchen, weil wir für andere Sachen diesen Kraftstoff brauchen. Und haben dann diese ganze Nahrung, die wir jetzt normalerweise da rein füttern, könnten wir dann halt im Extremfall umleiten zum Beispiel.
[00:51:51] Stephan: Wir kommen jetzt gleich zu ein paar Anpassungsmaßnahmen, sowas wie der Anbau von Meeresalgen, aber vielleicht erstmal bevor wir in die konkreten Maßnahmen gehen: Welche Makronährstoffe bzw. bräuchten wir alle Makronährstoffe auch in Krisenfällen? Müssen wir sehr darauf achten, dass wir Proteine und Kohlenhydrate und Fette alle immer noch in unserer Ernährung haben?
[00:52:19] Florian: Ja, schon. Also es ist auf jeden Fall besser, wenn wir es hinbekommen, eine Diät dann zu produzieren, die halt diese ganzen Sachen abdeckt. Aber die Option hast du wahrscheinlich dann nicht überall. Also dass es halt schon Länder gibt, die halt sich für manche Sachen sehr gut eignen, aber dass du halt dann nicht alles rundum produzieren kannst, was du eigentlich bräuchtest.
Also wir haben auch bei ALLFED ein Modell, wo wir versuchen halt unsere ganzen Forschungsströme zusammenzubringen. Und wenn man das halt laufen lässt und sagt, so: Okay, wir machen alle Anpassungen, die wir uns jemals angeschaut haben, dann könntest du theoretisch auch für alle Leute, auch in wirklich den Extremszenarien, genug Lebensmittel bereitstellen und auch genug von den Makronährstoffen allen bereitstellen. Aber da ist dann wieder so ein bisschen die Annahme dabei: So okay, wir machen Handel weiter und tauschen halt einfach untereinander die Sachen, die wir brauchen. Und das wäre halt in einer echten Katastrophe wahrscheinlich sehr viel schwieriger zu organisieren.
[00:53:25] Stephan: Aber trotzdem erstmal eine positive Nachricht, dass es zumindest theoretisch möglich ist, dass es ein Problem ist, was überhaupt lösbar ist.
Erklär einmal, wie optimalerweise der Handel und der Tausch von Lebensmitteln oder eben auch von Saatgut aussehen müsste.
[00:53:43] Florian: Also an sich läuft Handel ja jetzt eigentlich schon so, wie er müsste. Also klar, wir haben noch Verteilungsprobleme, aber wir können schon dafür sorgen, dass halt jederzeit überall Essen hinkommen könnte und auch die Länder ja normalerweise die Sachen handeln, die sie jetzt schon brauchen. Also wenn wir einfach das System, wie es jetzt ungefähr ist, weitermachen könnten, das wäre schon sehr wertvoll… Warte, ich hatte gerade noch einen zweiten Punkt...
[00:54:13] Stephan: Zweiter Punkt vielleicht, wie es sich de facto ändern wird?
[00:54:17] Florian: Ach genau, ja genau. Nämlich das Hauptproblem, was du dann halt einfach aber hast bei so globalen Katastrophen, ist, dass das Handelssystem darauf beruht, dass alle mitmachen wollen. Und das haben wir jetzt auch jetzt schon bei kleineren Nahrungsmittel-Produktions-Schocks gesehen, dass sobald halt ein Land anfängt zu sagen so: „Wir hatten dieses Jahr echt nicht so viel Reis zum Beispiel. Das heißt, wir hören jetzt auf, Reis zu exportieren, weil wir wollen sicherstellen, dass unsere Bevölkerung auf jeden Fall genug Reis hat.” Und dann sagt halt das nächste Land so ein bisschen so: „Boah, wenn die jetzt nicht mehr exportieren, dann exportiere ich auch lieber nicht mehr, weil ich möchte ja auch sicher gehen, dass mein Land genug Reis hat.” Aber wenn das dann halt alle machen, dann hast du wie so eine Kaskade, die einmal durch das ganze System durchgeht. Und wo dann einfach alle sagen so: „Ja okay, dann handeln wir jetzt lieber erstmal nicht mehr.” Was dann dich in die Situation bringt, dass halt eigentlich genug Essen da ist, aber weil die Leute halt nicht mehr miteinander handeln, es halt nicht mehr verteilt wird. Und diesen Anfangspunkt, den möchtest du eigentlich irgendwie vermeiden. Also du brauchst eigentlich irgendwie sowas wie so gemeinsame Verträge, Abmachung, wo die Leute einfach sagen: „Ja, nee, wir haben uns jetzt vorher darauf geeinigt, also klar, jetzt haben wir nicht so viel Reis, aber wir wissen ja, eigentlich ist ja genug Reis da. Das heißt, wir handeln jetzt einfach trotzdem weiter.” Und diese Abmachung müsstest du halt irgendwie haben, sowas zu vermeiden.
[00:55:39] Stephan: Es wäre besonders tragisch, weil dann diese Positiv-Summen-Spiele eigentlich sogar möglich wären. Hast du manchmal nicht dann auch noch die Schwierigkeit, dass du einen zeitlichen Verzug hast? Also, du würdest einen Teil der Produktion von Kartoffeln, zum Beispiel aus England, aus Westeuropa, in die Tropen verlegen, weil es dort immer noch warm genug ist? Und dann handelst du auf der einen Seite die Setzlinge und kriegst dann später die Kartoffeln wieder und kannst dich aber vielleicht nicht darauf verlassen.
[00:56:10] Stephan: Ja, genau. Also das ist definitiv sehr darauf basiert, dass die Länder sich halt in irgendeiner Form vertrauen und dass du halt sagst: „Okay, wir geben dir jetzt das Saatgut und dafür gibst du uns in einem Jahr die Kartoffeln zurück.” Was halt insbesondere nach so was wie einem Atomkrieg halt echt schwierig sein könnte. Dementsprechend brauchst du da halt auch wieder irgendwelche Vorkehrungen oder Abmachungen, die du vorher getroffen hast.
Zu der Frage, dass du diesen Lag hast zwischen, okay, Katastrophe findet statt und wir fangen jetzt an, unsere alternativen Nahrungsmittel hochzuziehen: Wir haben so gefunden, dass halt so die schnellsten Sachen also mindestens ein halbes Jahr brauchen, eher ein ganzes Jahr, manche auch länger. Und du hast auf der Erde so insgesamt…so Nahrungsmittel für so vier, sechs, sieben Monate, um halt die Leute weiter zu ernähren, wenn jetzt von heute auf morgen auf einmal kein neues Essen mehr dazukommt. Das heißt aber, dass du halt so zwischen… also die entscheidende Zeit ist einfach so zwischen sechs Monate bis ein Jahr nach der Katastrophe, weil du da halt dann in diesen fiesen Zeitraum reinrennst, wo halt deine Lebensmittel, die du vorher schon hattest, sehr viel niedriger werden, aber viele von den Sachen, die du alternativ machen kannst, noch nicht die Menge haben, die du eigentlich bräuchtest.
[00:57:32] Stephan: Es ist natürlich schwierig zu wissen, aber was wäre deine subjektive Wahrscheinlichkeit, dass wir weiter auf Handel und Kooperation hoffen dürfen?
[00:57:42] Florian: Ja, ich kann nicht wirklich eine Zahl draufsetzen. Also dafür spielen da einfach zu viele unbekannte Faktoren rein. Aber wenn es jetzt morgen passieren würde, wäre ich nicht so super optimistisch. Einfach weil wir halt noch… weil wir einfach noch nicht diese ganzen Verträge da haben oder Abmachungen haben, die uns halt dabei helfen würden. Also, ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass in den letzten Jahren so das Interesse an globalen Katastrophen schon ein bisschen gewachsen ist. Also zum Beispiel, dass Großbritannien jetzt dieses Risk Register hat, wo sie auch halt diese ganzen globalen Sachen, wie irgendwie Atomkrieg oder große Vulkanausbrüche mit drin haben. Aber ich kann mir vorstellen, dass es halt schon noch irgendwie, keine Ahnung, ein, zwei Jahrzehnte braucht, bis das sich mehr diffundiert hat und die Leute auch wirklich Pläne machen, was man dann machen könnte. Aber jetzt so, wenn es morgen passiert, dann wäre ich schon ein bisschen nervös.
[00:58:44] Stephan: Ja, das ist auch eine Art, wie ALLFED versucht, Gutes zu tun, letztlich dadurch, dass sie die Botschaft erstmal verbreiten, dass durch Kooperation viel möglich wäre und eben auch konkret mit Staaten, mit internationalen Organisationen zu reden, oder?
[00:59:04] Florian: Ja, voll. Und allein halt, dass die Leute anfangen, über diese Sachen nachzudenken, dass das halt einfach wirklich eine Sache ist, die passieren könnte und die sehr, sehr schlecht wäre.
Ich war zum Beispiel dieses Jahr auf einer Konferenz und habe da auch einen Vortrag gehalten über Seaweed und Nuclear Winter, in einer Session, wo auch ein paar Vulkanologen drin saßen und danach habe ich mich mit einem von denen unterhalten und dann war er so: „Ja stimmt, jetzt wo du das so gesagt hast. Es kann ja auch voll die krassen negativen Konsequenzen haben, wenn diese riesigen Vulkan ausbrechen. Da hab ich noch gar nicht drüber nachgedacht.” Und das war halt ein bisschen so: „Was?! Also wie kannst du daran forschen und nicht darüber nachdenken?! Aber freut mich, dass ich dich jetzt ein bisschen inspirieren konnte.”
[00:59:49] Stephan: Ja, ich glaube, ich finde es gar nicht so verwunderlich, denn du bist dann in deinem Forschungsgebiet und fokussierst dich auf deine engen Fragen und manchmal stellt man sich die offensichtlichsten Fragen nicht. Der Fisch fragt den anderen: „Was zum Himmel ist Wasser?”
[01:00:04] Florian: Ja, das stimmt.
[01:00:05] Stephan: Jetzt zu den konkreteren Optionen, die wir haben, um verschiedene Nährstoffe herzustellen, die ihr erforscht habt. Fangen wir mal an mit Einzellerproteinen. Was ist das? Wie würden wir die herstellen?
[01:00:29] Florian: Ja genau, also Einzeller-Proteine sind eine ganz coole Sache. Das gibt es auch jetzt schon. Also das ist kein Science Fiction. Du hast einfach wie so einen kleinen Bioreaktor. In dem wohnen ganz viele Bakterien und andere Einzeller. Da gibst du dann einfach Nährstoffe rein. Und dann verarbeiten die das und du kriegst am Ende mehr oder weniger sozusagen die fertigen gereiften Einzeller… mehr oder weniger, trocknest die und hast dann wie so kleine Pellets. Also es wird gerade noch als Fischfutter verwendet viel, aber an sich ist es auch einfach für Menschen völlig genießbar und eine sehr, sehr gute Proteinquelle vor allem.
Was daran auch noch cool ist: Es ist halt komplett unabhängig von dem, was draußen passiert. Also du hast einfach diesen Bioreaktor, da kippst du oben Nährstoffe rein, unten kommt Essen raus. Also quasi sehr vereinfacht dargestellt. Und dementsprechend kannst du den auch einfach irgendwo drinnen stehen haben und auch nutzen, wenn jetzt draußen zum Beispiel gerade ein sehr großer Vulkan ausgebrochen ist. Solange du noch Strom hast und die Nährstoffe hast, ist diesem Bioreaktor völlig egal, was draußen vor der Haustür passiert.
[01:01:25] Stephan: Und die Produktion ist relativ effizient und günstig? Ihr versucht immer zu quantifizieren, wie teuer was pro Kilokalorie Nahrung wäre?
[01:01:38] Florian: Ja genau, also das wäre auch definitiv ein günstiges Nahrungsmittel, also was ja auch irgendwie Sinn macht, dass man es jetzt als Fischfutter verwenden kann, weil wenn es halt sehr teuer wäre, dann wäre das irgendwie eine weirde Art von Fischfutter. Und ja, das wäre definitiv eine relativ günstige Art, die man auch theoretisch gut hochskalieren könnte und auch einfach jetzt auch schon hochskalieren könnte, weil du hast ja auch heutzutage das Problem, dass viele Leute einfach keine günstigen Proteinquellen zur Verfügung haben. Und wenn du halt sowas bereitstellen könntest, wäre das halt schon echt sehr praktisch, also auch heute schon.
[01:02:10] Stephan: Muss man sich das anders vorstellen als die Bioreaktoren, die für Fleischimitate oder eben auch tatsächliches Fleisch, aber im Reaktor erzeugt, benutzt werden oder in Entwicklung sind?
[01:02:24] Florian: Also so super genau die Details weiß ich nicht, weil mein Kollege daran forscht und nicht ich, aber so prinzipiell ist es glaube ich schon ein einfacheres Verfahren. Also was ich halt von diesen künstlichen fleischproduzierenden Reaktoren mitbekommen habe, ist ja, dass die einfach halt sehr diffizil sind und du halt sehr genau aufpassen musst, dass alles immer so ultra krass genau ist, sonst stirbt alles oder vergammelt sofort. Zumindest die Sachen, die ich von den Single-Cell-Proteinsachen mitbekommen habe, dass die ein bisschen pflegeleichter sind.
[01:02:67] Stephan: Zweite Maßnahme wäre die Umrüstung von Papierfabriken, damit wir Zucker produzieren können. Was kannst du uns dazu sagen?
[01:03:07] Florian: Genau, also ich kann kein Papier essen, aber es gibt halt Enzyme, die halt Zellulose aufbrechen können, dass du Zucker hast und wenn wir uns Papierfabriken anschauen, die haben halt mehr oder weniger schon alles da, also die nehmen Bäume und machen Papier draus, aber du könntest die auch rein theoretisch mit relativ wenig, in Anführungszeichen, Aufwand umrüsten, dass sie halt nicht Papier produzieren, sondern Zucker, indem sie einfach die Zellulose nehmen, die Enzyme draufschmeißen und dann der Zucker rauskommt statt dem Papier. Das wäre halt eine Option. Und das ist dann einfach ganz gut, dass du halt die sehr günstig, einfach halt sehr viel Kalorien erzeugen kannst, damit die Leute das auf jeden Fall auch mal haben. Du könntest damit logischerweise nicht helfen, was irgendwie so Fette oder Proteine angeht, aber so allein die pure Kalorienmengen, die du dadurch produzierst, könnte halt schon sehr hoch sein.
[01:04:05] Stephan: ALLFED hatte mal, oder hat wahrscheinlich immer noch, Pläne, das tatsächlich mal auszuprobieren. Gibt's da irgendwelche Fortschritte?
[01:04:12] Florian: Ja, also das würden wir an sich gerne machen. Das Problem ist halt nur so ein bisschen, dass halt das ein extrem teures Projekt wäre. Also, weil du müsstest halt einfach eine ganze Papierfabrik kaufen, was jetzt nicht unbedingt günstig ist. Und dann musst du die ja auch noch komplett umbauen. Und das könnten wir ja auch nicht machen, weil wir auch keine Ingenieure für solche Sachen sind. Dementsprechend müsstest du wahrscheinlich noch einen Haufen Leute anstellen, die diese Umbauten machen könnten. Also es wäre schon ein sehr großes Projekt, was bestimmte, diverse Millionen kosten würde. Und die haben wir einfach im Moment nicht.
[01:04:48] Stephan: Und es braucht schon die Philanthropie, weil es zu spekulativ ist für potenzielle Zuckerproduzenten?
[01:04:57] Florian: Ja, für potenzielle Zuckerproduzenten, die haben halt nicht so den super Anreiz, weil, also klar, das ist halt cool, wenn du eh grad deine Papierfabrik verkaufen möchtest, aber heute daraus Zucker zu machen, rentiert sich nicht so richtig, weil wir haben halt schon andere Methoden Zucker zu machen, die halt viel günstiger sind. Dementsprechend rechnet sich das für die heute gar nicht. Also das müsste schon von der Person abgekauft werden.
[01:05:17] Stephan: Ja und das… Ginge noch viel Entwicklung da rein und selbst wenn es fertig entwickelt ist, ist die Frage, ob es ähnlich günstig oder teurer oder günstiger ist als die derzeitigen Methoden.
[01:05:30] Florian: Ja, genau. Also Zuckerrüben sind halt viel einfacher.
[01:05:33] Stephan: Ja. Wir können auch Biomasse benutzen. Also die natürliche Art davon wären Pilze, aber wir können sie auch direkter zu Nahrung machen, oder?
[01:05:44] Florian: Genau, also wie du schon gemeint hast, also einmal hast du die Pilz-Option, dass du einfach Pilze auf Biomasse wachsen lässt. Aber was auch eine Sache ist, die wir uns schon ein bisschen angeguckt haben: Du hast ja potenziell auch einfach sehr viele Blätter nach einer Katastrophe, die das Sonnenlicht abdunkelt, weil die ganzen Bäume sterben. Und dann kam halt so ein bisschen die Frage auf: „Okay, können wir diese Blätter noch für irgendwas gebrauchen?” Blätter an sich sind nämlich halt auch eigentlich relativ nährstoffreich. Ist halt auch nur wieder so was, was wir als Mensch nicht direkt verdauen können. Aber du kannst, wenn du diese Blätter klein reibst und das dann abkochst, dann bekommst du halt… dann kannst du oben die Proteine mehr oder weniger abschöpfen. Und die kannst du dann auch wieder essen. Also das wäre auch so ein bisschen so eine Low-Tech-Solution, die man machen könnte. Also klar, man kann das auch in einer sehr großen Skala machen. Und das wäre auch theoretisch was, das könntest du jetzt morgen bei dir daheim ausprobieren?
[01:06:36] Stephan: Ich hab den Grunewald um die Ecke. Ich könnte das einsammeln, das ist auch ... dann malm ich mir die klein und koch die. Hat das mal jemand von euch ausprobiert? Wie schmeckt das? Wie lange dauert das? Kann man das mit allen Blättern machen? Ist das sicher?
[01:06_50] Florian: Nee, du kannst es nicht mit allen Blättern machen. Also das war auch so ein bisschen so eine Frage, die uns dann beschäftigt hat, dass wir gemerkt haben, so, ja: „Welche Baumblätter sind denn eigentlich alles giftig?” Da war es dann irgendwie auch so ein bisschen schwierig, passende Forschungen dazu zu finden, damit man halt so ein bisschen gucken kann: „Was ist überhaupt das globale Potenzial davon?” Das hat auch schon jemand im Team ausprobiert, wenn ich mich recht erinnere, also auch für ein Paper. Aber da weiß ich auch gerade die Details nicht, muss ich gestehen.
[01:07:19] Stephan: Ich glaube, du hast einen Artikel in Arbeit, der Snacks für die Apokalypse heißt, oder? Kommt das da drin vor?
[01:07:28] Florian: Ja genau, also der ist für meinen Blog, über den wir auch nachher noch quatschen wollten. Und da wollte ich mir einfach ein bisschen halt diese ganzen Resilient-Foods anschauen, die wir bei ALLFED erforscht haben. Einfach, weil es da interessant sein könnte, beziehungsweise das mal in leicht zugänglicher Form aufzuarbeiten, weil bisher gibt es halt größtenteils einfach nur Paper.
[01:07:46] Stephan: Dann lass uns zu Meeresalgen kommen, mit denen du dich, glaube ich, besonders ausgiebig beschäftigt hast. Warum sind die überhaupt attraktiv? Die können scheinbar… Da ist scheinbar ziemlich viel Kapazität da, um einen großen Teil des Proteinbedarfs damit zu decken? Wie würden wir die anpflanzen? Wo würden wir die anpflanzen? Fangen wir mal damit an.
[01:08:11] Florian: Genau, das „Wo” kommt auf die Katastrophe ein bisschen an, wie groß die war, aber tendenziell also Richtung Äquator. Einfach, weil zum Äquator bleibt es halt auch bei einem großen Vulkanausbruch oder einem großen Krieg weiterhin warm und einigermaßen hell. Also auf jeden Fall hell und warm genug für verschiedene Meeresalgen. Zieht sich so ein bisschen wie so ein Gürtel um die ganze Erde drumherum, also wie halt der Äquator. Aber die Dicke, wie weit es dann nach Norden und Süden reicht, variiert halt stark. Aber du hast halt schon einige Orte, wo man auch heute das schon gut machen könnte, irgendwie so Peru oder Indonesien.
[01:08:47] Stephan: Wie würde man den Anbau konkret machen? Also es braucht nicht viel Technik, oder?
[01:08:52] Florian: Genau, es gibt verschiedene Optionen. Also, einmal haben wir uns halt auch Meeresalgen angeschaut, weil du das mit relativ wenig Technik machen kannst. Also einen… für die simpelsten Anbaumethoden brauchst du halt ein Seil, wo du dann die Algen drin befestigst. Zwei Bojen am Ende, damit das in der Höhe hängt, die gut für die Meeresalge ist, von der Helligkeit her. Und dann noch zwei Anker, was auch einfach ein Stein sein kann, damit es halt nicht wegtreibt. Du kannst es aber halt auch noch nach Belieben komplexer machen. Wenn man sich heute Meeresalgen-Landwirtschaft anschaut, die variiert auch sehr stark in ihrer Technisierung. Also da gibt es einmal diese super Low-Tech-Variante, aber es gibt auch Versuche, dass du so gigantische Flöße hast, die einfach über den Ozean treiben und halbautomatisch abgeerntet werden.
[01:09:41] Stephan: Genau. Wie funktioniert die Ernte? Du kommst dann mit deinem Boot – in der wenig technisierten Variante – du kommst mit deinem Boot und schneidest das einfach ab und lässt ein bisschen was übrig, was dann wieder weiter wächst?
[01:09:52] Florian: Ja, genau.
[01:09:52] Stephan: Okay. Und wie schnell wachsen die?
[01:09:56] Florian: Variiert sehr stark je nach Sorte und Umweltfaktor, also wie dicht das beschattet ist, zum Beispiel. Aber auch einer der Gründe, warum wir es ausgewählt haben, ist, dass viele Meeresalgenarten einfach sehr schnell wachsen können. Die, die wir jetzt im genauen angeguckt haben, Crassularia, die hat halt unter optimalen Bedingungen kann die halt 30 Prozent pro Tag wachsen, was halt schon echt extrem viel ist. Also logischerweise erreichst du diese Optimalbedingungen im normalen Betrieb nicht, aber das Potenzial ist einfach halt sehr groß.
[01:10:28] Stephan: Und wie viel Prozent der Lösung des Problems könnten die Meeresalgen schlussendlich ausmachen, wenn wir die Produktion hochfahren, wenn wir schauen, dass wir die produzierten Meeresalgen oder die Produkte, die wir daraus gewinnen können, auch handeln und so weiter?
[01:10:46] Florian: Ja, also ganz, ganz theoretisch 100 Prozent, aber, hätte wahrscheinlich niemand Lust drauf, aber sozusagen so ein realistischerer Wert ist wahrscheinlich irgendwie sowas so zehn bis 15 Prozent der Kalorienmenge. Einfach auch, weil da Substanzen drin sind, wie Jod, die auch halt essentiell für den Menschen sind, damit wir nicht draufgehen. Aber wenn du halt einfach dich nur von Seaweed ernähren würdest, Meeresalgen, dann hätte es einfach zur Folge, dass halt irgendwann deine Schilddrüse halt sagt, so: „Nee, können wir nicht machen, gar keine Lust.” Und du musst sie auch irgendwie in dich reinbekommen. Also wir haben auf dem letzten Teamtreffen von ALLFED, haben wir auch ein kleines Experiment gemacht, wo wir halt geguckt haben: „Okay, wir sagen die ganze Zeit zehn, 15 Prozent des Tagesbedarfs in Seaweed, aber kriegt man das denn überhaupt in sich rein?”
[01:11:35] Stephan: Ja, aber ich habe gelesen, ihr habt nur die Algen einfach so direkt gegessen, oder? Bestimmt kann man das dann noch anbraten.
[01:11:41] Florian: Genau. Also man kann das definitiv noch schlauer machen, als wir das gemacht haben, aber das war auch mehr so ein spontaner Test. Wir sind dann einfach halt in den Nachbarladen und haben da die kompletten Nori-Blätter aufgekauft. Und du kannst schon so zehn Prozent von deinen Kalorien in Nori-Blättern essen. Also ich würde es nicht empfehlen, dauerhaft, weil es auch einfach nicht so geil ist. Wenn man das, insbesondere wenn man das halt schlauer macht, als einfach Nori-Blätter in sich rein zu stopfen, dann ist das schon ein Wert, mit dem man wahrscheinlich ganz gut klarkommen kann.
[01:12:06] Stephan: Erklär ein bisschen, wie eine höhere Meeresalgen-Produktion auch in Nicht-Katastrophenfällen für die Menschheit nützlich sein könnte.
[01:12:16] Florian: Also Meeresalgen sind einfach anzubauen, wachsen schnell, nährstoffreich und die Food and Agricultural Organization schreibt auch mehr oder weniger alle zehn Jahre einen neuen Forschungsbericht, wo sie sagen so: „Hey Leute, es gibt super viele Staaten, die jetzt schon sehr gut Meeresalgen anbauen könnten und dadurch ihre Ernährungssicherung stark verbessern könnten, aber sie machen es halt nicht, aus welchen Gründen auch immer.” Aber da besteht auf jeden Fall viel Potenzial, mit Meeresalgen auch schon heute die Ernährungssicherheit von sehr vielen Leuten zu erhöhen.
[01:12:53] Stephan: Habt ihr euch oder hast du dir zufällig auch angeschaut, wie nützlich Meeresalgen bei der Sequestrierung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre sein könnten? Man könnte vielleicht eine große Kapazität haben. Wir haben riesige Meeresalgen-Felder und in Friedenszeiten schneiden wir die einfach ab und lassen die Algen in die Tiefe des Ozeans sinken und in Krisenzeiten würden wir sie halt essen.
[01:13:15] Florian: Ja genau, also das wäre auch definitiv eine Option. Also das ist auch eher noch sehr frühe Forschung zu dieser Frage, also okay: „Wie können wir denn Meeresalgen dazu nutzen, den Klimawandel vielleicht ein bisschen zu mitigieren?” Aber die Idee ist, wie du schon gemeint hast, so okay: Wenn man die einfach auf den Meeresboden sinken lässt, dann ist das CO2 oder der Kohlenstoff, der daran gebunden ist, bleibt dann da erstmal, weil bis halt Sachen vom Meeresgrund wieder nach oben kommen, dauert halt eine Weile. Dementsprechend könnte man das machen. Gibt es auch eine sehr interessante Studie dazu, die einfach global ausgerechnet hat, wo das irgendwie am günstigsten oder am teuersten ist. Wenn ich mich recht erinnere, geht es so in die Richtung, so 100 Dollar pro Tonne an den besten Orten, was schon eine echt ganz gute Menge ist. Also vor allem, wenn man es mit den Sachen vergleicht, die wir heute so haben. Aber müsste man schon wahrscheinlich noch ein bisschen optimieren, wenn man es wirklich auf sehr großer Skala machen wollen würde.
[01:14:08] Stephan: Ja, ich glaube insbesondere die direkte Filtrierung aus der Luft ist immer noch teurer. Also, es klingt vielversprechend. Plus, wir hätten ja eben diesen riesigen Vorteil der Vorsorge, den wir bei anderen Methoden der Sequestrierung von Kohlenstoff nicht hätten.
[01:14:23] Florian: Ja.
[01:14:24] Stephan: Wir haben viel über gesellschaftliche Präventivmaßnahmen oder auch Mitigationsmaßnahmen geredet. Gibt es was, was du persönlich empfehlen würdest?
[01:14:34] Florian: Ja, das Ding ist so ein bisschen, was ich halt gemerkt habe, ist: Das Problem für viele von diesen großen Katastrophen, kannst du halt privat nicht so wirklich viel machen. Also du brauchst halt schon irgendwie einen Staat oder internationale Organisationen, die das organisieren und koordinieren, weil ich kann jetzt nicht zu Hause eine riesige Seaweed-Farm aufmachen, also insbesondere in Mitteldeutschland wird das schwierig. Also man braucht sozusagen schon die gesellschaftliche Lösung, aber was man halt machen kann, ist sich in dem Staat, wo man jetzt schon lebt, dafür einsetzen, dass das halt einfach Themen sind, um die sich mehr gekümmert wird. Aber abgesehen davon, was halt immer Sinn macht, so von der Katastrophenschutz her, einfach halt genug da haben. Halt zehn Tage auch mal einen Stromausfall auszuhalten… hilft dir nicht nach einem Atomkrieg wahrscheinlich, aber bei vielen anderen Sachen schon.
[01:15:21] Stephan: Ja, selbst beim Atomkrieg wird zumindest das Wasser helfen. Du musst im Zweifel schnell Wasser einlassen in die Badewanne oder sowas und musst genug für einige Tage haben.
Und das wird schon helfen, weil zumindest die Radioaktivität, die wird relativ schnell weniger schlimm, also es fällt ja exponentiell ab.
[01:15:40] Florian: Ja, das stimmt.
[01:15:41] Stephan: Also einfach das, was – ich glaube, die wenigsten machen es und man muss auch keinen Atomkrieg heraufbeschwören oder dieses Szenario an die Wand malen – einfach, wenn du einen schlimmen Sturm hast und so weiter, ist es gut, wenn du dich ein paar Tage selbst versorgen kannst.
[01:15:57] Florian: Das ist auf jeden Fall sinnvoll.
[01:15:58] Stephan: Es ist in vielen Szenarien sinnvoll, aber du wirst sehr schwierig dich über lange Zeit selber versorgen können oder so viel bevorraten, dass das lange hilft.
Was ist mit der langsamen Katastrophe sozusagen, der langsamen Veränderung unseres Klimas durch den Klimawandel? Wie wird sich das in den nächsten Jahrzehnten auf die Nahrungsmittelproduktion auswirken?
[01:16:22] Florian: Ja, das ist eine spannende Frage. Also, ich habe so ein bisschen das Gefühl, bei der Frage: „Wie wirkt sich Klimawandel auf die Nahrungsmittelproduktion aus?”, gibt es so ein bisschen so zwei Möglichkeiten, wie man da drauf gucken kann. Also was halt viel gemacht wird, ist, dass die Leute einfach eine Studie machen und gucken: „Okay, wir nehmen die Landwirtschaft, wie sie jetzt ist, und sagen, es wird irgendwie zwei Grad wärmer.” Und dann ist das offensichtliche Ergebnis davon so ein bisschen so: Die Pflanzen kommen damit schlechter klar, weil sie jetzt halt nicht mehr da wachsen, wo sie gut wachsen. Aber es gibt auch schon Studien, die zeigen: Wenn wir jetzt einfach eine Anpassung machen – also wir können ja auch den Weizen irgendwie 100 Kilometer weiter nördlich wachsen lassen oder wir können neue Sorten nehmen, wir können anpassen, wann wir ernten und wann wir säen – und mit diesen Sachen sieht es schon so aus, als ob man eigentlich den Einfluss in den meisten Staaten echt ganz gut in Griff bekommen kann. Also klar, du hast halt auch schon Orte, die halt jetzt schon an der Grenze sind, was Ackerbau angeht. Und wenn die noch heißer werden, ja, dann kannst du da halt einfach keinen Ackerbau mehr machen, no matter what. Aber für so die Erde an sich haben wir eigentlich genug Optionen, wie wir unsere Landwirtschaft anpassen könnten, dass wir auch halt bei zwei, drei Grad wärmer noch dieselbe Menge Nahrung produzieren, wie wir es heute machen.
[01:17:43] Stephan: Und vermutlich spielt der ökonomische Aspekt ganz doll mit rein, weil du selbst in den heißesten Regionen höher technisierte Lösungen haben könntest, dass du ganz viel Lebensmittel in großen Hallen produzierst und möglichst wenig Wasser entweichen lässt und so weiter. Das gibt es selbst in Wüstenregionen.
Und wir haben noch viel, theoretisch, ja viel Kapazität insofern, dass der Ertrag pro Fläche weltweit ganz unterschiedlich ist, oder?
[01:18:15] Florian: Ja, voll.
[01:18:16] Stephan: Du hast einen interessanten Fachartikel geschrieben, in dem es darum geht, wie der Fokus der IPCC-Berichte, also vom Intergovernmental Panel for Climate Change, sich verändert hat, über die Jahre. Und zwar, sich insofern verändert hat, dass sie sich niedrigere Temperaturen und die Auswirkungen von weniger ausgeprägten Klimawandel zunehmend mehr anschauen. Erklär einmal, was die Motivation hinter der Arbeit war und warum das problematisch sein könnte.
[01:18:46] Florian: Genau, also die Motivation dahinter war einfach so: Wir wissen ja, wir kommen wahrscheinlich irgendwie so bei zwei bis drei Grad raus. Also wäre jetzt so mein best guess von allen Sachen, die ich so gelesen habe. Eher Richtung drei als Richtung zwei. Und dementsprechend ist das ja eigentlich der Bereich, der uns am meisten interessieren sollte, weil es ja der Bereich ist, wo wir wahrscheinlich hinkommen werden. Du könntest noch ein anderes Argument machen, dass du sagst: „Okay, vielleicht ist sogar 3 bis 4, oder vielleicht noch ein bisschen höher, eigentlich noch interessanter.” Zwar ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass wir da hinkommen, aber da sind die Schäden halt viel größer. Deswegen wäre es halt schon wichtig, dass wir das sehr gut verstehen. Und es gibt ja die IPCC-Berichte, die alle paar Jahre rauskommen, wo versucht wird, den aktuellen Forschungsstand: „Was wissen wir denn eigentlich über den Klimawandel?”, komplett so umfassend wie möglich zusammenzufassen. Was wir dann gemacht haben, ist, dass wir einfach diese ganzen Berichte genommen haben, die alle eingelesen haben, und einfach ganz stumpf gezählt haben, wie oft werden verschiedene Temperaturen erwähnt. Also 1°, 2°, 3° und so weiter.
Was sich dann ziemlich klar zeigt ist, dass du halt: So die ersten drei, vier Berichte hattest du noch relativ viel, so in diesem zwei bis drei und höher Bereich. Aber gerade für die letzten zwei ist das sehr zurückgegangen. Und was wir auch gefunden haben ist, dass insbesondere die Nennungen von 1,5° halt sehr stark zugenommen haben. Was ja auch irgendwie Sinn macht, weil 1,5 Grad ist halt das Ziel, auf das wir uns geeinigt haben, wo wir alle gerne hinkommen würden und dementsprechend fokussieren sich halt viele Leute darauf. Was irgendwie auch verständlich ist, aber so von der Perspektive her, wo wir uns gerade hinbewegen, ist es halt so ein bisschen besorgniserregend, weil es ja schon gut wäre, wenn wir das Szenario am besten verstehen, wo wir auch wahrscheinlich hinkommen werden. Und nicht das, was wir uns wünschen.
[01:20:38] Stephan: Glaubst du, dahinter steckt ein Kommunikationsproblem, was ihr vielleicht ähnlich bei ALLFED auch habt? Dass, wenn Klimawissenschaftler viel darüber reden, was bei drei Grad passiert, sie die Sorge haben, dass es so klingt, als sei eine Erwärmung weniger als zwei Grad irgendwie okay oder vertretbar im Vergleich? Und dann ist die Sorge: Mein Gegenüber denkt, das wird schon nicht so schlimm werden.
[01:21:06] Florian: Ja, kann definitiv ein Faktor sein. Also ich glaube – wenig überraschend – denken viele Leute nicht so gerne über das Ende der Welt nach. Insbesondere wenn es halt so Szenarien sind, wo man selber drin vorkommt. Die machen öfter mal nicht so gute Laune. Und ich glaube, was es auch gerade im Klimawandel noch so ein bisschen an Argumentation gibt, ist so ein bisschen so: „Nee, nee. Wir müssen uns massiv auf 1,5 Grad fokussieren, weil das ist ja, wo wir hinwollen. Wenn wir uns nicht massiv darauf fokussieren, dann machen wir das erst gar nicht.” Was ich auch irgendwie verstehen kann. Aber dann ist immer so ein bisschen die Frage, so ein bisschen so: Wie realpolitisch guckst du auf diese Sachen drauf?
[01:21:47] Stephan: Und habt ihr irgendeine Sorge, dass es bei euch ähnlich sein könnte, dass, wenn ihr so viel darüber redet, wie gut wir uns doch anpassen könnten, wenn ein Atomkrieg passiert, dass das die Schwelle auf irgendeine Weise senken könnte, dass sich dann irgendjemand tatsächlich denken könnte: „Oh, ja, dann ist es ja doch nicht so schlimm, dann können wir es doch eher riskieren?”
[01:22:08] Florian: Ja, das Argument habe ich auch schon ein paar mal gehört.
[01:22:11] Stephan: Ich glaube nicht, dass es stimmt, aber ja.
[01:22:13] Florian: Ja. Aber, ich kaufe es halt nicht so richtig, weil es so… Ja es ist halt trotzdem richtig, richtig scheiße. Also auch wenn mir jemand garantieren könnte, dass ich immer genug zu essen habe, ist halt zehn Jahre ohne Sonnenschein und minus fünf Grad halt nicht sehr erstrebenswert. Und das ist ja auch nur für die Gebiete, die halt nicht von dem Krieg aktiv betroffen werden. Also wie wir auch vorhin schon gemeint haben: In den Extremszenarien sterben halt trotzdem eine Milliarde Leute. Und halt eine Milliarde Leute sind halt extrem viel und ich kann mir irgendwie keinen Menschen vorstellen, der sagt: „Naja so… Ja, okay, sieben Milliarden Menschen wären mir jetzt zu viel gewesen, aber eine Milliarde Menschen, wenn die umkommen, ja, damit kann ich leben.” Also kann ich mir irgendwie nicht so richtig vorstellen, dass es diese Person gibt.
[01:23:06] Stephan: Und rein egoistisch macht es dann auch keinen Unterschied für den Oberbefehlshaber?
[01:23:10] Florian: Ja.
[01:23:11] Stephan: Du hast einen interessanten anderen Artikel noch zu Kipppunkten. Inwiefern gibt es Kipppunkte im Klimasystem und inwiefern müssen die uns dieses Jahrhundert schon besorgen?
[01:23:23] Florian: Also, was wir halt gemerkt haben, so – wir im Sinne der Klimaforscher-Gemeinschaft – ist, dass viele Prozesse im Erdsystem so eine Grenze haben, ab der sie kippen, also sozusagen, wo einfach das ganze System in einen neuen Zustand reinrutscht. Und das sind diese sogenannten Kipppunkte. Und davon gibt es diverse, also kommt so ein bisschen drauf an, wie eng man die definieren möchte. Also was es auf jeden Fall… so die großen, die es gibt, die immer genannt werden, sind halt einfach einmal, das Eisschild in Grönland, der Amazonas, die Antarktis und die...
[01:24:06] Stephan: Eine Strömung, eine große Strömung, ich weiß den Namen auch nicht.
[01:24:10] Florian: Ja genau, einfach so zu sagen, wie die Ozean-Umwälzung im Atlantik funktioniert. Und diese, dann gibt es noch diverse kleinere. Und was halt so ein bisschen die spannende Frage ist, ist: „Wie schnell kippen die denn? Und wie schnell oder wie warm darf es werden, damit die kippen?” Und da gibt es eine sehr interessante Studie von Nico Wunderling, der hat sich nämlich angeschaut, genau diese Frage, so okay: „Welche Kombination aus sehr heiß und sehr lang, ist denn möglich?” Und da zeigt sich halt schon so ein bisschen, dass wenn wir es schaffen, unseren Klimawandel auf 1,5 Grad zu begrenzen, dann sind wir eh relativ safe für die meisten Sachen. Da kippt vielleicht eins, aber wahrscheinlich auch vielleicht einfach keins, was sehr gut wäre. Aber je höher ich dann gehe, desto mehr Kipp-Elemente kippen halt und desto schneller kippen sie auch.
Und dann ist halt sozusagen nicht so die Frage, so: „Wie hoch gehe ich mit der Temperatur bei meinem Klimawandel?”, sondern auch: „Wie lange bleibe ich da oben und wie lange brauche ich, bis ich wieder die Temperatur runter geregelt habe?” Und diese Sachen bestimmen dann alle, wie viele Kipppunkte passieren. Allerdings, was ich halt so ein bisschen gelernt habe aus dieser ganzen Geschichte, als ich mich damit beschäftigt habe, dass halt diese Kipppunkte halt sehr viel länger brauchen, als ich gedacht habe. Also viele von den Sachen laufen eher so auf der Skala Jahrzehnte bis Jahrhunderte und sind jetzt nicht irgendwas so: Okay, wenn wir jetzt morgen das mit dem Klimawandel nicht gelöst haben, dann hast du eine Kaskade, die uns auf jeden Fall in zehn Jahren alle umhaut. Also, diese Szenarien gibt es nicht so richtig. Das sind schon alles längerfristige Prozesse.
Also das heißt nicht, dass sie richtig scheiße werden, wenn sie passieren, aber es ist jetzt nichts, was sofort passiert.
[01:25:53] Stephan: Ja, das Grönland-Eisschild ist kilometerdick. Wir hätten solche nicht-linearen Prozesse, dass wenn oben was abschmilzt, dann führt das andere zu noch mehr Erwärmung, weil weniger Sonnenlicht zurückgestrahlt wird, und das Eis geht tiefer und tiefer, schmilzt ab, und deswegen wird's auch von den Luftschichten wärmer und kann noch schneller gehen, und der ganze Eisschild kann sich leichter dadurch bewegen, dass du abgeschmolzenes Wasser unten hast. Aber es würde wahrscheinlich Jahrhunderte dauern. Und wenn wir einen vorübergehenden – sogenannten Overshoot – hätten, dann ist es immer noch die Frage, inwiefern das wieder stoppen könnte und auf die Parameter, wie viel Overshoot und wie lange an, inwiefern das passiert.
Aber wir könnten, wir könnten eigentlich nie – ich glaube, selbst wenn wir auch die unwirtschaftlichsten Reserven an fossilen Energien alle nutzen würden – in ein Szenario kommen, wo sich immer weiter selbst verstärkt.
[01:26:59] Florian: Hmm, also…
[01:27:01] Stephan: Wir werden nicht zur Venus dadurch, dass wir dieses Jahrhundert massiv viel Kohlenstoff abbrennen.
[01:27:10] Florian: Also ich glaube nicht, dass wir jetzt in absehbarer Zeit zur Venus werden, aber ich glaube sozusagen das Problem ist halt noch so ein bisschen, dass wir so die groben Züge vom Erdsystem gut verstehen und auch diese Kipppunkte einigermaßen verstehen, aber so dieses ganze Erdsystem so an sich, mit allem drum und dran, ist halt einfach halt massivst komplex und tausende von Sachen interagieren auf richtig wilde Arten miteinander und dementsprechend bin ich da auch schon so ein bisschen auf der Seite so: Okay, lieber ein bisschen vorsichtig sein, weil wäre halt schon echt doof, wenn wir jetzt sagen so: „Ja, okay, wir haben es ja grob verstanden, wie es funktioniert.” Und das heißt, wir können sozusagen das Limit bis dahin ausreizen. Und dann kickt aber doch halt irgendein Prozess rein, den wir halt nicht bedacht haben. Das wäre halt schon sehr schlecht.
[01:27:54] Stephan: Ja. Wir haben den Treibhauseffekt, den haben wir ja schon lange verstanden. Arrhenius hat den schon verstanden im 19. Jahrhundert. Und mittlerweile haben wir diese kleinteiligeren Prozesse im Erdsystem besser verstanden und wir haben die Klimasensitivität, also wie sehr sich unser Erdklima, wenn sich die CO2-Konzentration verdoppelt, auf eine deutlich geringere Spanne eingegrenzt.
Ich finde es von der Kommunikation interessant, weil die einen Menschen hören dann: „Okay, da müssen wir nichts tun bis zu dem Limit”, und die anderen hören: „Da gibt es den einen Punkt und danach ist alles vorbei und dann können wir aufgeben. Wir haben jetzt noch neun Jahre und dann ist auch vorbei.” Und beides ist ja falsch. Es ist so, dass jedes weitere zehntel Grad an Erwärmung negative Konsequenzen hat und gegebenenfalls oder sicherlich so, dass die negativen Konsequenzen sogar noch ansteigen bei späteren zehntel Grad zusätzlicher Erwärmung.
[01:28:53] Florian: Ja, voll. Also ich bin froh über jede Tonne CO2, die nicht ausgestoßen wird.
[01:28:59] Stephan: Gut. Lass uns zu dem zweiten großen Thema kommen, nämlich der Kollapsforschung. Du hast seit ein paar Monaten eine Literaturübersicht, die konstant geupdatet wird. Heißt Existential Crunch. Gibt's auf Substack und auf GitHub. Was ist das Ziel dieser Literaturübersicht?
[01:29:23] Florian: Genau, also die Idee ist so ein bisschen einfach zu dem Thema societal collapse – also wie Gesellschaften zusammenbrechen – eine Übersicht zu machen, die halt für Leute, die an dem Thema interessiert sind und auch so ein bisschen wissen wollen, so: „Okay, was passiert denn da gerade auf dem Stand der Forschung?”, dass sie sich dann diese Übersicht von mir anschauen können, weil der Witz dahinter ist so ein bisschen, dass immer wenn ich halt neue Sachen lerne, weil ich ein neues Paper gelesen habe oder mit jemandem darüber geredet habe, der viel Ahnung davon hat, dass ich dann diese Posts wieder update mit dem neuen Wissen und noch vielleicht die Conclusions ändere, je nachdem was passiert ist und das heißt sozusagen, versuche so nah am Puls der Forschung zu halten, wie es irgendwie geht. Also, das ist auch nicht das erste Projekt dieser Art.
Also, das heißt, auf Deutsch wäre es dann eine lebendige Literaturübersicht. Das hat Matt Clancy, heißt der, sich ein bisschen ausgedacht und macht es auf seinem Blog What's new under the sun?.
[01:30:29] Stephan: Aber ich glaube, der Titel stimmt nicht mal: New things under the sun.
[01:30:34] Florian: Ja, ich glaube, das eine heißt so… das ist Substack und das andere, so heißt sein durchgehendes Archiv.
[01:30:41] Stephan: Ah okay. Gut, findet man auf jeden Fall. Und von der gleichen Organisation Open Phil, die auch diesen Podcast finanziert, wirst du für diese Literaturübersicht bezahlt?
[01:30:52] Florian: Genau. Und, also falls jemand diese Sachen liest und sich denkt so: „Ja, das stimmt doch gar nicht, da habe ich schon eine Studie gelesen, die das eine und das andere sagt”, freue ich mich gerne, wenn ich die zugeschickt bekomme, damit ich es updaten kann.
[01:31:03] Stephan: Was ist Kollaps und seit wann gibt es Kollapsforschung?
[01:31:09] Florian: Also, Kollaps ist erstmal ein eher vager Begriff. Also, wenn man in die Literatur reinschaut, es gibt auch nicht so die eine super crunchy Definition, auf die sich jetzt alle einigen können. Aber es geht eigentlich immer so ein bisschen darum, dass eine Gesellschaft in irgendeiner Form sich unumkehrbar schnell in eine negative Richtung entwickelt. Und auch die Leute, die verschiedene Kollapsdefinitionen haben, ist schon, dass die meisten sich auf ähnliche Ereignisse einigen können, die sie als Kollaps bezeichnen würden. Also zum Beispiel die Osterinseln, dass da die Bevölkerung halt innerhalb sehr kurzer Zeit sehr schnell eingebrochen ist. Also es gibt auch viele Debatten darüber, was jetzt in dem speziellen Fall daran lag, aber sozusagen, dass das irgendeine Art von Kollaps ist, sind sich die meisten, glaube ich, schon einig, so als Beispiel.
[01:32:00] Stephan: Zweite Frage war: Seit wann gibt es die Kollapsforschung?
[01:32:03] Florian: Genau, die gibt es schon eine ganze Weile, weil also Leute interessiert halt, warum die Zivilisationen, die halt vorher da waren, zusammengebrochen sind. Weil, wenn du das weißt, dann kannst du es ja im besten Fall vermeiden für deine eigene Zivilisation, was ja sich alle wünschen würden. Und von Gibbons gibt es da das erste so große Werk: Decline and Fall of the Roman Empire. Ich müsste mal nachgucken, wann das geschrieben wurde, aber im 19. Jahrhundert, wenn ich mich recht entsinne. Und da hat er so ein bisschen versucht zusammenzufassen, so okay: „Warum ist denn das Weströmische Reich überhaupt kollabiert?”, und hat einfach halt versucht, die historischen Quellen alle zu durchsuchen und da irgendwie ein Narrativ daraus zu basteln, der Sinn ergibt. Also bei ihm war so ein bisschen die Conclusion: Die waren einfach nicht virtuous, also nicht genug Tugenden gehabt. Und deswegen sind sie beide zusammengebrochen.
Also kann man jetzt darüber diskutieren, ob man das für die beste Erklärung hält. Aber das ist so das anerkannte, als das erste große Werk, was sich halt in so einem sehr systematischen und sehr ausführlichen Weg damit beschäftigt: „Okay, warum ist jetzt diese Zivilisation da zusammengebrochen?”
[01:33:11] Stephan: Aber diese Erklärungen, die auf die Tugendhaftigkeit abzielen, die gelten ja den Meisten als überholt, oder? Wir haben immer noch so ein Echo manchmal, also Westerwelle spricht irgendwie von der spätrömischen Dekadenz, kann ich mich erinnern.
[01:33:26] Florian: Ja, stimmt.
[01:33:26] Stephan: Oder gerade hat erst der neue Sprecher des Repräsentantenhauses in den USA davon fabuliert, dass die Homosexualität im spätrömischen Reich mit für den Kollaps verantwortlich gewesen sei und dass so eine mangelnde Tugendhaftigkeit da gewesen wäre, wobei das auch zeitlich einfach nicht klappt. Also es ist sowieso absurd und dann passt es auch zeitlich gar nicht, weil du nie den Shift hin zum Christentum hast.
Wie hat sich die Kollapsforschung seitdem entwickelt? Welche neuen Ansätze sind über die nächsten Jahrzehnte entstanden?
[01:34:05] Florian: Genau, also da gibt es eigentlich ziemlich viele Sachen, was sich Leute dazu überlegt haben. Also weil man auch so ein bisschen gemerkt hat, so ein bisschen so, es ist halt einfach ein super schwieriges Thema. Also je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr habe ich auch das Gefühl, dass ich es weniger verstehe. Weil es einfach halt so komplex ist und an so viele Sachen angeknüpft. Aber so einige Sachen, Ideen, die Leute noch hatten, ist einmal dieses Limits to Growth. Also die Idee, so okay: Die Grenzen des Wachstums. Wir leben auf einem begrenzten Planeten, dementsprechend können wir nicht unendlich weiter wachsen. Und wie könnte jetzt darüber halt so ein Kollaps stattfinden?
Also da gibt es diesen berühmten Report vom Club of Rome aus den 70ern, wo geguckt wurde so, okay: Verschiedene Szenarien, was Ressourcennutzung angeht und wie viele neue Ressourcen erschlossen werden. Und da ist halt eines der Ergebnisse so, okay: Wenn jetzt dieses Modell stimmt, dann würden wir so in den 2030ern, 2040ern diese Art von Kollaps erleben. Das Problem ist so ein bisschen bei dem Modell, dass halt so bis die 2010er, 2020er halt alle Szenarien halt noch ziemlich gleich aussehen. Also dementsprechend wissen wir da halt erst so in zehn Jahren, in welchem wir uns befinden. Hoffentlich dann nicht in dem, wo der Collab stattfindet. Eine andere Idee ist…
[01:35:21] Stephan: Bleiben wir noch mal kurz bei den Grenzen des Wachstums. Also im Bericht des Club of Rome 72 gab es dann dieses Modell mit den variablen Bevölkerungen, Produktion, Ressourcen und – so ganz stilisiert – Verschmutzung. Und die Kritik von Ökonomen war größtenteils, dass dann Preismechanismen, also auch dass du andere Ressourcen substituieren würdest, dass du Innovation hättest, dass das alles nicht mit berücksichtigt ist in so einem Modell. Wie viel kannst du diesen Modellen trotzdem oder eben nicht abgewinnen?
[01:36:01] Florian: Ja, es ist so eine super spannende Frage und auch halt so eine Debatte, die da in die Richtung immer wieder stattfindet, weil es halt echt schwierig ist, jetzt zu sagen so... Also am besten wäre es ja eigentlich, wenn du ein Modell hättest, wo alles drin ist. Aber das ist halt sehr schwierig. Und dementsprechend ist ein Modell halt immer eine Abstraktion und immer falsch. Aber du kannst halt trotzdem schon was daraus lernen, was denn da passiert. Weil so diese grundsätzliche Idee: „Du kannst nicht unendliches Wachstum auf einem begrenzten Planeten haben”, also macht für mich zumindest schon Sinn.
Und auch wenn du Ressourcen substituierst, dann hast du halt trotzdem das Problem, dass dann irgendwann auch die substituierte Ressource weg ist und wir auch grundsätzlich halt eigentlich die Sachen zuerst machen, die am einfachsten sind. Also es wird ja auch immer schwieriger, dann die nächste Alternative zu finden. Und dementsprechend würde ich so den Zahlen, die dieses Modell produziert, halt nicht unbedingt super trauen. Aber so dieses Zeigen so: „Hey Leute, wenn wir halt diese simplen Annahmen treffen, dann führt das halt zu keinem guten Ende. Da müssen wir uns irgendwie überlegen, wie wir damit umgehen”, finde ich schon sehr sinnvoll.
[01:37:10] Stephan: Sind diese Modelle mit den Grenzen des Wachstums – und da geht es dann ja um ökonomisches Wachstum – sind die vergleichbar mit so modernen, weit abstrahierten Modellen, in denen du das ganze Planetensystem einfach von seiner Energiebilanz anguckst?
[01:37:31] Florian: Kommt wahrscheinlich sehr auf das Modell an, von was du gerade sprichst, aber grundsätzlich sind die Sachen schon ähnlich aufgebaut. Also du hast halt einfach einen Haufen Differentialgleichungen, die halt irgendwie aneinander gekoppelt sind. Und dann sagst du: „Ja, okay, diese Differentialgleichung stellt dir jetzt die Bevölkerung dar und diese Differentialgleichung stellt die Temperatur dar.” Und dann denkst du dir halt irgendwelche Zusammenhänge zwischen diesen Sachen aus, wie du denkst, dass es richtig ist. Was halt, glaube ich, bei diesen Modellen halt immer wichtig ist, dass sie einigermaßen die Fähigkeit haben, auch vergangene Sachen zu erklären. Also, dass auch... In meiner Promotion habe ich ja viel mit mythologischen Modellen gearbeitet. Und da war halt auch so ein bisschen das wichtige Qualitätsmerkmal dafür, so ein bisschen so: „Wie gut ist dieses Modell?”, war halt so die Frage: „Wie gut reproduziert es die vergangenen Daten?” Weil halt ein Modell, was deine vergangenen Daten nicht reproduzieren kann, wird wahrscheinlich auch die in der Zukunft auch nicht reproduzieren können.
[01:38:25] Stephan: …die für die Zukunft produzieren können.
[01:38:27] Florian: Genau.
[01:38:28] Stephan: Und du hast dann einen Teil der vergangenen Daten... sind für das Training und einen anderen Teil musst du dann für die Kontrolle aufheben. Aber diese Modelle zeigen ja auch: Es gibt zumindest Szenarien mit stabilen Equilibrium, die auch nicht null sind, also null Bevölkerung. Es gibt andere stabile Equilibria, zu denen wir gelangen könnten.
Okay, gerne weiter mit dem nächsten Ansatz. Du warst bei der Aufzählung der Ansätze in der Kollapsforschung.
[01:38:57] Florian: Genau, also ein weiterer ist einfach die Idee, dass eine Gesellschaft immer komplexer wird, weil du hast halt immer ein Problem, was auftaucht, was du lösen willst. Also zum Beispiel sowas wie eine Kanalisation. Kanalisation ist die Lösung für das Problem, dass Menschen aufs Klo müssen.
Und das Ding ist aber sozusagen, du kannst es ja nicht einmal abschließend lösen. Also du kannst nicht einmal eine Kanalisation bauen und dann muss niemand mehr aufs Klo. Also so funktioniert es ja nicht. Und dementsprechend musst du jetzt sozusagen für den Rest der Existenz der Zivilisation halt immer die Kanalisation am Laufen halten. Und das ist ja aber nicht das einzige Problem, was wir haben, sondern es kommen halt immer wieder neue Probleme auf, die halt immer noch mal ein bisschen mehr Komplexität auf deine Gesellschaft drauf machen, die du dauerhaft erhalten musst. Und diese Komplexität erhalten kannst du halt, wenn du genug Energie hast. Und dann ist halt immer die Frage: „Okay, kann meine Erschließung von neuen Energiequellen mithalten mit der zusätzlichen Komplexität, die ich auf meine Gesellschaft drauf packe?”
[01:40:04] Stephan: Deswegen ist eine der Metriken, mit denen Leute dann sich die Komplexität angucken, diese Energy Return on Investment, also wie viel Energie muss ich hineinstecken, um eine andere Menge an Energie herauszubekommen. Vielleicht sehr gering, wenn ich sehr einfach zugängliches Öl fördere und viel höher schon bei Schiefergas und noch höher bei Biokraftstoffen. Und dann wäre die Sorge, wenn das unter eins geht, dann habe ich zu viel Komplexität angesammelt.
[01:40:39] Florian: Ja genau, also beziehungsweise halt für diese spezielle Energieform, also für eine Gesamtgesellschaft, wenn das unter eins geht, dann hast du wahrscheinlich ein Problem. Also es gibt dann auch noch Fragen, so ein bisschen so: „Kann man sich dann vielleicht da auch irgendwie dran anpassen, dass man bei null wieder rauskommt?” Aber ich glaube, das ist gerade so eine Idee, die in Frankreich relativ viel geforscht wird. Das ist auch einfach diese ganze Energie Return of Investment Sache. Und dass du dann halt einfach so einen Slow Collapse mehr oder weniger hast, dass halt einfach du einmal über dieses Limit drüberkommst und dann kommst du einfach in so einen wirtschaftlichen Niedergang rein. Dann wird wieder alles teurer und du hast noch ein bisschen niedrigeren Return of Investment. Und dass das dann langsam Richtung Abgrund slidet, bis dich halt irgendeine andere Katastrophe wirklich erwischt.
[01:41:23] Stephan: Quasi ein langsamer Kollaps. Und es wird nicht immer in der Forschung dann wörtlich mit Energie, physikalischer Energie, sondern eben auch vielleicht Komplexität von Regeln argumentiert. Inwiefern passt das zusammen mit diesem sehr quantitativen Ansatz der Kollapsforschung, wo man sich einfach die Lebensdauer von Zivilisationen anschaut und zumindest die frühen Resultate dann so schienen, dass es ein exponentieller Abfall ist und das Risiko konstant zu bleiben scheint?
Also spricht das gegen diese Komplexitätsthese, dann wird man doch vielleicht eher denken, dass das Risiko steigt mit der Zeit?
[01:42:08] Florian: Ja, aber ich weiß nicht, wenn man das nur über die Lebensdauer quantifiziert, wie viel dir das dann schlussendlich sagt? Also, du hast ja viele Prozesse, die halt auch einen exponentiellen Decay zeigen, wenn du zufällig Proben daraus ziehst. Also zum Beispiel in meinem Körper, wenn ich ein Medikament nehme, dann ist halt von jedem Medikament-Molekül auch… du hast auch so einen exponential decay, wie lange das in meinem Körper drin bleiben wird. Aber das heißt ja auf der anderen Seite nicht, dass da dahinter nicht auch ein Prozess existiert, den ich verstehen kann und den ich auch beeinflussen kann.
[01:42:47] Stephan: Auf jeden Fall. Du hast beim Medikamentenabbau, können wir den Prozess sehr genau verstehen. Bei der Radioaktivität haben wir tatsächlichen Zufall, der dahinter steht. Aber man müsste ja trotzdem, wenn Komplexität sich über die Zeit aufbaut, sehen, dass, wenn es nicht irgendetwas anderes, irgendein anderes Risiko gibt, was abfällt in gleichem Ausmaß über die Zeit, dass das Risiko nicht gleich bleibt.
[01:43:16] Florian: Ja, das stimmt. Ich glaube, das Schwierige ist halt immer so ein bisschen, diese Sachen alleine anzugucken. Also, weil die Komplexitätsidee ja auch so ein bisschen darauf beruht, dass du halt, wenn du da drüber kommst, dass du dann halt nicht mehr neue Probleme lösen kannst. Und dann ist halt so ein bisschen die Frage: Wann kommt denn das nächste neue Problem, was du dann nicht mehr lösen kannst?
[01:43:40] Stephan: Und das ist zumindest was Exogenes, eventuell. So die Idee. Das ist einigermaßen zufällig dann verteilt.
[01:43:48] Florian: Ja, genau.
[01:43:49] Stephan: Mhm. Okay.
[01:43:51] Florian: Also zumindest bei den Sachen, die in der Vergangenheit mehr stattgefunden haben. Also, ob dann halt ein Nuklear-Krieg dann auch da rein zählen würde, ist dann immer so ein bisschen schwierig auseinander zu dröseln.
[01:44:03] Stephan: Okay. Ich glaub's trotzdem immer noch, dass da irgendwo ein Konflikt ist, aber ... Also, Komplexität ist eine mögliche These. Gibt's noch andere, noch weitere Ansätze in der Kollapsforschung, die wir noch nicht erwähnt haben?
[01:44:20] Florian: Ja einen, den ich vielleicht noch irgendwie ganz spannend finde, ist so dieses, dass du versuchst… also dass du nicht sagst: „Okay, Gesellschaften kollabieren”, sondern dass du sagst: „Systeme kollabieren” und dann versuchst zu gucken: „Okay, welche Strukturen haben denn diese Systeme, bevor sie kollabieren?”
Da gibt es auch irgendwie interessante Forschung, die sich dann anguckt: Okay, wir haben irgendwie den Zusammenbruch der Wikinger und den Zusammenbruch von diesem Bienenstock, den wir uns auch angeschaut haben und die teilen gemeinsame Eigenschaften, wie sie kollabieren und wie sie kollabieren ist dann so ein bisschen davon beeinflusst, was für eine Struktur sie in sich vor dem Kollaps hatten.
[01:45:04] Stephan: Vielleicht geben wir mal ein paar Beispiele. Bei den Bienenstöcken könnte es so sein, dass es da Kipppunkte gibt. Die funktionieren irgendwie besser, wenn sie größer sind. Und wenn sie zu klein sind, dann gibt es irgendwo einen Punkt, wo sie weniger gut funktionieren. Also, da wäre die Komplexitätsthese quasi für so ein System vielleicht unpassend.
[01:45:24] Florian: Ja, genau. Also die Bienen haben ja wahrscheinlich nicht vor, sich dann demnächst eine neue Kanalisation zu bauen. Also sie haben ja nicht so diesen extra Komplexitätsgewinn, die meiste Zeit.
[01:45:36] Stephan: Wie schaut's mit Hierarchie aus? Also eine Art, wie ein System strukturiert sein kann, ist, dass es sehr hierarchisch ist. Welche Szenarien, welche Gefahren, welche Arten zu kollabieren existieren dann?
[01:45:49] Florian: Ja, wenn du... Also, Hierarchie ist eh ein sehr spannendes Thema in dieser ganzen Kollaps-Geschichte, weil es da auch halt einfach spannende Fragen gibt, so: „Wie sehr interagiert denn die Hierarchie, die ich habe, mit dem Kollaps, der stattfindet?” Und da gibt's insbesondere aus dieser ganzen mehr qualitativen Geschichtsforschung, echt ganz spannende Betrachtung, wo sich angeschaut wurde: „Okay, wie viel haben denn verschiedene Gesellschaften in der Vergangenheit auf dieselbe Katastrophe reagiert?” In dem Sinne, dass man sich eine Katastrophe anguckt, also zum Beispiel einen Vulkanausbruch, und dann sich anguckt, welche Zivilisationen so global unterwegs waren, bei denen dann nachschaut: „Okay, wie haben die jetzt auf diese konkrete Katastrophe reagiert?”
Außerdem sich dann noch anschaut, wie viel Hierarchie hat die Gesellschaft, die von dieser Katastrophe betroffen wurde. Was da dann rauskommt, ist, dass anscheinend die Gesellschaften, die eher mehr Hierarchie hatten, eher schlechter darauf reagieren konnten, dass diese Katastrophen stattgefunden haben. Dann ist natürlich die spannende Frage so: „Okay, woran liegt das denn jetzt genau?” Und da kommt man dann immer sehr leicht in die ganze Spekulation rein, wie man dann sozusagen zwischen diesem Feind, so okay, „Die sind mehr Hierarchie und sie überleben schlechter”, aber dieser Mechanismus ist dann schwierig zu konstruieren. Und da gibt es dann halt Ideen, dass zum Beispiel einfach die mehr hierarchisch aufgebauten Gesellschaften einfach halt schlechter kooperieren können oder Informationsaustausch schlechter stattfindet als in einer mehr kooperativen Gesellschaft. Aber das müsste man dann halt wieder auch versuchen, irgendwie zu verifizieren. Und das wird halt richtig, richtig schwierig.
[01:47:44] Stephan: Kann es sein, dass Zielkonflikte zwischen unterschiedlichen Anfälligkeiten bestehen? Also vielleicht hilft dir die Hierarchie bei Konflikten, bei Krieg. Vielleicht wäre es das stabilste System, wenn wir einen ganz großen Hegemon haben und für andere Katastrophen, wenn es nicht darum geht, irgendjemanden abzuwehren oder dafür zu sorgen, dass gar kein Krieg erst ausbrechen kann, wäre es eben schädlich, wenn ein Vulkanausbruch kommt und du nutzt das Wissen in der Gesellschaft weniger und du kannst weniger gut kooperieren. Wäre es schädlich, wenn du hierarchisch organisiert bist?
[01:48:27] Florian: Ja, das kann definitiv auch sein. Also, weil die Katastrophe, von der ich jetzt gesprochen habe, das war halt ein Vulkanausbruch. Aber ja, es kann durchaus sein, dass für verschiedene Katastrophen dann auch verschiedene Ausprägungen besser sind.
[01:48:43] Stephan: Findest du das besorgniserregend, weil es vielleicht heißt, dass wir dann nicht zu einem sicheren Hafen gelangen können, wo wir all diese Risiken auf null minimieren?
[01:48:54] Florian: Ja, kann durchaus sein, dass wir uns in so einer Situation befinden. Das wär doof. Aber ich glaube, wir wissen einfach noch nicht genug, um das halt wirklich gut abschließend beurteilen zu können. Also das war auch so ein bisschen meine Lektion bisher von diesen ganzen Kollaps-Sachen, mit denen ich mich auseinandergesetzt hab, dass wir dieses ganze Thema, obwohl wir jetzt doch schon eine Weile drüber nachdenken, erstaunlich schlecht wirklich gut quantifizieren und modellieren können, weil es einfach halt auch mit so vielen Sachen zusammenhängt.
[01:49:27] Stephan: Wie viel kann die Kollapsforschung lernen von… oder wie viel interagiert sie mit, zum Beispiel, Ingenieurwissenschaften, wo du dir Gedanken darüber machen musst, inwiefern ein System kollabieren kann? Also ich denke zum Beispiel an Flugzeuge, die mittlerweile fast nie einfach so abstürzen, weil wir sowas wie Redundanz haben, weil wir Merkmale identifizieren, Methoden identifizieren, die unser System resilienter machen.
[01:49:57] Florian: Ja, gute Frage. Habe ich noch gar nicht so in der Form drüber nachgedacht und ich habe auch noch nichts in die Richtung so richtig gelesen, wo jemand Kollaps und Ingenieurwissenschaften direkt verbunden hat. Also, ich weiß halt noch nicht, ob es so gut klappt, weil du halt, wenn es darum geht, dass dein Flugzeug nicht abstürzt, dann hast du halt ein sehr klar definiertes System. Also, du kannst ja auch… du verstehst jeden Teil dieses Geräts. Also ein Flugzeug ist mega komplex, aber wir bauen Flugzeuge, also offensichtlich wissen wir wie Flugzeuge funktionieren. Und dementsprechend kannst du, wenn du das System halt von vorne bis hinten verstehst, dann kannst du auch sehr gut Redundanzen einbauen und kannst verstehen, warum das bei manchen Sachen nicht so gut funktioniert oder bei manchen äußeren Einflüssen Probleme bereitet.
Aber das Problem, wenn du dir Gesellschaften anguckst, dann ist ja erstmal so ein bisschen so: „Was ist denn überhaupt eine Gesellschaft? Wo fängt die denn an? Wo hört die denn auf? Was gehört alles dazu?” Allein diese Frage ist halt schon super, super schwierig zu beantworten. Und wir verstehen auch einfach das ganze System nicht.
Und ja, wenn wir das ganze System in der Gesellschaft so verstehen würden, wie wir ein Flugzeug verstehen, dann könnten wir da auch wahrscheinlich diese Methoden anwenden. Aber ich glaube, da sind wir noch einfach sehr weit von entfernt.
[01:51:24] Stephan: Ich glaube, die Hoffnung wäre vielleicht, dass wir einfach generelle Lektionen wie Redundanz und Diversifikation lernen und die zumindest anwenden könnten auf, zum Beispiel, Lieferketten.
[01:51:41] Florian: Ja, das auf jeden Fall.
[01:51:43] Stephan: Wo du nicht das ganze System verstehen musst, weil eben auf manche Weise Soziologie quasi komplexer ist als Ingenieurwissenschaften.
[01:51:52] Florian: Das stimmt.
[01:51:56] Stephan: Wollen wir weitermachen mit einem Fallbeispiel, nämlich dem Ende der Bronzezeit? Wann war das? Was ist passiert?
[01:52:02] Florian: Genau, also das Ende der Bronzezeit. Eine ganze Weile her. Also bevor jetzt… Das erste Mal, wo wir wirklich große Reiche hatten, die auch miteinander interagieren, sich ausbreiten und so. Das ist halt… hatten wir davor in der Form noch nicht als Menschheit. Und dieses ganze komplexe System von miteinander wechselwirkenden Reichen ist dann aber in einer relativ kurzen Zeit, also vor ein paar Jahrzehnten, kollabiert. Und da war halt erst so ein bisschen die Frage so: „Okay, wie hat das stattgefunden?” Und das war irgendwie so ein schöner Showcase dafür, wie komplex das Ganze ist, wenn so Zivilisationen kollabieren, weil einfach so viele verschiedene Sachen miteinander interagieren.
Also eine Sache, die man auf jeden Fall hatte, war eine Klimaveränderung, also auch vielleicht durch Vulkane wieder. Die hat dann dazu geführt, dass es Dürren gab. Die Dürren und die Klimaveränderungen haben dazu geführt, dass es dann Hungersnöte gab. Und das hat dann angefangen, wieder mit ganz vielen anderen Sachen zu wechselwirken. Also einmal, dass dein ganzer sozialer Zusammenhalt einfach viel schwächer geworden ist, wenn deine Gesellschaft gerade durch eine Hungersnot durchgegangen ist. Dann, was halt ein super wichtiger Faktor war, ist, dass deine Handelsnetzwerke auch zusammengebrochen sind. Also, wo wir auch darüber gesprochen haben, genauso wie heute Handel super wichtig ist, war Handel früher auch super wichtig. Weil auch damals konntest du halt zumindest ein bisschen deinen Nachbarn helfen, wenn sie halt zum Beispiel zu wenig Nahrung hatten. Und was halt insbesondere in der Bronzezeit halt wichtig ist, ist der Handel von Metallen, also insbesondere tin… Wie heißt das noch auf Deutsch?
[01:53:44] Stephan: Kupfer und Zinn macht Bronze.
[01:53:46] Florian: Dankeschön. Genau, der Handel von Zinn, weil du brauchst halt Zinn, um Bronze herzustellen und Zinn gibt es aber an gar nicht so vielen Orten. Dementsprechend hat sich da halt so ein Handelsnetzwerk herausgebildet und als das dann auch durch diese ganzen Faktoren zusammengebrochen ist, hatten die Leute halt keinen Zinn mehr und ohne Zinn keine Bronze und dann hattest du halt einfach keine geilen Metalle mehr, um halt deine Werkzeuge zu bauen und du hattest dann auch in vielen Bereichen, dass die Leute dann da wieder angefangen haben, Sachen aus Stein zu benutzen, einfach, weil keine geilen Metalle mehr da waren und diese ganzen Sachen haben dann A dazu geführt, dass halt viele Leute ihre Heimat aufgeben mussten, weil man halt da nicht mehr gut leben konnte. Und du hattest auch diese Invasion der sogenannten Sea People, also der Leute, die über das Meer kamen. Und da ist teilweise nicht so ganz klar, wo die herkamen. Also man geht davon aus, dass es auch einfach halt Gruppierungen waren, die halt auch da, wo sie davor gewohnt haben, nicht mehr da wohnen konnten, weil, aus den eben genannten Gründen.
Und du hattest einfach dann in dieser Bronzezeit so dieses Zusammenspiel von so vielen Faktoren gleichzeitig. Also du hast diese Invasion, du hast Vulkanausbruch, du hast Ernte-Probleme, dein Handelsnetzwerk kollabiert, deine gesellschaftliche Struktur lässt nach. Diese Sachen, alle dann in Kombination, haben einfach dazu gesorgt, dass einfach diese ganzen Reiche da zum größten Teil halt kollabiert sind oder zumindest stark geschrumpft sind. Und wir haben sehr lange als Menschheit gebraucht, bis wir dann wieder auf diesem Level von Komplexität angekommen sind.
[01:55:21] Stephan: Also sehr multifaktoriell und eben auch mit Kipppunkten wahrscheinlich.
Die Quellenlage ist auch schwierig, weil wir von diesen See-Völkern zum Beispiel ja nur wissen, weil das auf irgendwelchen ägyptischen Inschriften auftaucht. Also Ägypten war eins der großen, der vier, fünf großen Reiche. Die Hethiter waren eines, Babylon... Und wissen, dass es da zu Konflikten kam, aber wahrscheinlich bei schon geschwächten, aus anderen Gründen geschwächten Gesellschaften. Vielleicht hat sogar, ob du Bronze verfügbar hast, auf jeden Fall, ob du eine Hungersnot vorher schon hast, beeinflusst, inwiefern du dich dann noch verteidigen kannst, inwiefern du eine Armee aufrechterhalten kannst, solche Sachen. Danach hat es Jahrhunderte gedauert, bis eigentlich wir wieder große Königreiche eigentlich hatten oder so große Zivilisationen wie damals. Zum Ende der Bronzezeit.
[01:56:18] Florian: Genau, also zumindest in dem Teil der Welt. Also du hattest schon noch andere Bereiche, die auch betroffen waren, also zum Beispiel in China, die aber, glaube ich, nicht so stark kollabiert sind, wie jetzt die ganzen Sachen im Mittelmeerraum.
[01:56:32] Stephan: Wie viel können wir lernen von der Forschung, von dem, was nach dem Kollaps passiert? Also wie häufig, wie schnell sich Gesellschaften wieder aufbauen? In dem Fall scheint es so zu sein, dass es… es hat lange gedauert hat, dann kam auch irgendwann die Eisenzeit danach, dann hatte man ein anderes Metall, was viel breiter verfügbar ist, mit dem man Werkzeuge und Waffen machen konnte. Bei manchen Katastrophen, wie den…wie der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki scheint es ganz schnell passiert zu sein, dass Zivilisation weitergeht. Was könnten da die Faktoren sein? Warum geht das manchmal schnell und manchmal nicht?
[01:57:13] Florian: Also ich glaube, was halt ein ganz wichtiger Faktor ist: Ob es halt einen Außen gibt, wo du halt den Kram wieder herholen kannst. Weil, das war halt für die ganzen Reiche am Mittelmeer, gab es halt kein Außen mehr erstmal. Also sozusagen, die sind halt alle mehr oder minder kollabiert oder zumindest stark zurückgegangen. Dementsprechend konntest du nicht einfach irgendwie in die Nachbarstadt laufen und halt von da wieder die Ideen holen, weil die sind halt auch zusammengebrochen. Und wenn du sowas anguckst wie Hiroshima… Also diese Stadt wurde ja sehr zerstört, aber du hattest ja trotzdem noch das restliche Japan drumherum. Und dementsprechend konntest du einfach halt von da aus wieder die Sachen, die du gebraucht hast, um das aufzubauen, wieder dahin transportieren.
Also deswegen finde ich auch halt so globale Katastrophen halt so als eine große Bedrohung, weil wenn halt überall das Event stattfindet, wie zum Beispiel nach einem sehr großen Vulkanausbruch, dann hast du halt kein Außen mehr und dementsprechend, wenn dann die Zivilisation kollabiert, dann wird es auch sehr schwierig, da wieder wahrscheinlich rauszukommen, weil halt du überall den Verlust des Wissens hattest und überall den Verlust der Ressourcen hattest.
[01:58:32] Stephan: Es gibt ein gutes Buch, kennst du das? The Knowledge von Lewis Dartnell. Also, welche Technologien sind so richtig essentiell? Wie könntest du dich in so einer postapokalyptischen Welt zurechtfinden? Und der Vorteil, den du, wenn so eine Katastrophe heute passieren würde, hättest, wäre, dass, wenn du so ein gutes Buch hast oder irgendwo andere Ressourcen findest oder viel Infrastruktur eben noch hast, dass du es dir schon in vielen Aspekten noch nutzbar machen könntest.
Also Metall zum Beispiel oder auch Öl ist sehr leicht zugänglich, selbst in einer postapokalyptischen Welt.
[01:59:13] Florian: Also manche Sachen ja, also wie zum Beispiel, keine Ahnung: Stahlträger hast du halt schon überall, die du dann weiter benutzen könntest. Aber zum Beispiel so einfach zugängliche Quellen wie Kohle, ist halt schwieriger. Also ja, es gibt definitiv noch sehr viel Kohle auf der Welt, aber es gibt halt nicht mehr unbedingt die Kohle, die halt da ist, wo Leute auch einfach drankommen, weil wenn jetzt zum Beispiel unsere Zivilisation hier kollabiert und Deutschland sich wieder irgendwie aufbauen möchte, die Gegend hier, dann bringt es uns halt erstmal nichts, wenn halt irgendwo in Sibirien noch ein Kohlefeld unangetastet ist. Aber halt die super einfach nutzbaren Kohle-Sachen hier vor der Haustür haben wir halt einfach schon abgebaut, weil das waren halt die günstigsten.
[01:59:58] Stephan: Ja, es kommt sehr darauf an, was du dir denkst, wie viel zerstört wird, wie viel Infrastruktur zerstört wird und wie viel die Population zurückgeht. Je nachdem wären manche Ressourcen immer noch mehr oder weniger vorhanden. Und ich glaube, wo wir auch unsicher sein sollten, ist: Welche Art von Gesellschaft sich wieder aufbaut. Also, wie sollten wir garantieren können oder auch nur zuversichtlich sein können, dass das demokratische Gesellschaften sein werden?
[02:00:24] Florian: Ja, das ist definitiv ein wichtiger Faktor, aber glaube ich, auch einer, der halt extrem schwierig zu beeinflussen ist.
[02:00:31] Stephan: Also besser kein Kollaps.
[02:00:33] Florian: Ja, würde ich sagen.
[02:00:36] Stephan: Wie viel können wir überhaupt aus diesen historischen Betrachtungen lernen, eben weil unsere Gesellschaften heute möglicherweise sehr anders sind? Wir gucken uns… Wir haben jetzt über das Ende der Bronzezeit geredet, wir haben ein bisschen über das späte Rom geredet. Alles zu einem Zeitpunkt, als wir überhaupt schon mal Zivilisation hatten, alles nach der Neolithischen Revolution.
[02:01:01] Florian: Also, wir können schon definitiv was aus der Vergangenheit lernen, aber wie du auch schon gemeint hast, ist das ein bisschen so schwierig: Was und wie viel? Weil wir offensichtlich noch damit struggeln, zu verstehen, wie Gesellschaften funktionieren und wo vielleicht auch irgendwelche wichtigen Änderungen sind, die halt machen, dass die Übertragbarkeit abnimmt oder gar nicht mehr gegeben ist. Und da gibt's halt einfach zwei Sachen, die relativ offensichtlich wirken. Also einmal halt: Der Wechsel von Jägern und Sammlern zur Landwirtschaft. Wie sehr kann man diese Sachen noch miteinander vergleichen? Das zweite ist dann der Wechsel von vorindustrieller zu nachindustrieller Zivilisation, weil da halt einfach sich so krass viel geändert hat in der Art, wie wir einfach Gesellschaften aufbauen, wie viel Energie wir zur Verfügung haben, was es halt super schwierig macht abzuschätzen, welche Sachen wir dann überhaupt noch gut übertragen können.
Und so mein derzeitiges Gefühl dafür, was man halt darüber tragen kann, sind halt einfach so relativ abstrakte Sachen. Also wie diese Sachen, wo wir vorher über Hierarchie mehr oder weniger geredet haben, dass man sowas wahrscheinlich schon noch einigermaßen transferieren kann. Aber so die specifics, dass dann das sehr schwierig wird, das noch irgendwie zu übertragen.
[02:02:27] Stephan: Welche Forschung würdest du im Bereich der Kollapsforschung gerne sehen? Es klingt, als sei es noch ein Feld, in dem noch viel zu beforschen ist und in dem wir noch viel lernen können. Wäre das historische Forschung? Wäre das Modellierung?
[02:02:44] Stephan: Also, wir können auf jeden Fall noch richtig viel forschen. Da wird es uns so schnell nicht langweilig. Also, ich glaube, für so dieses Verständnis von Kollaps, ist eine Sache, die halt super wichtig ist, sind mehr Daten. Weil das Problem ist halt bei Geschichte, die ist halt oft eher qualitativ. Also die mehr beschreibt, was passiert ist, aber quantifiziert es nicht. Und gerade wenn du halt irgendwelche Modelle bauen möchtest, die auch aktive Dinge vorhersagen, musst du halt normalerweise irgendeine Form von Daten haben, quantifizierbare Daten. Da gibt es ein sehr spannendes Projekt, das heißt Seshat von Peter Turchin und diversen anderen Leuten, wo sie halt versuchen, Geschichte insgesamt quantifizierbarer zu machen. Da ist halt nur so ein bisschen das Problem, dass sie mit ihrem Datensammeln aufhören bei der industriellen Revolution. Also wäre sowas, nur halt für nachindustrielle Revolution halt noch sehr, sehr cool, aber es ist halt auch ein insanely großes Projekt, das halt unglaublich viel Arbeit fressen wird. Dementsprechend hatte wahrscheinlich noch niemand Lust das zu finanzieren, aber wenn ich mir was wünschen kann, dann wäre es sowas zum Beispiel.
Was ich auch noch sehr wichtig fände, wäre einfach halt mehr Kollapsmodellierung insgesamt und auch einfach so bezogen auf die Sachen, die wir jetzt heute halt schon als bedroht sehen. Also was ich auch vorhin schon erwähnt hatte, mit so Handel, ist halt super wichtig. Aber Handel und Kollaps, wie genau das jetzt zusammenhängt, ist halt auch noch nicht super krass erforscht und wäre auch super spannend. Also noch insgesamt einfach halt so extreme Bedrohungen des Nahrungssystems, wie wir sie bei ALLFED erforschen, gibt es halt echt noch nicht so viel Forschung, aber schon eine gute Chance, dass halt ein Ereignis, was das auslösen könnte, halt dieses Jahrhundert noch passiert.
[02:04:28] Stephan: Und da gibt es vielleicht auch Kapazitäten für Studierende zum Beispiel, die uns jetzt zuhören, für Projekte, die innerhalb einer Masterarbeit oder so umsetzbar wären. Wo würdest du die Leute darauf verweisen? Sollen die bei Effective Thesis gucken? Sollen die Artikel von ALLFED lesen?
[02:04:47] Florian: Also der einfachste Weg ist wahrscheinlich entweder ALLFED direkt kontaktieren oder Effective Thesis. Also Effective Thesis gibt einem dann wahrscheinlich einfach noch ein paar mehr Optionen, aber tendenziell Leute, die, besonders wenn sie eine Masterarbeit schreiben wollen, sind immer ganz cool auch bei ALLFED, weil man dann einfach halt jemand hat mit einem klaren Time Commitment und dann am Ende wahrscheinlich auch was Cooles daraus kommt.
[02:05:13] Stephan: So ein bisschen äußerer Zwang.
ALLFED hat so ein Freiwilligenprogramm. Kannst du darüber kurz was sagen?
[02:05:22] Florian: Genau. Also bei ALLFED arbeiten wir auch viel mit Freiwilligen, die bei unserer Forschung mithelfen können. Tendenziell ist da so ein bisschen das Ding, dass über die letzten Jahre auch immer mehr der Andrang zugenommen hat, weil wir, glaube ich, so eine der wenigen Organisationen in dem Bereich sind, die sowas anbietet. Und dementsprechend können wir einfach nicht alle Leute betreuen, die daran Interesse haben. Aber deswegen ist halt möglichst für Leute, die halt für längere Zeit auch irgendwie so zehn Stunden plus die Woche investieren können, hat sich das auch von unserer Seite aus rentiert, weil Volontiers betreuen ist auch erstaunlich viel Arbeit, musste ich feststellen.
[02:06:04] Stephan: Wie kommt man zu guten Forschungsfragen?
[02:06:09] Stephan: Ja, das ist eine super spannende Frage, die mich auch in den letzten Jahren viel beschäftigt hat. Also, ich habe nämlich so während meinem Doktor und danach dann gemerkt, dass ich es super schwierig finde, auf gute Forschungsfragen zu kommen. Also, die man auch wirklich so als spannendes Projekt angehen kann. Da bin ich dann irgendwie aber auf ein sehr cooles Buch gestoßen, das heißt einfach Constructing Research Questions. Und die gehen dann halt so Stück für Stück durch, wie man halt dazu kommt.
Und so mit der Main Point, den ich daraus mitgenommen habe, ist: Mehr lesen. Was jetzt erstmal vielleicht offensichtlich klingt, aber ich versuche jetzt allgemein so ungefähr so im Schnitt ein Paper am Tag zu lesen. Das hat mir halt enorm weitergeholfen, weil dadurch man einfach viel besser versteht, was abgeht und auch einfach halt so ein bisschen, insbesondere wenn man halt breit liest, also halt nicht nur in den eigenen Nischen drin, sondern auch versucht so ein bisschen so die Nachbarfelder oder ab und zu was ganz anderes zu lesen, dass das sehr fruchtbar ist, um auf neue Ideen zu kommen.
[02:07:15] Stephan: Hast du eine Meinung dazu, ob man eher Bücher oder Artikel lesen sollte?
[02:07:20] Florian: Meinst du mit Artikel jetzt also wissenschaftliche Aufsätze…
[02:07:22] Stephan: Ja, ja.
[02:07:22] Florian: … oder Fachartikel? Ach, ich glaube, es kommt so ein bisschen darauf an, was man vorhat. Also, wenn man wirklich was machen möchte, was am Rand der Wissenschaft ist, dann kommst du an Papern nicht vorbei, weil Bücher einfach halt viel längere Zyklen haben, bis sie geschrieben und veröffentlicht sind. Aber wenn du mehr in einem Feld drin bist, wo einfach auch schon an der Sache schon länger geforscht ist, dann sind, glaube ich, halt Bücher halt einfach eine extrem gute Adresse, um einfach so ein bisschen überhaupt die Übersicht zu bekommen, was denn alles abgeht. Was schwieriger sein kann, wenn man direkt die wissenschaftlichen Aufsätze liest, weil die ja oft so sehr klein drin sind.
[02:08:03] Stephan: Also viel lesen und breit lesen ist ein guter Rat und vielleicht magst du noch kurz was dazu sagen, wie du konkret auf Forschungsfragen von dort kommst? Weil eine häufige Art, das zu tun, nämlich sich irgendwo ein kleines Problem zu suchen, wo irgendwie noch eine Lücke ist, eben in dem Buch zum Beispiel auch kritisiert wird, als vielleicht nicht die interessanteste Art, um auf neue Fragen zu kommen.
[02:08:32] Florian: Genau, was sie da in dem Buch ein bisschen highlighten, was ich auch sehr cool fand, war einfach die Idee, dass die spannendsten wissenschaftlichen Fragen eigentlich daherkommen, dass du halt dir ein Stück Wissen nimmst, was in dem Feld, was dich interessiert, wichtig ist, und dann guckst, was sind überhaupt die Annahmen, die gemacht wurden, damit dieses Stück Wissen funktioniert. Und dann sich die Annahmen anzugucken und zu sagen, so okay: „Aber stimmen diese Annahmen denn überhaupt?”
Und wenn du halt dann was findest, wo du merkst, so hey: Diese Annahme, auf der dieses super wichtige Stück Wissen beruht, die stimmt ja eigentlich gar nicht oder die trifft nur für diesen einen Fall zu, dann kann man darüber, glaube ich, echt sehr spannende wissenschaftliche Arbeit machen, weil das ist ja auch so ein bisschen der Witz an Wissenschaft, dass man halt ja möchte, dass man möglichst genau herausfindet, warum Sachen funktionieren. Und wenn man dann halt Wissen herausfordern kann, was schon existiert, dann kann das, glaube ich, sehr wertvoll sein.
[02:09:31] Stephan: Ich glaube, in unterschiedlichen Disziplinen hat man es unterschiedlich schwer, weil zum Beispiel in der Philosophie, besonders in der angelsächsischen Philosophie, man das sehr konkret versucht zu machen, welche Annahmen man trifft und das sehr strukturiert aufbaut. Und manchmal sind Annahmen in anderen Fällen dann versteckter. Aber es lohnt sich, sie zu suchen.
[02:09:53] Florian: Ja, definitiv.
[02:09:54] Stephan: Alle erwähnten Ressourcen und deinen Blog natürlich, verlinke ich auf der Episoden-Seite. Hast du noch andere Ressourcen, die du empfehlen möchtest?
[02:10:05] Florian: Das Buch, das wir eben erwähnt haben, kann ich sehr empfehlen. Das macht Spaß zu lesen. Was ich noch sehr cool finde, um einfach auf wissenschaftliche Paper zu stoßen, die sowas mit globalen Katastrophen zu tun haben, da gibt's von dem Centre for the Study of Existential Risk, das ist in Cambridge, das hat ein Tool, das heißt Terra, und das ist so ein bisschen Machine Learning, was versucht, Paper zu finden, die relevant sind für globale Katastrophen. Da kommt auch viel Unsinn bei raus, weil der Filter relativ breit gesetzt ist, aber es führt auch immer mal wieder dazu, dass da Aufsätze drin sind, auf die ich sonst wahrscheinlich nicht gestoßen wäre, aber die sehr relevant für mich sind. Und deswegen ist das für mich sehr hilfreich und ich könnte mir auch vorstellen, dass es für andere Leute hilfreich ist, die in dem Bereich forschen wollen.
[02:10:55] Stephan: Ja, super. Ich habe es noch nicht ausprobiert, aber es klingt so, als sei das… als würde es versuchen, eine goldene Mitte zu treffen, zwischen dem, was relevant für dich ist, aber was nicht offensichtlich ist.
[02:11:06] Florian: Genau, und es gibt auch halt auf der Seite von dem Tool kann man sich auch halt so eine kuratierte Liste runterladen, wo einfach auch nur die Sachen drin sind, wo schon andere Leute gesagt haben: „Ja, okay, das ist relevant.” Dann sind da sehr viele Schätze drin.
[02:11:24] Stephan: Florian, es hat mir sehr viel Spaß gemacht, mit dir zu reden. Hast du noch abschließende Worte?
[02:11:30] Florian: Das war glaub ein guter Abschluss. Ich glaub einen Abschluss habe ich nicht vorbereitet. Aber ich fand es auch super spannend, mich mit dir darüber zu unterhalten.
Also ich glaube, ich habe noch nie so lange am Stück über diese Sachen im öffentlichen Rahmen geredet. Das war sehr cool. Und auch einfach, wenn andere Leute noch Lust haben, sich da mit mir zu unterhalten oder zusammen Forschungs-Sachen zu machen, bin ich immer sehr neugierig, weil ich diesen ganzen Sachen, die wir heute besprochen haben, also sowohl sehr interessant, aber auch einfach sehr wichtig finde und ich es einfach gut finde, wenn wir die ganzen Sachen, über die ich so nachdenke, verhindern können. Weil globale Katastrophen sind – wenig überraschend – nicht sehr cool darin zu leben.
[02:12:12] Stephan: Sehr interessant und sehr wichtig und gleichzeitig uns als wirkmächtig erfahren können, weil du ja auch nicht jemand, offensichtlich nicht jemand bist, der deswegen verzweifelt, sondern erkennt, dass wir Hebel haben, um etwas zu verändern.
Wo erreichen Leute dich? Wie können die dich finden?
[02:12:29] Florian: Also das Einfachste ist einfach z.B. mir bei florian@allfed.info zu schreiben. Aber ich bin auch auf Researchgate, LinkedIn. Auf meinem Blog ist, glaube ich, auch eine Adresse verlinkt. Also, wer mich sucht, findet mich, glaube ich, relativ einfach.
[02:12:45] Stephan: Super. Okay, vielen Dank. Danke, dass du dir so viel Zeit genommen hast. Und wie gesagt, hat viel Spaß gemacht!
[02:12:50] Florian: Dankeschön. Ja, mir auch!
[02:13:00] Stephan: Das war mein Gespräch mit Florian Ulrich Jehn über Ernährungssicherung und Kollapsforschung. Wie immer sind auf der Episoden-Seite zu dieser Folge ein Transkript dieses Gesprächs, Links zu den erwähnten Ressourcen und einiges mehr zu finden. Wenn du diese Folge bereichernd fandest, sind die besten Wege, diesen Podcast zu unterstützen, eine ehrliche Bewertung im Podcast-Player deiner Wahl zu hinterlassen oder anderen den Podcast weiterzuempfehlen. Danke fürs Hören.