Judith Rensing gibt einen praktischen Einblick in das Gründen effektiver Hilfsorganisationen. Sie hat früher bereits selbst eine effektive Hilfsorganisation gegründet. Aktuell leitet sie bei Ambitious Impact (früher: Charity Entrepreneurship) die Bewerbungsprozesse.
Ambitious Impact erarbeitet Ideen für neue, effektive Hilfsorganisation, rekrutiert potentielle Gründerinnen und Gründer und treibt durch ein Inkubationsprogramm dann die Gründung dieser neuen Hilfsorganisationen voran. Außerdem führt Ambitious Impact mittlerweile weitere Trainings- und Inkubationsprogramme durch, etwa ein Forschungstrainingsprogramm.
Gesprächsthemen sind:
- Judiths Werdegang, ihr altruistischer Impetus und ihre persönliche Gründungserfahrung
- Beispiele effektiver Hilfsorganisationen und Ideen für neue Hilfsorganisationen: Family Empowerment Media im Feld der Familienplanung; Fish Welfare Initiative und Policy-Arbeit im Bereich Tierwohl; Impferinnerungen für Kinder im Bereich Globale Gesundheit und Entwicklung; Kampagnen in Massenmedien, um Gewalt gegen Frauen zu verringern
- Arten von Evidenz bei der Evaluation effektiver Hilfsorganisationen bzw. Ideen dafür
- Werturteile, die in das Abwägen von Handlungsfeldern und konkreten Interventionen reinspielen
- der Bewerbungsprozess bei Ambitious Impact und der Ablauf des Inkubationsprogramms
- effektives Spenden
Ressourcen
- Auf der Website von Charity Entrepreneurship sind Informationen zu gegründeten Hilfsorganisationen und den Trainingsprogrammen zu finden:
- Inkubationsprogramm für das Gründen effektiver Hilfsorganisationen
- Forschungstrainingprogramm
- im For-Profit-Bereich gründen, um zu spenden: Founding to Give
- Impactful Grantmaking
- Das Buch How to Launch a High-Impact Nonprofit basiert auf dem Inkubationsprogramm und gibt einen guten Überblick über wichtige Faktoren für das Gründen effektiver Hilfsorganisationen.
- Auf ähnliche Weise kondensiert das Buch How to Launch a High-Impact Foundation zentrale Inhalte aus dem Impactful Grantmaking-Programm.
- Evaluationen von Hilfsorganisationen und Möglichkeiten, effektiv zu spenden:
- Effektiv Spenden ermöglicht in Deutschland steuerbegünstigtes Spenden an einige der genannten Hilfsorganisationen.
- GiveWell evaluiert Hilfsorganisationen und veröffentlicht in dem Zusammenhang fundierte Berichte.
- Giving What We Can gibt ebenso Empfehlungen fürs effektive Spenden und ist gleichzeitig eine Gemeinschaft von Menschen, die mindestens 10 % ihres Einkommens an effektive Organisationen spenden.
Kapitelmarkierungen
[00:00:09] Judiths Werdegang und Motivation
[00:09:33] Judiths Gründungserfahrung
[00:11:22] Family Empowerment Media (Beispiel einer inkubierten Hilfsorganisation)
[00:19:33] Arten von Evidenz bei der Evaluation effektiver Hilfsorganisationen
[00:23:39] Werturteile bei der Evaluation effektiver Hilfsorganisationen
[00:28:26] Fish Welfare Initiative (Beispiel einer inkubierten Hilfsorganisation)
[00:31:56] Impferinnerungen für Kinder (Beispiel einer inkubierten Hilfsorganisation undIdee für eine neue Hilfsorganisation 2024)
[00:34:53] Kampagnen in Massenmedien, um Gewalt gegen Frauen zu verringern (Idee für eine neue Hilfsorganisation 2024)
[00:36:37] Policy-Arbeit: Regulierungen verbessern, um das Wohlergehen von Fischen in der Massentierhaltung zu verbessern (Idee für eine neue Hilfsorganisation 2024)
[00:38:47] Abwägen zwischen Leiden und Tod menschlicher und nicht-menschlicher Tiere
[00:42:02] Prozess von Ambitious Impact von der Forschung bis zur Gründung
[00:50:20] Forschungsmethodologie bei der Evaluation von Ideen für neue Hilfsorganisationen
[01:08:12] Bewerbungsprozess bei Ambitious Impact
[01:10:20] Merkmale erfolgreicher Gründer
[01:22:40] Bewerbungsprozess im Detail
[01:26:11] Ablauf des Inkubationsprogramms
[01:28:41] Forschungstrainingsprogramm
[01:32:18] Gründen, um zu spenden
[01:35:17] effektives Spenden
[01:38:47] Call to Action und Ressourcen
Transkript
[00:00:09] Stephan: Ich freue mich heute mit Judith Rensing zu sprechen, die bei der Organisation Ambitious Impact unter anderem die Bewerbungsprozesse leitet. Ambitious Impact ist aus der Organisation Charity Entrepreneurship erwachsen, die Ideen für neue effektive Hilfsorganisationen entwickelt, die dann durch ein Inkubationsprogramm gestartet werden. Judith, magst du in deinen Worten die Idee hinter und Vorgehensweise von Ambitious Impact erklären und schildern, wie dein Werdegang bis dato ausschaute?
[00:00:35] Judith: Ja, hallo, Stephan. Ich bin eigentlich zuerst an der Universität mit diesen ganzen Ideen, mit dem Non-Profit-Bereich, in Verbindung gegangen. Und zwar habe ich Philosophie studiert und da konkret das Modul Ethik studiert. Und da habe ich erst mal angefangen, darüber richtig tief nachzudenken: Was ist eigentlich wirklich wichtig und was wollen wir eigentlich? Was ist eigentlich gut in der Welt?
Und das war erst sehr theoretisch und dann habe ich das umgesetzt in meinem eigenen Leben. Also ich war sehr angetan von der Idee, die Welt besser zu machen und zu priorisieren, wie wir die Welt besser machen können. Und das war zuerst vor allem theoretisch, dann bin ich persönlich… habe ich meine Essensgewohnheiten geändert und bin weniger geflogen und all diese Dinge. Das war noch so ein bisschen vielleicht ungeleitet.
Aber ich fand während des Ethikstudiums vor allen Dingen den Utilitarismus sehr interessant und der hat es mir angetan. Ich war da, glaube ich, so ein bisschen die einzige Person in meinem Jahrgang.
[00:01:41] Stephan: Du hast in Deutschland studiert, muss man dazu sagen.
[00:01:43] Judith: Da ist das nochmal anders als in Großbritannien, ja, genau. Ja, in Deutschland ist da, glaube ich, die deontologische Richtung ein bisschen beliebter. Aber dann habe ich schlussendlich eine lokale Effektiver Altruismus-Gruppe gefunden. Und das hat mich zuerst gar nicht so ganz überzeugt. Es hat ein bisschen gedauert. Aber so nach und nach bin ich dieser Gruppe beigetreten und da habe ich dann quasi meine Gruppe gefunden, so ein bisschen meine tribe.
[00:02:10] Stephan: War das für dich von Anfang an klar, dass du mit deiner Karriere Gutes tun willst? Und dann hast du quasi über den Kontakt mit diesen Ideen für dich herausgefunden, wie du das machen willst? Oder hat es dich quasi im Studium gepackt und du hast für dich so realisiert: Okay, bei meiner Karriere geht es vielleicht nicht nur um persönliche Erfüllung, sondern eben auch darum, Gutes zu tun?
[00:02:32] Judith: Ja, ich glaube, ich war schon immer so altruistisch angehaucht. Also ich wollte früher am Anfang erst Lehrerin werden und dann wollte ich Ärztin werden und dann war ich mir nicht so ganz sicher und dann habe ich gedacht, ich studiere jetzt mal Philosophie, um herauszufinden, was wirklich gut und wichtig ist. Das war so mein Gedanke damals bei der Studiumswahl. In dem Studium hat sich dann so herauskristallisiert: Es gibt Berufe, die vielleicht noch ein bisschen mehr was Gutes tun. Aber es hat gedauert. Also im Philosophiestudium war ich noch so ein bisschen verloren eine Zeit lang, glaube ich, und wusste nicht so ganz, wo ich damit jetzt hingehe. Ich hatte so das Gefühl, als Lehrerin ist ja doch irgendwie relativ klein so der impact, den man hat.
Und noch ein anderes Hintergrundstück vielleicht, was ganz interessant sein könnte: Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und ich hatte ganz lange das Gefühl, ich kann gar nicht so große Ambitionen haben. Also meine Idee war so, dass Lehrerin oder Ärztin werden, dass das schon irgendwie so das Höchste der Gefühle sein könnte, was ich erreichen könnte. Und da hat der Effektive Altruismus mich dann gepackt. Also in der Uni war ich noch so ein bisschen verloren, wie ich genau meinen Altruismus umsetzen wollte. Und der Effektive Altruismus hat mir dann ganz viele Ideen für tatsächlich sehr effektive Berufswege gezeigt und mir das Gefühl gegeben, dass ich diese auch ergreifen kann, dass ich dafür nicht einen bestimmten Hintergrund mit viel Geld oder irgendwas haben muss, sondern dass, wenn ich gut bin, kann ich Gutes tun in der Welt.
[00:04:02] Stephan: Da kommen wir auch sicher gleich dann noch dazu, wenn es darum geht, was gute Gründer ausmacht. Und dann sind es natürlich nicht solche Sachen wie die elterliche Herkunft.
Ich mache vielleicht noch zwei Bemerkungen, nämlich einmal, dass Utilitarismus eine Theorienfamilie ist, die Konsequentialismus gutheißt, also Taten oder auch Ansichten oder auch Policies nach ihren Konsequenzen beurteilt, die meistens als Hauptmerkmal Wohlergehen betrachtet und die Wohlergehen auch aggregiert und unparteiisch zwischen Individuen ist, sowohl zwischen Menschen als auch Tieren. Also von Bentham ist das bekannte Zitat, dass es eben nicht wichtig ist, Können sie sprechen?, sondern: Können sie leiden? Und Effektiver Altruismus ist sowohl eine Forschungsrichtung als auch eine Bewegung von Menschen, die orientiert sind an der Frage „Wie tue ich möglichst effektiv Gutes? Begrenzt mit den Ressourcen, die ich habe, wie kann ich Gutes tun mit meinen Spenden, mit meiner Karriere? Und wer spezifisch über die Annahmen von Effektivem Altruismus und Utilitarismus lernen will, der kann nochmal zurückgehen zu einem Interview, das ich mit Stefan Riedener, einem Moralphilosophen, gemacht habe.
Beschreib du gerne einmal deinen Weg von der Uni bis zu dem Gründen bei Charity Entrepreneurship. Du arbeitest heute dort, aber du bist auch selber durch dieses Inkubationsprogramm gegangen und hast selber gegründet.
[00:05:34] Judith: Genau. Als ich dann an der Universität eben über so eine Uni-Gruppe, eine Effektiver Altruismus-Uni-Gruppe, in Kontakt mit den Ideen gekommen bin, habe ich angefangen immer mehr darüber zu lesen: Wie kann man effektiv Gutes tun? Wie funktionieren Non-Profits? Wie funktioniert dieser ganze philanthropische Sektor und was gibt es da eigentlich für Rollen, die für mich vielleicht gut passen könnten? Und da ist eben Charity Entrepreneurship, also die Idee, dass man effektive Hilfsorganisationen neu gründen kann, die dann sehr viel Gutes in der Welt tun können, die hat mich sehr gepackt. Der Hintergrund dafür ist, dass ich immer so ein bisschen das Gefühl hatte, ich bin so ein Generalist, ich mache irgendwie alles gern, ich lerne super gerne neue Sachen, mache gerne schwierige Dinge, habe ganz viel Energie und… weiß nicht genau… möchte nicht so genau nur so eine technische Rolle haben.
Und deswegen hat mich diese Idee sehr angetan, die Charity Entrepreneurship da hatte, also die Organisation. Es ist sowohl ein Berufsweg als auch eine Organisation. Ja, ich bin darüber, ich habe das gefunden, glaube ich, auf so einer Webseite — auf 80,000 Hours, heißt die — die sich damit beschäftigt, was es für effektive Berufsfelder gibt und wie man einen impact-vollen, einen effektiven Beruf wählen kann. Und darüber habe ich, glaube ich, die Organisation gefunden und habe gedacht, das klingt alles total super. Die geben einem die Ideen, die geben einem das Training, was man da braucht, so eine neue Charity zu starten. Und dann geben sie einem sogar noch Geld am Ende, damit man direkt anfangen kann. Das klingt doch super, da bewerbe ich mich mal. Das war so im Jahr 2020. Und als ich mich das erste Mal beworben habe, bin ich tatsächlich gar nicht reingekommen.
Also ich habe es bis zum letzten Schritt des Bewerbungsprozesses geschafft und habe dann kein Angebot bekommen. Aber ich hatte mich parallel auf ein Forschungs-Internship beworben bei der gleichen Organisation. Eben in der Forschung, wo diese neuen Ideen gefunden werden für neue effektive Organisationen. Und das habe ich damals bekommen. Und dann habe ich dieses Internship gemacht. Das war super spannend. Da habe ich in der Forschung an effektiven Verhütungsmethoden gearbeitet und wie man die besser verbreiten kann dort, wo es Probleme mit Verhütung gibt. Und parallel bin ich nach Berlin gezogen und habe angefangen, in einem Start-up zu arbeiten, damit ich eben diesen Generalisten-Start-up-career path ein bisschen weiter ausleuchten kann und ausprobieren kann und viel lernen kann.
[00:08:09] Stephan: Und dann im nächsten Jahr nochmal versucht und im nächsten Jahr hat es geklappt.
[00:08:13] Judith: Genau. Ja, genau.
[00:08:15] Stephan: Wir reden gleich noch über ein paar Beispiele von inkubierten Hilfsorganisationen und eben auch zu der, an der du mitgeforscht hast. Wie war für dich damals die Erfahrung, durch den Bewerbungsprozess zu gehen und dann eben beim zweiten Mal durch das Inkubationsprogramm?
[00:08:34] Judith: Ja, das war eine sehr gute Erfahrung, eine sehr erhellende Erfahrung, denn ich habe den Bewerbungsprozess total gerne gemocht. Ich hatte richtig das Gefühl, hier kriege ich ein Gefühl dafür, wie das eigentlich ist, eine Charity zu gründen und was dafür wichtig ist. Es war eine spannende Aufgabe. Man hat neue Methodologien gelernt während des Bewerbungsprozesses und sie direkt angewandt. Und es war alles sehr schnell, also nicht perfektionistisch und tief, sondern möglichst viel Output produzieren, der möglichst gut ist, möglichst pragmatisch ist. Und das hat mir das Gefühl gegeben, das hier ist wirklich das, was ich machen will. Das ist, da bin ich ein richtig guter… das ist ein richtig guter fit für mich. Das war so ein bisschen erhellend, nachdem ich so lange nach was gesucht habe, wo es so klickt.
[00:09:18] Stephan: Habe ich von einer anderen Person, die ich kenne, die auch durch den Prozess gegangen ist, auch gehört, dass es auch einfach für einen selbst — für das Priorisieren, für das Nachdenken über die eigene Persönlichkeit und über die Karriere — nützlich war.
[00:09:30] Judith: Ja, genau. Den Eindruck hatte ich auch.
[00:09:33] Stephan: Wie war dann konkret das Gründen? Stell einmal gerne die Idee vor, die Hilfsorganisation, die du dann gegründet hast.
[00:09:42] Judith: Ja, also ich habe damals dann High Impact Athletes mitgegründet quasi. Es war so ein bisschen ein spezieller Fall, weil jemand anderes außerhalb des Programms diese Idee hatte. Aber manchmal nehmen wir bei Charity Entrepreneurship eben auch externe Ideen auf, wenn wir glauben, dass sie genauso gut sind wie unsere eigenen Ideen. Ja, ich bin dann dem Programm beigetreten mit dieser Idee und, ja, das war wirklich spannend, diese Idee halt von der Idee quasi, von der Konzeption hin auszuarbeiten und dann nach dem Inkubationsprogramm wirklich voll Karacho zu starten sozusagen.
[00:10:20] Stephan: Du warst gar nicht so lange dabei, oder? War einfach das Spannende, das dann zu gründen und aufzubauen und danach läuft das jetzt und tut weiter Gutes?
[00:10:30] Judith: Ein Jahr lang habe ich das gemacht, das war so das erste Jahr. Und dann habe ich so ein bisschen gemerkt: Es passt mit mir und dem anderen Gründer vielleicht nicht ganz optimal. Ich glaube, jemand anderes würde jetzt in dieser Organisation konkret ein bisschen mehr impact haben und ich würde woanders vielleicht besser hinpassen.
Es war ein bisschen ein spezieller Fall, weil normalerweise gehen beide Gründer durch das Inkubationsprogramm. Und in diesem Fall war es eben nur ich. Und dadurch hatten wir nicht so ganz die Möglichkeit, das im Programm durchzuspielen. Aber es ist ein bisschen ein besonderer Fall, weil normalerweise nimmt man einen Co-Founder aus dem Programm und hat dann während des Programms zwei Monate lang die Möglichkeit, diese connection wirklich auf Herz und Nieren zu testen und zu schauen, ob das klappt, bevor man zusammen gründet.
[00:11:14] Stephan: Und in dem Fall war es halt einfach ein Sportler. Was natürlich aus offensichtlichen Gründen auch hilfreich war, aber deswegen war der Prozess etwas anders. Okay, lass uns vielleicht nochmal, wenn du magst, durch ein paar Beispiele von inkubierten Hilfsorganisationen gehen.
Wir können gerne mit Family Empowerment Media anfangen, wenn du willst. Daran hast du ja damals mitgeforscht, an der Idee. Was machen die? Wie tun die Gutes?
[00:11:41] Judith: Ja, also Family Empowerment Media, kurz: FEM, arbeiten in Nigeria. Und das Problem, was sie angreifen, ist, dass… Es gibt sehr viele Mütter, sehr viele Frauen, vor allen Dingen in lower und middle income countries, die sterben oder hohe disabilities haben, dadurch, dass sie ein Kind haben, ein Kind gebären, was sie vielleicht gar nicht haben wollten. Also es gibt ein sehr weit verbreitetes Problem, dass Verhütung eben mit ganz viel Stigmata behaftet ist, mit Misinformationen, dass Leute nicht genau wissen, wie es funktioniert: Kann ich dadurch infertil werden? Ist das irgendwie schlecht für mich? Hat das Nebenwirkungen? Wo bekomme ich das eigentlich? Es gibt so lauter Sachen, die dazu beitragen, dass Leute, die eigentlich keine weiteren Kinder haben wollen, dann eben doch Kinder haben und dann eben sehr darunter leiden.
Und das kann man aber sehr evidenzbasiert und sehr effektiv dadurch behandeln, dass man Radioshows macht, die darüber aufklären — über diese Misconceptions, über diese Misinformationen, Fehlinformationen, über fehlende Informationen — und dadurch dann dazu führen, dass Leute, die eigentlich verhüten wollen, tatsächlich verhüten können. Und dadurch meistens ihre Geburten ein bisschen weiter auseinanderfallen und eben intentional sind, also selbst gewählt wird von den Familien, wann sie eigentlich ein weiteres Kind haben wollen.
Das ist sehr evidenzbasiert, es gibt mehrere Organisationen, die sowas ähnliches schon machen, und Family Empowerment Media macht das eben in Nigeria, strahlt diese ziemlich lustigen Radioshows aus, die so Charakteren folgen und die dann eben spielerisch quasi die Charaktere vor diese Probleme, vor diese Misinformationen stellen und darüber wertvolle Informationen verbreiten, wo die Familien dann selbst wählen können, wann sie Kinder haben.
[00:13:35] Stephan: Du hast angesprochen, das ist eine gut evidenzbasierte Maßnahme. Vielleicht ist das ein guter Punkt, einmal beispielhaft an dem Fall zu erklären: Welche Evidenz haben wir dafür und wie viel Gutes tun wir eben pro Dollar? In dem Kontext drücken wir es dann meistens in gesunden Lebensjahren oder in adjustierten Lebensjahren aus.
[00:13:55] Judith: Ja, also wie unsere Charities normalerweise funktionieren ist, dass man im ersten Jahr macht man erstmal ein Pilotprogramm, wo man erstmal schaut, wenn ich das ganz klein aufziehe, was sind da die frühen Zeichen. Und die frühen Zeichen… Es ist nicht immer ganz klar von Anfang an, ob das dann, wenn man es hochskaliert, genau so übertragbar ist oder nicht. Aber im FEM-Pilot, den sie 2021 in Kano State in Nigeria implementiert haben, da wurde die Verhütungsrate — also Menschen, die verhüten, wenn sie verhüten wollen, wenn sie kein weiteres Kind wollen — hat sich um 75 % erhöht. Das heißt, das korrespondiert mit 250.000 neuen Verhütungsmittelnutzern, ja, was absolut wahnsinnig ist. Also 75 % ist ein Riesenanteil. Natürlich ist es ein bisschen schwerer, am Anfang in diesen Pilotprojekten die Kausalität zuzuschreiben. Dafür macht man später RCTs, Randomized Controlled Trials, die dann aber sehr viel mehr kosten, also mehrere hunderttausend [Dollar].
Und das wird gerade gemacht, damit die cause-effect-relationship wirklich ganz klar zuschreibbar ist. Und eben diese 75 % increase in Verhütungsmittelaufnahme, die ist äquivalent zu ungefähr 200 weniger Müttern, die sterben bei einer Geburt von einem Kind, was sie in diesem Moment noch gar nicht haben wollten.
[00:15:26] Stephan: 200 weniger Tode von Müttern klingt erst mal nach viel, aber wir müssen das natürlich in Relation setzen zu den eingesetzten Ressourcen. Was heißt das in zum Beispiel eben Dollar pro Gesundheitsjahr? Wie effektiv können wir Lebensjahre retten in dem Fall?
[00:15:49] Judith: Ja, die Projektion, die aktuell am wahrscheinlichsten klingt, ist, dass FEM für 2.600 Dollar einen Tod verhindern kann, der sonst passiert wäre ohne FEMs Eingreifen. Wenn das erstmal so dasteht, klingt das irgendwie relativ teuer, aber wenn man das eben an globalen Maßstäben vergleicht… GiveWell schätzt im Moment, dass eine ihrer besten Charities, am meisten kosteneffektiven Charities, die Against Malaria Foundation, dass sie für ungefähr 5.000 Dollar ein Leben retten können, was sonst nicht gerettet worden wäre. Und von daher sieht das schon mal ziemlich vielversprechend aus. Es könnte eine der kosteneffektivsten Charities auf dem Planeten sein.
[00:16:38] Stephan: Ja, ich weiß nicht, ob es nach viel klingt. Einerseits haben Menschen, glaube ich, manchmal die Idee, dass es wahnsinnig günstig ist (also günstiger als das), ein Leben zu retten, vielleicht auch, weil sie manchmal irreführende Werbung, vielleicht auch von Hilfsorganisationen selber, gesehen haben. Und andererseits ist es wirklich nicht viel. Also, wenn man überlegt, wie viel wir bereit wären, für unser eigenes Leben auszugeben oder wie viel wir eben über einen Versicherungsmechanismus bereit sind für für Behandlungen, die das Leben etwas verlängern, auszugeben, ist es ziemlich günstig eigentlich.
[00:17:14] Judith: Ja, das finde ich super, dass du das ansprichst. Es gibt halt manchmal so ziemlich irreführende Werbung, würde ich sagen schon fast. Wenn man zum Beispiel auf einem Bus irgendwie so eine Werbung sieht, so: „Für 10 Pfund kannst du ein Leben retten, wenn du diese Telefonhotline finanzierst“ oder sowas. Und das ist eben nicht die Rechnung, die hier gemacht wird. Die Rechnung hier nimmt viel mehr Faktoren in consideration…
[00:17:39] Stephan: Betrachtet viel mehr Faktoren dafür.
[00:17:41] Judith: Ja, genau, danke.
[00:17:44] Stephan: Man muss dazu sagen, du arbeitest in England, deswegen passiert das natürlich, dass du ab und zu dann nur den englischen Begriff parat hast.
[00:17:51] Judith: Genau, mein Deutsch ist nicht mehr ganz so frisch, wie es mal war.
[00:17:55] Stephan: Ja, was dann manche irreführende Werbung macht, ist, dass sie dann zum Beispiel nur die Kosten für einen bestimmten Teil der Intervention, der dann bei einem von x Menschen ein Leben rettet, nimmt und das verkauft als das, was…
[00:18:12] Judith: Ja, wir könnten das kurz mit, zum Beispiel mit FEM ja auch durchspielen. Also die Kosten für einen einzigen Radiospot, die sind wirklich sehr, sehr klein, weil eben diese Radiozeit in Nigeria gar nicht mal so teuer ist. Und es ist ja auch eine Non-Profit-Organisation, die bekommen immer auch bessere Preise. Der Preis für einen Spot, ich habe ihn jetzt nicht ganz genau parat, aber der ist irgendwie, der ist auf jeden Fall unter 100 Dollar. Und was heißt das? Kann dieser Spot Leben retten? Ja, aber nicht jeder Mensch, der diesen Spot hört, der wird ja automatisch… der würde sonst sterben. Also es geht dann an ganz viele Leute, an Tausende von Leuten, die den gleichen Spot hören. Einige davon verhüten vielleicht sowieso schon. Da macht es gar keinen Unterschied mehr. Während andere Leute vielleicht gerade nicht verhüten, gerade eben diese Misinformationen glauben und dann vielleicht durch diesen Spot noch eine ganz kleinere Zahl wird durch diesen Radiospot tatsächlich ihr Verhalten ändern. Man muss vielleicht auch den Radiospot zweimal hören. Und wird dann anfangen, Verhütung zu benutzen, und hätte sonst vielleicht eine 5-Prozent-Chance gehabt, zu sterben bei der nächsten Geburt. Und wenn man diese ganzen Zahlen mit einberechnet, dann landet man eben bei so was wie 2.600 Dollar pro Tod, der sonst geschehen wäre.
[00:19:33] Stephan: Kannst du einmal über die Arten von Evidenz, wie wir oder ihr oder wie eine Organisation wie GiveWell, die Hilfsorganisation begutachtet, wie die zu dem Schluss kommen, und wie wir beurteilen, wie effizient eine Organisation ist? Also zum Beispiel, welche Art von Studien gemacht werden. Du hast gerade angesprochen randomisierte Kontrollstudien. Im ersten Schritt macht man aber wahrscheinlich nicht gleich eine Kontrollstudie, weil die sehr teuer sind. Schildere das einmal ein bisschen.
[00:20:05] Judith: Ja, also GiveWell ist ja so ein bisschen die höchste Autorität sozusagen, was effektive, kosteneffektive und evidenzbasierte Hilfsorganisationen angeht. Und was die eben machen, ist, sie evaluieren eine Organisation, also eine bestimmte Organisation, und schauen sich die eben ganz genau im Detail an. Und was sie dann dafür machen, ist zweierlei sozusagen.
Einmal gibt es eine Kosten-Nutzen-Rechnung, die eben die Kosten — Was kostet diese Charity insgesamt? — dem gegenüberstellt, was hat sie für einen Nutzen, also bei wie vielen Leuten hat es wie viel Effekt? Und dadurch hat man dann die Kosteneffektivität dieser Organisation, die dann zum Beispiel 2.600 Dollar pro gerettetem Leben ist. Aber wie kommt man denn eigentlich dazu, die Kosten und Nutzen überhaupt festzustellen? Und da kommt dann eben die Forschung, die Wissenschaft rein und um bei GiveWell überhaupt eine Chance zu haben, muss man tatsächlich mehrere RCTs, also Randomized Controlled Trials, aufweisen können.
GiveWell hat wirklich sehr hohe Standards und nehmen nur Hilfsorganisationen ins Portfolio auf, wo es eben mehrere Studien gibt, die die Hilfe, die tatsächlichen Effekte, belegen und die dann erlauben, überhaupt diese Kosten-Nutzen-Rechnung zu machen und mit guter Evidenz zu machen.
[00:21:28] Stephan: Wir können jetzt schon einmal… ich würde es auch noch bei den Ressourcen auf die Episodenseite stellen und vielleicht kommen wir später auch nochmal dazu: Wenn man in Deutschland für eine der Organisationen spenden will oder für manche der Organisationen, die GiveWell als positiv beurteilt, dann kann man das über Effektiv Spenden machen. Dann ist es auch steuerbegünstigt, weil die meisten davon sind… ich glaube, keines davon ist in Deutschland angesiedelt. Das nur am Rande.
Und von der Art der Evidenz ist es eben so, dass wir eben am Anfang zum Beispiel keine Kontrollstudie machen, wo wir einen Arm mit einer Intervention und einen ohne haben und dann gucken: Finden wir einen signifikanten Effekt und in welcher Größe? Und das machen wir irgendwann, gegebenenfalls auch mehrmals und an unterschiedlichen Orten. Am Anfang müssen wir vielleicht sowas wie Zeitreihenstudien machen, wo wir gucken, wenn wir die Intervention einführen: Wie groß ist der Effekt, den sie hat? Und die Kostenseite ist vielleicht einfacher. Und bei euch, bei deiner eigenen Hilfsorganisation, von dir mitgegründet, war im Grunde diese Evaluation auch einfacher, oder? Weil es einfach darum geht: Wie viel Geld kam rein für nützliche Hilfsorganisationen? Und dann erst in dem zweiten Schritt stellt sich bei jeder der Hilfsorganisationen die Frage, wie effektiv sie ist.
[00:22:49] Judith: Genau, und in dieser Organisation bei High Impact Athletes haben wir uns eben dann darauf fokussiert, möglichst viel Geld, möglichst viele Spenden zu sammeln. Und wir haben das Evaluieren größtenteils den externen Evaluationsorganisationen wie GiveWell [überlassen] und Giving What We Can gibt es zum Beispiel noch und Founders Pledge gibt es noch, um so ein paar Namen mal in den Ring zu werfen, die alle Hilfsorganisationen evaluieren und oft auch zu überlappenden Ergebnissen kommen. Und dann haben wir uns eben die Besten da herausgepickt, damit wir uns darauf fokussieren können, professionellen athletes das effektive Spenden näher zu bringen und eben zu erklären, wie viel Gutes man da tun kann.
[00:23:29] Stephan: Und die Organisation gibt es immer noch, ist immer noch sehr erfolgreich und hat umgerechnet viele Leben gerettet.
Als Philosophin frage ich dich einmal: Es spielen ja bei solchen Beurteilungen manchmal kontroverse Wertentscheidungen mit rein. Manchmal relativ einfache, denen fast alle zustimmen würden, nämlich dass es gut ist, wenn ein Tier weniger leidet oder wenn jemand frei von Schmerz ist. Da gibt es wenige plausible Ansichten, die das irgendwie negieren würden. Aber bei sowas wie Family Empowerment Media müssen wir vielleicht mitbedenken: Was ist mit den Sekundäreffekten, nämlich dass vielleicht weniger Kinder geboren werden, die positive Leben gehabt hätten? Wie sehr habt ihr das mitbeurteilt? Inwiefern hast du da mal mit darüber nachgedacht oder inwiefern war das eben etwas, was einen zögerlich gemacht hat oder nicht?
[00:24:29] Judith: Ja, ich kann da, glaube ich, ein bisschen was zu sagen. Ich war so ein bisschen am Rande davon natürlich nur. Ich habe vor allen Dingen die Evidenz evaluiert damals, aber ich sage da gerne was zu. Das sind sehr wichtige Probleme, die du da ansprichst. Und was wir bei Charity Entrepreneurship oder jetzt AIM, Ambitious Impact, versuchen zu machen, ist, dass wir Hilfsorganisationsideen empfehlen, die möglichst robust sind, auch über verschiedene Wertesysteme hinweg. Und die Idee zum Beispiel bei FEM ist, dass FEM alleine über die Tode und das Leiden, was sie da abwehrt, schon kompetitiv ist mit anderen Hilfsorganisationen. Natürlich sprichst du jetzt an, es gibt noch sekundäre Effekte und da gibt es bei FEM viele. Wie du sagst, eine Art Effekt ist eben, dass weniger Menschen geboren werden. Es gibt aber auch viele andere Sekundäreffekte.
Zum Beispiel ist bewiesen, wissenschaftlich über Studien, dass Familien mit weniger Kindern, wenn sie diese Kinder nicht haben wollen, dass jedes einzelne Kind und die Familie insgesamt mehr Geld zur Verfügung hat und dann gesünder ist. Das ist ein Effekt, der sehr weit verbreitet hält, also stattfindet. Weiterhin gibt es Effekte auf die Gesundheit der Mutter, die nicht nur den potenziellen Tod, also das potenzielle Sterben während der Geburt, was ja doch…
[00:25:50] Stephan: … ein recht unangenehmes Ereignis …
[00:25:52] Judith: … ja, ziemlich unangenehmer Effekt ist. Es gibt noch richtig viele andere Effekte, die darüber vermieden werden, weil eben doch öfter diese Geburten auch sehr nah beieinander sind, wenn sie ungewollt sind. Und dann muss man eben gucken, wie, wenn ich mir diese ganzen Effekte, die potenziell darüber entstehen, wenn ich die mir alle anschaue, was finde ich da wichtiger?
Und solange man diese weiteren Effekte auf das Einkommen und auf die Gesundheit der ganzen Familie, solange man die auch ziemlich wichtig findet, sind andere Effekte vielleicht ein bisschen weniger wichtig.
[00:26:26] Stephan: In dem Fall relativiert sich vielleicht manches, weil, klar, es gibt einen Menschen weniger, aber die, die existieren, haben deswegen bessere Leben. Solche Sachen.
[00:26:35] Judith: Ja, und dann ist es vielleicht auch noch relativ unkontrovers, dass, ja, das ist jetzt eine sehr philosophische Frage natürlich, aber die meisten von uns bei Charity Entrepreneurship finden nicht, dass es einen expliziten, sehr starken Wert gibt, eine Person in Existenz zu bringen, wenn diese Person vielleicht kein besonders gutes Leben hat und gerade eigentlich nicht gewollt ist. Also das Selbstbestimmungsrecht der Mutter kommt da halt auch noch mit rein. Wenn jetzt jemand gerade kein weiteres Kind haben möchte, ist es dann wirklich ein Wert, diese Person ein Kind haben zu lassen, wenn sie es eigentlich gar nicht möchte? Und wenn man es so formuliert, ich glaube, dann ist es ein etwas weniger klares Problem.
[00:27:23] Stephan: Genau. Es ist auch kein häufiges Argument, wenn es um Abtreibung geht. Eigentlich halten die meisten es für unzulässig, dann diese potenziellen Leben mit einzurechnen. Zumal sich solche Fragen nach Potenzialen ja auch schon vor dem Moment der Konzeption stellen.
[00:27:43] Judith: Ja, genau.
[00:27:44] Stephan: Ich habe mit Stefan Riedener auch darüber ein bisschen gesprochen. Insofern, es gibt philosophisch keinen so schönen Weg da raus, weil alle Antworten auf diese Frage etwas unbefriedigend sind. Insofern lasse ich es einfach mal so im Raum stehen.
[00:27:58] Judith: Ja, ich möchte vielleicht noch sagen, dass die meisten Hilfsorganisationen, die wir inkubieren, vielleicht ein bisschen weniger kontrovers sind als FEM. Zum Beispiel LEEP, das Lead Exposure Elimination Project, das eben Bleivergiftung bei Kindern verhindert. Da gibt es vielleicht weniger philosophische Probleme und ich glaube, das ist der Fall für die meisten Organisationen. Aber es ist natürlich auch spannend, die bisschen interessante Quelle zu beleuchten.
[00:28:26] Stephan: Genau, damit wollte ich weitermachen. Vielleicht geben wir noch, bevor wir über den Prozess von Charity Entrepreneurship reden, von den Ideen bis zu der Inkubation, geben wir noch in aller Kürze zwei, drei weitere Beispiele dafür, was erfolgreiche oder meinetwegen auch nicht erfolgreiche (ex post nicht erfolgreiche) Organisationen waren, die Charity Entrepreneurship inkubiert hat. Willst du ein, zwei auswählen? Sonst werfe ich ein, zwei in den Raum.
[00:29:00] Judith: Ja, vielleicht noch ein ganz interessantes Projekt ist die Fish Welfare Initiative. Die arbeitet eben in der Tierleid-Ecke. Und vor Fish Welfare Initiative gab es keine internationale Hilfsorganisation, die sich nur auf das Wohlergehen von Fischen konzentriert hat. Also es war eine ziemlich neue Sache. Und die arbeiten eben in Indien zusammen mit Produzenten, mit Firmen, mit Regierungen und versuchen darüber in der Produktion den Fischen, die gefarmed werden, ein besseres Leben zu ermöglichen. Denn ganz oft leiden Fische extrem, während sie gefarmed werden, also während sie großgezogen werden und dann geschlachtet werden. Und es gibt eben ziemlich einfache Methoden, wie mehr Sauerstoff im Wasser, wie stunning, also dass …
[00:29:55] Stephan: Elektroschocks.
[00:29:56] Judith: Genau, Elektroschocks vor dem Schlachten, die eben das Leben dieser Fische massiv verbessern für wirklich sehr, sehr kleine Preise, die eben ganz oft eben auch selbst die Produzenten eigentlich ganz gerne übernehmen. Das ist vielleicht noch eine ganz interessante Charity.
[00:30:12] Stephan: In der Regel haben wahrscheinlich nämlich selbst die Produzenten … Es wäre vielleicht einfach, sich eine Geschichte zu erzählen, dass die vielleicht keinen Schmerz fühlen können oder so. Aber vielleicht ist das auch schwierig, wenn man viel mit den Tieren arbeitet. Und in dem Fall sind es wirklich… ich habe es mir irgendwo aufgeschrieben… es sind, glaube ich, pro Tag schon weltweit in dem Fall hunderte Millionen Fische, die täglich geschlachtet werden. Und wahrscheinlich…
[00:30:41] Judith: Das sind wirklich große, große Zahlen.
[00:30:43] Stephan: Täglich, ja. Das ist wahnsinnig hoch. Das ist höher als Hühner noch — die Landtiere, die am meisten geschlachtet werden, wo es ungefähr 200 Millionen pro Tag sind. Und in dem Fall gibt es also relativ einfache Interventionen wie dieses Leben in dieser Art der Massentierhaltung, denn viele Fische sind eben nicht frei gefangen, wo wir auch drüber reden können, aber es auch weglassen können, inwiefern das ein gutes Leben ist und inwiefern das Probleme mit sich bringt oder nicht, aber bei dieser Art der Massentierhaltung gibt es viele negative Faktoren für die Fische, wahrscheinlich netto negative Leben, die sie führen, und relativ einfache Sachen, mit denen man… relativ einfache Interventionen, mit denen man ihnen helfen kann.
[00:31:30] Judith: Genau, das ist vielleicht so ein Beispiel für eine auch ein bisschen unkonventionelle Charity, aber eben auf eine andere Art und Weise, wo man vielleicht ein bisschen weniger das Leiden von jedem einzelnen Fisch gewichtet, aber dann eben über die Zahl und wie relativ einfach es ist, da wirklich riesengroße Zahlen an Lebewesen zu beeinflussen und das Leben ein bisschen besser zu machen, eben doch ziemlich überzeugend sein kann.
[00:31:56] Stephan: Lass uns vielleicht noch über die Ideen für den nächsten Zyklus, bei dem die Bewerbungsfrist schon abgelaufen ist, aber es ist vielleicht trotzdem interessant zu sehen, womit sich Charity Entrepreneurship gerade beschäftigt, über die Ideen für den nächsten Zyklus gehen. Und vielleicht kannst du zu jeder Idee zwei bis drei Sätze sagen. Klingt gut?
[00:32:13] Judith: Ja, klingt super.
[00:32:17] Stephan: Okay, dann machen wir als erstes Impferinnerungen für Kinder, für Impfungen wie Diphtherie, Pertussis, Tetanus, solche Sachen.
[00:32:26] Judith: Genau, das ist wieder eine relativ klassische Hilfsorganisationsidee. Wir haben da sogar schon mal eine Hilfsorganisation inkubiert, diese Intervention erfolgreich in Indien umsetzt. Schon seit vier, fünf Jahren, die jetzt auch von GiveWell mehrere Inkubations-Grants, also Geld bekommen hat, um groß genug zu werden, damit sie vielleicht von GiveWell empfohlen werden können. Und die Idee hier ist, dass es eben sehr viele Krankheiten gibt, die bei uns hier in der westlichen Welt schon quasi ausgerottet sind, also die es gar nicht mehr gibt, weil es eben so einfach ist, wenn nur möglichst viele Leute in einer Gruppe geimpft sind, dann verbreiten sie sich eben gar nicht mehr und dann kommen sie gar nicht mehr vor. Das können Infektionskrankheiten sein oder das können eben übertragbare Krankheiten sein oder Krankheiten, die in der Umwelt vorkommen.
Und in mehreren low and middle income countries kann es eben mal der Fall sein, dass es eben nicht so gängig ist, dass es dieses Wissen gar nicht gibt, wie wichtig eigentlich solche Impfungen sind und dadurch eben viele dieser Krankheiten noch viel im Umlauf sind, die eigentlich ziemlich einfach zu bekämpfen sind, wenn nur möglichst viele Leute geimpft sind. Und ein sehr effektiver Weg, um das zu erreichen, sind eben SMS-Erinnerungen, die an Caregiver gehen, also an Leute, die Kinder haben und die für sie verantwortlich sind. Und da ist eben die Evidenz ganz klar, dass es ein sehr günstiger Weg ist, viel Verhalten zu verändern. Und dann werden viele Kinder geimpft. Und erkranken eben nicht an diesen völlig vermeidbaren Erkrankungen wie Tetanus, Keuchhusten, Diphtherie und so weiter.
[00:34:01] Stephan: Tuberkulose… Und man muss die Eltern nicht mal bezahlen, sondern schon einfach das Erinnern hilft. Erinnern und Aufklären hilft, nicht wahr?
[00:34:11] Judith: Ja, genau. Und das kann dann eben sehr kosteneffektiv sein, denn SMS kostet wirklich nicht viel. Da schauen wir auf sowas wie zwischen 38 und 78 US-Dollar pro DALY, also Disability Adjusted Life Year. Und das ist eben wieder so eine Metrik, verschiedene Interventionen zu vergleichen und zu schauen: Wie kosteneffektiv sind die eigentlich?
[00:34:34] Stephan: … die viel benutzt wird im Bereich globale Gesundheit. Die Kurzversion ist: Ein gesundes Lebensjahr ist ein DALY. Und wenn ich eine Krankheit habe, die mein Leben nur halb so schön macht, wie es sonst gewesen wäre, dann ist es eben ein halbes DALY, was ich dann pro Jahr erlebe. Und so gewichtet man das.
Weiter mit den Kampagnen in Massenmedien, um Gewalt gegen Frauen zu verringern.
[00:35:01] Judith: Genau, das ist eine Hilfsorganisation, die so ein bisschen aufbaut auf dem Erfolg von FEM, den wir da gesehen haben, wo wir eben gesehen haben, Massenmedien, gerade in lower and middle income countries können sehr effektiv sein, um Verhalten zu ändern, wenn dieses Verhalten sehr komplexe Gründe hat. Denn Verhalten zu ändern ist wirklich schwierig. Da gibt es ein ganzes Studienfeld zu behavioural change. Und, ja, Gewalt gegen Frauen ist ein ganz großes Problem in ganz vielen Ländern, was sehr multifacettentiert ist, also wo es ein bisschen schwierig ist, Interventionen zu bauen, die das irgendwie attackieren, die da was dran machen können, aber Massenmedienkampagnen, gerade im Radio ausgestrahlt, was noch sehr viel verbreitet ist in ärmeren Ländern, schaut da sehr vielversprechend aus in der Forschung.
[00:35:49] Stephan: Genauso wie FEM dann durch so eine Art Edutainment oder eine Mischung aus Education und Entertainment, also Informationen bereitstellend, aber vielleicht auch unterhaltsam. Und durch das öftere Anhören davon bewegt es zumindest manche der Personen, die es hören, zu Verhaltensänderungen.
[00:36:07] Judith: Genau, und was vielleicht ganz spannend ist: Wir stellen diese Ideen zur Verfügung, die auf der Forschung basieren und auf den letzten Erkenntnissen und höchstwahrscheinlich, also relativ wahrscheinlich funktioniere, aber wie genau die Intervention dann aussieht, wie genau die Hilfsorganisation das umsetzt, das wird dann alles noch von den Co-Foundern im Programm ausgearbeitet und eben ausprobiert in den Ländern im ersten Jahr, um zu schauen, was wirklich funktioniert, wie genau es aussieht.
[00:36:37] Stephan: Dann als nächste Idee ist es eine weitere Organisation, die sich mit dem Wohlergehen von Fischen beschäftigt. Da können wir vielleicht drüber weggehen, weil wir gerade darüber gesprochen haben.
[00:36:48] Judith: Was da vielleicht noch ganz spannend ist, das ist eine Policy-Idee. Das heißt, es ist eine Hilfsorganisation, die eben über Policy funktioniert. Die Idee ist eben, dass man, wenn man die Legislation ändern kann in einem Land, dass das ein sehr großer Hebel sein kann, eben Veränderung zu erwirken. Da gibt es auch einige Hilfsorganisationen, die das so umsetzen. Während zum Beispiel die Impferinnerung für Kinder, da geht es eher Logistik und wie kann ich da, wie kann ich möglichst viele Menschen erreichen, während Policy eben mit offiziellen Ministerien und mit Gesetzgeber:innen zusammen eben daran arbeitet, Änderungen zu erwirken.
[00:37:29] Stephan: Ich glaube, die meisten Organisationen, die ihr gegründet habt oder inkubiert habt, waren… die meisten Organisationen hatten konkrete Interventionen, die sie selber gemacht haben, oder? Und dann gibt’s teilweise Policy und teilweise Forschung noch als Minderheiten.
[00:37:46] Judith: Ja, genau.
[00:37:49] Stephan: Okay. Und in dem Fall — Griechenland ist eben ein Land in Europa, das besonders viele Fischfarmen hat und gegebenenfalls kann man durch die Arbeit dort und dann auf EU-Ebene erreichen, dass es bessere Vorschriften, bessere Praktiken und bessere Vorschriften dazu gibt, wie wir mit Fischen umgehen.
[00:38:08] Judith: Genau. Und bei solchen Interventionen, da ist eben die Besonderheit, dass die Chance, dass es funktioniert, relativ klein ist im Vergleich zu diesen mehr direkt implementierenden Hilfsorganisationen. Aber dafür, wenn es klappt, ist die Wirkung eben besonders groß. Also zum Beispiel bei dieser EU-Fisch Policy Hilfsorganisation die zuerst in Griechenland arbeiten würde und dann auf der Europaebene moven würde, da könnte man eben pro Dollar bis zu 400 Fischen helfen. Das ist so eine Kosteneffektivitätsanalyse und das wäre halt, das ist ein ziemlich guter Deal, würde ich sagen.
[00:38:47] Stephan: Es ist wahnsinnig viel. Also ich frage es jetzt, weil sich die Frage dann aufdrängt: Wie wägen wir dann ab zwischen menschlichem und, also ich will gar nicht sagen zwischen dem Wohlergehen von Menschen und Tieren, sondern eben von, wie wägen wir ab zwischen dem Wohlergehen von Menschen und nichtmenschlichen Tieren.
[00:39:07] Judith: Ja, das ist eine super Frage. Die stellen wir uns auch fortgehend und auf der höchsten Ebene ist für uns erstmal die Antwort, dass wir da relativ neutral sind, dass wir glauben, dass sowohl menschliche als auch nichtmenschliche Tierleben wertvoll sind und dass deren Leiden wichtig ist, natürlich auf verschiedenen Ebenen und verschiedenen Mengen, aber beide sind wichtig. Und das heißt, wir empfehlen und wir inkubieren Organisationen, die an beidem arbeiten. Das ist unser erster Schritt. Darüber diversifizieren wir quasi so ein bisschen und arbeiten eben an beidem. Und dann auf einer etwas konkreteren Ebene schauen wir uns einfach an: Wie viel kann ich eigentlich ausrichten? Und das hilft oft schon mal ein bisschen.
Also zum Beispiel, wenn ich 400 Fischen helfen kann pro Dollar oder ich muss eben, um den genauen Vergleich zu haben, müsste man vielleicht sagen, okay, wenn FEM für 20 Dollar eben jemandem helfen kann, dann mal 20: 400 Fischen, möchte ich lieber 8000 Fischen helfen oder lieber dem Menschen hier so viel helfen. Und wenn man sich das so anschaut, dann kann es schon mal klar sein, okay, es gibt auf jeden Fall gute Interventionen im Tierschutzbereich, die es irgendwie wert sind. Und dann muss man eben nicht sagen, okay, nur das eine oder nur das andere, sondern, solange es Interventionen gibt, die 400 Fischen pro Dollar helfen können, dann finde ich, das ist es wert, das zu machen. Natürlich hat unser Forschungsteam da noch genauere Antworten darauf mit welfare points und so weiter, aber ich glaube, so allgemein hilft es schon zu sehen, solange es gute Interventionen gibt, gute Möglichkeiten gibt, können es einfach beide Sachen wert sein.
[00:40:51] Stephan: In dem Fall, man kann sich die Frage vielleicht so stellen: Welche Wahrscheinlichkeit ein Fisch in so einer Farm oder ein Huhn in der Massentierhaltung würde ich eintauschen gegen die Chance auf ein weiteres gesundes Lebensjahr? Und ich finde, wenn man so drüber nachdenkt, dann ist man bei manchen Tieren relativ schnell bei der Einsicht, dass es wirklich besonders vernachlässigte Bereiche sind. Und was ihr eben noch dazu macht, ist, es reicht ja nicht nur auf die Skala des Problems, nur auf das Ausmaß des Problems zu schauen, sondern man muss dann auch eben immer konkret gucken, was man Nützliches machen kann. Und zu den Flaschenhälsen, also den limitierenden Faktoren, kommen wir vielleicht gleich noch bei der konkreten Organisation des Inkubationsprogramms.
Wollen wir vielleicht weitermachen? Es gibt noch zwei, drei weitere Ideen, die man sich auch auf der Website von Ambitious Impact, beziehungsweise Charity Entrepreneurship, sowohl unter dem alten als auch unter dem neuen Namen, beziehungsweise der alte Name ist für jetzt einen Teil der größeren Organisation Ambitious Impact, die man sich anschauen kann. Wollen wir jetzt weitermachen vielleicht mit dem Prozess von Forschung bis zur Gründung?
[00:42:09] Judith: Ja, sehr gerne. Also wie vielleicht schon so ein bisschen rübergekommen ist: Wir fangen eben an, dass wir ein Inhouse-Forschungsteam haben, die eben durch die Studienlage sich wälzt, die mit Non-Profit-Expert:innen spricht, die immer ein Finger am Puls der Non-Profit-Organisation hat und die schaut: Was gibt es eigentlich für Ideen für Non-Profit-Organisationen, für neue Hilfsorganisationen, die es gerade noch nicht gibt und die, wenn es sie eben gäbe, unheimlich viel Gutes tun könnten, was eben mindestens so gut wie GiveWell-Charities ist, also die kosteneffektivsten Charities auf der Welt, die da mithalten könnten.
[00:42:49] Stephan: Und deren Messlatte ist jetzt für den menschlichen Fall wieder, ich glaube, GiveWell konzentriert sich ja auch nur auf Menschen, ungefähr 5.000 Dollar pro Leben, oder?
[00:42:58] Judith: Genau. Und das Ziel ist eben, ein Mehrfaches davon zu erreichen. Also wir sind da sehr ambitioniert, was ja auch im Namen Ambitious Impact schon dabei ist.
[00:43:10] Stephan: Genau. Erzähl mal, wie fängt das an, erstmal von der Auswahl von den Handlungsfeldern bis über die Ideengeneration und dann durch die Distillierung von vielen zu ein paar konkreten Ideen für neue Organisationen?
[00:43:27] Judith: Genau, also zuerst suchen wir erstmal die Forschungsfelder aus. Also möchten wir zum Beispiel neue Tierschutz-, also Tierleidsorganisationen gründen oder möchten wir vielleicht in der Biosicherheit neue Organisationen gründen oder mehr Policy-Organisationen. Und da schauen wir uns vor allen Dingen das philanthropische Feld an. Wir schauen, was funktioniert gerade, wo gibt es mehr Löcher, die eben nicht so gut gefüllt sind. Was wird gerade mehr gebraucht? Wo gibt es überhaupt Funding für neue Organisationen? Und suchen dadurch eben welche aus, die ziemlich gut aussehen. Das ist vielleicht noch nicht so ein ganz methodischer Prozess, weil da so viele Heuristiken mit reinspielen, dass man da einfach schauen muss: Wo könnten jetzt am besten neue Organisationen gefunden werden überhaupt, in welchen Feldern?
[00:44:14] Stephan: Man kann jedes Mal zurückgehen zu Überlegungen von Populationsethik und von Utilitarismus und Deontologie und wie vergleicht man unterschiedliche Handlungsfelder miteinander, aber das klingt so, als würde, wenn man dann die Arbeit tatsächlich macht, würden auch viele praktische Limitationen einiges vorgeben.
[00:44:37] Judith: Ja, die Sache ist, also wir haben natürlich, als wir Charity Entrepreneurship gestartet haben vor fünf, sechs Jahren, natürlich einmal einen Rundumschlag gemacht sozusagen. Also sollen wir überhaupt am Tierschutz arbeiten? Sollen wir überhaupt an sowas wie Policy arbeiten? Und uns da so langsam vorgetastet, ab und zu ein neues Feld mit reingenommen, was dann ein bisschen mehr experimentell war. Und jetzt haben wir quasi schon einen ganz guten sense davon, ein ganz gutes Gefühl dafür, was es für Felder gibt, was sind so die Vor- und Nachteile. Dann ist es ein relativ kurzer Prozess zu schauen, wie ist gerade die Atmosphäre in diesem Feld, wie viel kann da gerade Neues gegründet werden, was kann das Feld aufnehmen sozusagen.
[00:45:20] Stephan: Die meisten Organisationen — korrigiere mich, wenn das nicht stimmt — die meisten Organisationen waren bisher tätig in den Bereichen globale Gesundheit und Entwicklung und Tierwohl, oder?
[00:45:12] Judith: Ja, das stimmt. Und ich würde sagen, globale Gesundheit sind [davon] eher so zwei Drittel oder zwei Viertel und Tierwohl vielleicht so ein Drittel. Ja, und dann ein Viertel [von der Gesamtmenge] sind immer so ein bisschen experimentellere Felder wie eben die Biosicherheit oder diese neuen Policy-Organisationen, damit wir auch neue Dinge ausprobieren können.
[00:45:55] Stephan: Und jedes Mal lernt man immer noch was dabei und das bringt einen dann auch bei der Priorisierung natürlich nächstes Mal weiter. Das heißt, ihr seid im Grunde in dem Aspekt relativ weltanschaulich neutral, könnte man sagen, und nicht auf eine ethische Theorie versteift und würdet euch jetzt auch nicht von naiven Kosteneffektivitätsanalysen leiten lassen, die suggerieren, dass man sich am besten nur noch auf die Prävention großer Risiken konzentriert.
[00:46:26] Judith: Genau, diese Offenheit gegenüber verschiedenen Weltanschauungen, das ist uns ganz wichtig. Das ist quasi zentral in unserer DNA. Wir wollen eben nicht nur eine Sache machen. Es passiert eben ganz oft doch, dass sich dann irgendwie ein Denkfehler einschleicht oder dass etwas doch nicht funktioniert. Und da möchten wir lieber diversifizieren, wie man das eben auch beim Investieren und in vielen anderen Feldern macht, und nehmen mehrere Sachen, von denen wir glauben, dass sie so im top tier, so im höchsten Level quasi von Effektivität sind.
[00:46:59] Stephan: Wie generiert ihr dann Ideen im nächsten Schritt?
[00:47:03] Judith: Ja, also das war der erste Schritt. Da haben wir uns Forschungsfelder ausgesucht und dann sprechen wir eben mit ganz vielen Expert:innen, mit unseren Charities, mit Grant-Makern, die eben spenden, die das Geld in diesen Bereich geben. Wir reden mit existierenden Hilfsorganisationen, mit großen und mit kleinen und generieren dadurch über eine Liste von so mehreren hundert Ideen ungefähr für jedes dieser Forschungsfelder. Das ist also ein ganz weiter, ganz wilder Brainstorm-Prozess. Wir schauen auch in die Forschung, in die existierende Forschung und in die Forschung der letzten Jahre, ob es neue Interventionen, neue Herangehensweisen gibt, die sich als gut herausgestellt haben, und machen eben so eine riesengroße Liste.
[00:47:47] Stephan: Mehrere hundert Einträge und jeweils ein Satz Beschreibung. So kann man sich’s vorstellen?
[00:47:52] Judith: Ja, so ungefähr.
[00:47:55] Stephan: Und dann muss es erstmal grob natürlich reduziert werden, damit man dann erst mitteltiefe und dann später tiefergehende, viele Stunden dauernde Forschung machen kann. Wie passiert das?
[00:48:08] Judith: Genau, also wir fangen an mit dieser wirklich großen Liste, die wirklich möglichst viele in Betracht nimmt und priorisieren erstmal dann ganz grob. Da wird dann bei jeder Zeile nur einige wenige Minuten verbracht mit jeder Idee. Vielleicht einmal ganz kurz gegoogelt, geschaut, gibt es da was zu, klingt das gut und dann wird eine Zahl zugeordnet und so wird dann iterativ langsam die Liste immer besser. Es gibt immer bessere Ideen auf der Liste und die nicht so guten werden eben rausgesucht.
Dann hat man als nächsten Schritt so die Top 50 oder so Ideen und dann kann man eben auf diese Top 50 Ideen ein bisschen mehr Zeit verwenden. Zum Beispiel mehrere Stunden, dass man halt mit Expert:innen spricht oder dass man eine kurze Suche macht in Online-Datenbanken zu Forschungsergebnissen und das einfach ein bisschen tiefer vergleicht. Wie sieht eigentlich die Evidenzbasis aus? Wie kosteneffektiv klingt das? Wie risikohaft ist das? Wie wahrscheinlich ist es, dass eine neue Organisation da viel Gutes tun kann? Wie viele Lücken gibt es da im existierenden Feld? Das sind so einige der Kriterien. Und das wird halt gemacht, bis dann eben so die Top 7, 8, 9, 10 Ideen nur noch dastehen, die möglichst gut ausschauen. Und dann verbringt man iterativ eben nochmal mehr Zeit mit diesen Ideen, geht da wirklich in die Tiefe, versucht diese Idee zu zerstören. Was könnte schiefgehen, warum könnte es passieren, dass es wirklich nicht reicht, dass es nicht so gut ist wie die anderen Ideen? Bis man dann am Ende… haben wir dann eine Liste von 3 bis 5 Ideen, die wirklich die besten Ideen sind, aus Hunderten von Ideen, die wahnsinnig viel Forschung und Evidenz unterliegend haben, die das substanzifizieren, substanziieren sozusagen.
[00:49:53] Judith: Ja, und es sind ungefähr 80 Stunden dann am Ende pro Idee, die wir dann mit dieser Idee verbracht haben. Und dann ganz am Ende entscheiden wir uns, welche von diesen Ideen werden wir für das Inkubationsprogramm überhaupt jetzt empfehlen.
[00:50:06] Stephan: Genau, und diese Berichte sind auch sehr interessant. Also zwei volle Arbeitswochen sozusagen gehen dann nochmal in das Schreiben eines Berichts, den man sich natürlich auf eurer Website anschauen kann.
[00:50:18] Judith: Genau.
[00:50:20] Stephan: Wir können gleich gerne einmal über die Methodologie reden, die Forschungsmethodologie, wie man sowas macht. Aus Interesse einmal: Wie akkurat sind so die Einschätzungen, die man intuitiv erstmal hat, wenn man diese lange Liste hat? Natürlich könnt ihr die falsch Negativen, die Ideen, die ihr aussortiert habt, obwohl sie vielleicht nicht hätten aussortiert werden sollen, die wird man nicht gut quantifizieren können, aber bei denen, die erfolgreich waren oder die dann eben letztendlich doch nicht erfolgreich waren, habt ihr wahrscheinlich diesen frühen score, den ihr korrelieren könnt, also die frühe Einschätzung, die ihr korrelieren könnt, mit der Wahrscheinlichkeit, dass es dann später eine Empfehlung geworden ist.
[00:51:07] Judith: Ja, also die sind gut genug. Die sind natürlich nicht perfekt. Das macht viel Sinn. Aber das ist ein ganz guter Hinweis, wie eigentlich unsere Herangehensweise überhaupt bei AIM, bei Ambitious Impact, bei Charity Entrepreneurship funktioniert. Wir sind nämlich sehr pragmatisch. Unser Ziel ist gar nicht, nur alle 20 guten Ideen rauszufinden, sondern wir wollen eben sieben bis acht der besten Ideen haben, die besser sind als GiveWell Top-Charities, also die eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit haben, diese Messlatte zu erreichen. Und wenn wir dann einige verpassen, ist das nicht so schlimm, weil es geht uns um die Resultate. Also das erinnert vielleicht wieder an den Utilitarismus, so ein bisschen an diesen Hintergrund, dass die Resultate am Ende… das ist das, was uns am wichtigsten ist.
[00:51:57] Stephan: Wenn man zuerst in Kontakt kommt, zuerst Ideen rund um Effektiven Altruismus und rund um effektives Spenden, wenn man den Ideen begegnet, dann denkt man vielleicht, dass das Hauptwerkzeug Kosteneffektivitätsanalysen sind, also Kosten-Nutzen-Rechnungen. Das ist auch ein Teil des Werkzeugkastens sozusagen, aber eben nur einer unter mehreren. Kannst du einmal vielleicht die Liste runter gehen und sagen, welche Werkzeuge wofür nützlich sind und warum man verschiedene haben möchte?
[00:52:36] Judith: Ja, also wir schauen natürlich auch auf die Kosteneffektivitätsanalyse, wie schon gesagt, weil das am Ende das Wichtige ist, wie viel Gutes tun wir denn eigentlich pro Ressource, die wir investiert haben. Aber es reicht eben nicht, naiv zu schätzen, was denn der Wert sein könnte, sondern wir schauen da erstmal die Evidenz an, wie schon erwähnt. Und da haben wir im Endeffekt Spreadsheets, also ganze Spreadsheets, Tabellenblätter voll mit Studien, die mit dieser Art von Interventionen gemacht worden sind und schauen uns da eben die Ergebnisse an, die Resultate: wie groß sind die Effekte, wie vertrauenswürdig war die Meteorologie und so weiter. Das ist einer der ersten weiteren Baukastenteile.
[00:53:21] Stephan: Das heißt im Grunde sind das… versucht man möglichst viele Studien zu finden und möglichst gute und dort auch eine gemeinsame Metrik irgendwie zu haben, wie viel Verhaltensänderung es gibt oder wie viel Gesundheitseffekte es gibt und gewichtet die dann noch danach, wie zuverlässig sie wohl sein mögen. Also systematische Übersichtsarbeiten sind zuverlässiger als randomisierte Kontrollstudien, die sind zuverlässiger als Beobachtungsstudien, wobei dort dann auch noch diejenigen, die retrospektiv gemacht [wurden], wahrscheinlich weniger zuverlässig sind und so weiter und ganz am Ende sind wir vielleicht nur bei irgendwelchen Fallbeispielen oder ganz zum Schluss bei irgendwelchen Anekdoten oder so.
[00:54:05] Judith: Genau, ja, das ist eine sehr gute Übersicht. Das ist eben die Evidenzpyramide, die Qualität von verschiedenen Arten Evidenz zu sammeln, auf wissenschaftliche Art und Weise gegenüberstellt oder aufeinander aufbaut, um eben die Besten herauszustellen, damit man eben möglichst gut die Welt beschreiben kann und möglichst gut die Welt vorhersagen kann.
[00:54:30] Stephan: Gerne, weiter mit dem nächsten Werkzeug.
[00:54:33] Judith: Ja, dann ein Werkzeug, das wir uns anschauen, ist eben die sogenannte Theory of Change, auf Deutsch vielleicht: das Wirkungsmodell… könnte man das übersetzen. Und die ist eben ganz zentral im Non-Profit-Bereich, wird aber auch überraschend oft übersprungen dafür, dass sie eigentlich so zentral ist. Die Idee von so einer Theory of Change, von so einem Wirkungsmodell, ist eben, dass man ein Modell macht, wo die verschiedenen Schritte von den Aktivitäten der Charity bis hin zu dem, was sie eigentlich dem Impact, den sie in der Welt verursacht, was sie eigentlich ändert in der Welt, einmal komplett nachvollzieht und explizit aufschreibt. Zum Beispiel bei FEM, über die wir vorher gesprochen haben: Die Aktivitäten, die Hilfsorganisation vornimmt, sind ja sowas wie „mit lokalen Radiostationen interagieren“ und „eine Episode schreiben“ und solche Dinge eben. Und dann kommt der nächste Schritt eben, die man in so einer Theory of Change aufschreiben würde.
Und das wären dann die Outputs von diesen Aktivitäten. Und das wäre dann sowas wie „Radioshows, die in Nigeria im Kano State ausgespielt werden“,, weiß ich nicht, siebenmal die Woche über zwei Monate hinweg oder so. Aber damit ist es ja noch immer noch nicht getan. Denn das ist ja noch nicht wertvoll an sich in der Welt.
[00:55:55] Stephan: Müssen auch gehört werden.
[00:55:57] Judith: Genau. Der nächste Schritt wären die Outcomes. Was verursacht das denn eigentlich überhaupt in der Welt? Und in diesem Fall von FEM wäre das eben, dass jemand das hört und dann hoffentlich darüber sein Verhalten ändert, vielleicht Verhütung aufnimmt, eine neue Verhütungsmethode aufnimmt, die sie vorher nicht benutzt haben. Aber das wiederum ist ja auch immer noch nicht das, was uns eigentlich wichtig ist. Was eigentlich wichtig ist, ist ja, dass Menschen gute Leben und dass sie nicht sterben und dass sie möglichst wenig leiden. Das heißt, dann muss man auch noch schauen, ist diese Verbindung zwischen Verhütung aufnehmen und dadurch weniger sterben und mehr Einkommen haben, gibt es da Evidenz für? Und dieses Wirkungsmodell ist einmal so komplett im Detail. Das muss natürlich noch viel detaillierter sein, als ich es jetzt gerade hier schematisch dargestellt habe, angerissen habe.
Da fällt einem dann auf, was da eigentlich alles für Annahmen reingehen. Und dann kann man da, während man Interventionen vergleicht, schauen, wo könnte es da scheitern am wahrscheinlichsten und da den Finger genau reinlegen.
[00:57:02] Stephan: Ich vermute, der positive Effekt ist wahrscheinlich zweierlei, oder? Nämlich, dass man einmal besser plant und besser weiß, was überhaupt wichtig ist beim Design der Intervention und was die eigentlichen Ziele sind, die man hat, damit man sich auch später dann, das ist der zweite Vorteil, damit man dann später gut beurteilen kann und ehrlich mit sich selbst sein kann, ob man sein Ziel denn auch erreicht.
[00:57:28] Judith: Genau, was Charities, was Hilfsorganisationen dann später machen, das nennt sich M&E oder MEAL oft oder auch Monitoring and Evaluation und manchmal macht man auch Learning hinten dran. Und was man eben dann macht auf Basis von so einem Wirkungsmodell, ist, dass man an diesen verschiedenen Schritten messen kann. Also man kann die Aktivitäten messen. Wie viele Radioshows haben wir denn überhaupt geschrieben? Man kann die Outputs messen. Wie viele Radioshows haben wir überhaupt gestaged und produziert? Dann kann man die Outcomes messen. Wie viele Leute haben überhaupt die Radioshows gehört? Und das wird dann langsam auch immer schwieriger. Und je weiter man in diesen Wirkungsmodell kommt, desto schwieriger und desto teurer ist es dann auch. Aber dadurch, dass man eben dieses Wirkungsmodell hat, macht es einem das einfacher zu schauen, wo läuft es eigentlich gut und wo läuft es nicht gut.
Und am Ende, wenn der Impact vielleicht nicht da ist, obwohl alles andere gut aussieht, dann macht man die Charity vielleicht nicht weiter.
[00:58:24] Stephan: Ja, vielleicht gibt es relativ häufig den Fall, dass Hilfsorganisationen dann einfach vor sich her dümpeln. Es gibt viele, die einfach ein relativ geringes Budget haben, die dann nicht abgemeldet werden und so. Aber bei Charity Entrepreneurship ist der Anspruch natürlich, dass man möglichst kosteneffektiv ist. Und deswegen werden auch ein Teil — welcher Anteil ist es? — ein Teil werden dann eingestellt.
[00:58:47] Judith: Ja, das ist so ungefähr ein Fünftel oder so. Das ist im Startup-Bereich normalerweise noch viel höher. Und da sind wir auch sehr stolz drauf. Also wir wollen, wir brüsten uns quasi damit, dass die Organisationen, die eben nicht so gute Ergebnisse haben, wie zum Beispiel Give Well-Top Charities, dass die eben dann ihre Arbeit einstellen, damit dann das Geld, die Spenden und die Arbeitskraft der Gründer:innen da besser verwendet werden können woanders.
[00:59:16] Stephan: Talentierte Leute, die auch woanders dann mehr Einfluss haben können und das Geld ebenso woanders mehr Einfluss haben kann. 20 Prozent ist wahnsinnig wenig eigentlich, oder? Also wenn man es vergleicht mit profitorientierten Start-ups, ist es sehr wenig. Woran liegt es? Könnt ihr das gut beurteilen?
[00:59:34] Judith: Ja, also ich glaube, da gibt es viele Gründe für eine, die vielleicht ein bisschen positiv in die positive Richtung geht. Die könnte sein, dass der Non-Profit-Markt eben überhaupt nicht optimiert ist, so wie der For-Profit-Markt. Und dadurch gibt es eben ziemlich viele so low-hanging fruit, wie man auf Englisch sagt. Viele Möglichkeiten, ziemlich günstig, ziemlich große Effekte zu haben. Also ja, es ist eben noch nicht so gängig.
[01:00:01] Stephan: Interventionen, an die man schneller rankommt, wie eben den Apfel, den man von dem niedrigen Ast pflückt. Und vielleicht ist es gar nicht so intuitiv, wenn man noch nie darüber gehört hat, über so etwas wie Wohltätigkeit als Markt nachzudenken. Aber dort wäre eben die Idee: Warum gibt es diese Diskrepanz, dass ich einen starken Anreiz habe, gute Kaufentscheidungen für mich selbst zu treffen, wenn ich mit meinem eigenen Geld umgehe? Und wenn eine Hilfsorganisation etwas Positives macht, dann sagt der Empfänger vielleicht, ja, schön, danke, und akzeptiert das gerne, selbst wenn dem Empfänger zum Beispiel das, was er bekommt, weniger wert wäre als der Betrag, den es gekostet hat, das zu produzieren. Also das wäre noch ein niedrigerer Benchmark, eine niedrigere Messlatte sozusagen, von direkten Transfers von Geld.
[01:01:01] Judith: Genau.
[01:01:04] Stephan: Und andere Faktoren, die eine Rolle spielen, sind vielleicht einfach talentierte Gründer, tolles Programm, was ihr habt. Noch wichtige Faktoren, die vielleicht zu der niedrigen Quote von weniger geglückten Organisationen beitragen?
[01:01:24] Judith: Ja, eine vielleicht etwas negativere Sichtweise wäre natürlich, dass wir erwarten, dass die Zahl vielleicht noch ein bisschen steigt in den nächsten Jahren. Denn wir sind ja doch erst fünf, sechs Jahre alt. Unsere ältesten Organisationen sind sechs Jahre alt. Und manchmal, wie schon erwähnt, das Pilotprogramm, das macht man so im ersten Jahr und dann im zweiten, dritten Jahr schaut man, dass man einen RCT selbst beauftragt, so einen Randomized Controlled Trial, eben die Effekte der eigenen Hilfsorganisation wirklich genau zu untersuchen und zu schauen, ob die Effekte da sind. Und so kann es eben manchmal einige Jahre wirklich dauern, bis man wirklich sicher ist, wie gut die Charity eigentlich ist, die eigene. Und so ist eben das ein bisschen versetzt, bis die Charities schließen.
[01:02:11] Stephan: Die Tendenz ist wahrscheinlich die, dass Ideen oft im Pilot besser dastehen, oder? Es ist wahrscheinlich nicht zufällig, manche stehen besser da, manche schlechter, sondern vermutlich hat man einfach im Pilot, dadurch dass es kleiner ist, vielleicht macht man doch mehr, als man denkt an Interventionen und kann es nicht perfekt skalieren?
[01:02:31] Judith: Ja, das mit dem Skalieren ist wirklich ein großes Problem, weil oft eben, wenn es im Pilot nicht gut läuft, dann machen wir eben gar nicht erst weiter oder man ändert die Intervention ziemlich stark ab. Und wenn es gut läuft, dann versucht man eben das zu skalieren auf weitere Geografien, also auf weitere Bereiche. Und da liegt der Teufel eben manchmal drin im Detail. Andere Orte, andere Sitten, andere Radiostationen, andere audience, andere… Ja, es gibt einfach viel, was dann noch schiefgehen kann. Aber oft, wenn der Pilot richtig gut aussieht, wie zum Beispiel bei FEM, diese 75 Prozent, natürlich erwarten wir nicht, dass es an anderen Orten auch 75 Prozent sind. Also wird sind uns da ziemlich im Klaren darüber, dass das viel zu positiv ist. Aber das ist ein gutes Pilotergebnis, was wahrscheinlich macht, dass es anderen Orten eben skalierbar ist. Skalierbar genug, so gute Effekte zu haben, dass es ungefähr auf 2.600 Dollar pro gerettetem Leben rauskommt, wie vorher schon besprochen.
[01:03:33] Stephan: Genau, also oft ist man sich dessen bewusst und wenn der Pilot so gut ist, dass man dann sogar noch Spielraum von Faktor 2 hat, dann ist es ein guter Grund, weiterzumachen.
Ihr benutzt zum Beispiel Nutzwertanalysen, nächstes Werkzeug in der Entscheidung, wo eine Hilfsorganisation tätig sein sollte. Was sind Nutzwertanalysen, wie funktioniert das?
[01:04:01] Judith: Das ist eben ein Modell, wo man verschiedene Faktoren, die vielleicht nicht in dieser Kosten-Nutzen-Analyse auftauchen, nochmal versucht zu quantifizieren und darzustellen. Also zum Beispiel die wichtigste Anwendung von dieser Analyse ist zum Beispiel, wenn man Länder auswählt. Zum Beispiel ist die Frage eben bei bestimmten Interventionen: Gibt es überhaupt ein Land, wo ich diese Intervention etablieren könnte und wo die zu guten Effekten führen würde? Zum Beispiel: Gibt es da überhaupt die politischen Rahmenbedingungen? Gibt es da sowas wie die Radioinfrastruktur? Gibt es da… Können wir da Leute finden, die Sprache sprechen und da gut Radioshows produzieren können? Gibt es da Probleme mit der Verhütungslage? Aber gibt es genug Verhütungsmittel, dass Leute, die eben verhüten wollen, verhüten können? Und so weiter. Und in so einem Modell kann man eben solche verschiedenen Faktoren, die so ein bisschen schwerer zu fassen sind, numerisch begutachten und dann gegenüberstellen.
[01:05:06] Stephan: Und vielleicht schilderst du noch einmal den Unterschied zu der Kosteneffektivitätsanalyse, weil die ja auch viele Faktoren mit einfließen lassen kann, aber du bei der Nutzwertanalyse vorher festlegst, welche Faktoren sind wichtig. Du kannst eher qualitatives und eher quantitatives kombinieren und legst fest, welcher Faktor wie wichtig ist.
[01:05:28] Judith: Genau, genau wie du es sagst. Man kann verschiedene Sachen kombinieren, die sonst nicht auftauchen, die nicht strikt nur ein Nutzen oder ein Kostenposten sind und kann die eben quantifizieren und dann darüber durch eine… man kann denen halt ein Gewicht zuordnen, den verschiedenen Faktoren. Man kann zum Beispiel sagen, okay, die politische Lage ist irgendwie ein K.O.-Kriterium, also wenn ich da gar nicht erst ins Land komme, dann funktioniert es vielleicht gar nicht. Also ist das vielleicht ein Kriterium, was man nur von 0 bis 1 bewertet? Oder ist es sowas wie die Population, die ich überhaupt erreichen könnte, wo ich sie dann...
Ja, das geht jetzt ein bisschen zu sehr ins Detail vielleicht, aber die Population könnte ja sein, mehrere Millionen Unterschiede oder noch größere Unterschiede. Und die könnte man dann eben über z-Scores, über z-Werte — ich weiß gar nicht, wie man das auf Deutsch nennt, ehrlich gesagt — darüber wieder abbilden und dann am Ende auf so ein quantitatives Ergebnis kommen, was man natürlich so ein bisschen with a grain of salt taken muss. Also man kann es nicht Wort für Wort für bare Münzen nähen sozusagen, aber man hat eben die wichtigsten Faktoren trotzdem alle und kann sie alle gleichzeitig sehen und kann dann abwägen, welche dieser Interventionen doch am wahrscheinlichsten ist.
[01:06:43] Stephan: Ich kann versuchen, das zu erklären mit den z-Scores und du korrigierst mich, wenn ich falsch liege. Also im Grunde haben wir unsere Liste an Faktoren, die wichtig sind, dann ordnen wir denen ein Gewicht zu und beurteilen dann unsere Liste an Optionen, zum Beispiel unterschiedliche Länder, und tragen in jede Zelle unserer Tabelle dann ein, wie gut ist A oder B bei dem Kriterium. Dann wandeln wir das halt einmal in Standardabweichungen. Z-Scores sind im Grunde Standardabweichungen, damit wir nicht dann unweigerlich ein Kriterium doch stärker gewichten als ein anderes. Wir haben eigentlich vorher festgelegt, was wie viel zählen soll. Und wenn dann die Variationen in einer Kategorie viel höher sind als in einer anderen, dann führt das zu Schwierigkeiten. Deswegen macht man solche Sachen.
[01:07:36] Judith: Ja, das war eine gute Erklärung.
[01:07:39] Stephan: Genau, mir war vor allem wichtig zu zeigen, es sind recht viele Werkzeuge, die in diesem Methodenkasten sind. Es sind viele Sachen — Expertengespräche wären eine weitere Sache, über die wir noch nicht gesprochen haben — viele Werkzeuge, die in diesen Prozess mit einfließen und die eben dafür sorgen, dass die Ideen, die dann am Ende davon stehen, besonders gut evidenzbasiert sind und besonders gut umsetzbar sind.
[01:08:11] Judith: Genau, ja.
[01:08:12] Stephan: Sollen wir weitermachen mit der Identifikation von Gründern beziehungsweise dem Bewerbungsprozess?
[01:08:18] Judith: Ja, sehr gerne.
[01:08:19] Stephan: Das ist dein Hauptmetier. Insofern kannst du vielleicht erstmal den groben Überblick geben und dann gehen wir vielleicht noch in etwas mehr Detail durch die jeweiligen Stufen.
[01:08:31] Judith: Ja, was uns ganz wichtig ist bei unserem Inkubationsprogramm, ist, dass wir eben versuchen, global talentierte Leute zu finden, die ganz verschieden sein können. Das heißt, wir suchen nicht Leute mit einem bestimmten Hintergrund oder von einem bestimmten Alter oder einem bestimmten Herkunftsland. Das ist uns alles nicht so wichtig, sondern wir suchen sehr talentierte, sehr altruistische, sehr ambitionierte Leute, die wirklich, wirklich gute Hilfsorganisationen gründen könnten, wenn sie eben ein bisschen Training von uns bekommen.
[01:09:07] Stephan: Es klingt erstmal sehr einschüchternd. Also was sollte so die persönliche Schwelle sein, ab der man sich bewirbt?
[01:09:15] Judith: Ja, ich hoffe eigentlich, es soll eigentlich nicht so einschüchternd sein, sondern mehr so: Wir haben Leute aus lauter Hintergründen, die sehen völlig verschieden aus und haben ganz verschiedene Lebenswege gegangen und es ist trotzdem ein guter fit für sie. Das heißt, die Schwelle sollte möglichst niedrig sein. Wenn man das spannend findet als Berufsweg, dann sollte man sich einfach mal bewerben. Weil es gibt einfach nicht so viele Möglichkeiten, das auszuprobieren. Man kennt ja diesen Berufsweg des Hilfsorganisationsgründers vielleicht nicht so genau aus dem Kindergarten wie irgendwie Feuerwehrfrau oder so.
[01:09:52] Stephan: Ja, vielleicht klingt es deswegen einschüchternd, weil man sich natürlich denkt „Oh, bin ich wirklich gut genug?“ und so weiter und wahrscheinlich haben relativ viele selbst erfolgreiche Gründer dann am Anfang so ein Gefühl. Und nicht einschüchtern vielleicht ist es in der Hinsicht, dass man eben nicht schon Jahre in dem Bereich gearbeitet haben muss oder dass man nicht per se ein besserer Gründer ist, wenn man einen Doktor gemacht hat, sondern dass diese Faktoren eher weniger wichtig sind.
Welche Faktoren — und deswegen sind die Gründer wahrscheinlich auch relativ divers — welche Faktoren sind von Persönlichkeit zum Beispiel, von Hintergrund sind eher wichtig?
[01:10:32] Judith: Ja, es ist tatsächlich ein bisschen schwierig zu sagen, weil eben die Menschen, die im Programm gute Hilfsorganisationen gründen, wirklich sehr verschieden sind. Aber wir haben es trotzdem mal runtergebrochen auf eine Liste von fünf Faktoren, nach denen wir suchen, wenn wir Leute auswählen. Und der erste Faktor ist, dass die Leute eben ambitioniert altruistisch sein müssen. Das heißt, sie müssen Gutes tun wollen und das sollte halt möglichst tief in der Motivation, im eigenen Wollen verankert sein. Und auch eben nicht nur ein bisschen was Gutes tun wollen, sondern es hilft wirklich, wenn man da sehr, sehr ambitioniert ist und da wirklich viel bewegen will, wenn man da diese Energie für hat, diese Motivation für aufbringen kann.
[01:11:18] Stephan: Also wenn man quasi in dem Bereich dann auch maximieren will. Vielleicht gibt es manche Lebensbereiche, in denen man auch vielleicht einfach glücklich ist, wenn man nur eine gewisse Schwelle erreicht. Aber in dem Bereich hilft es anscheinend, wenn man eben möglichst effektiv sein will, wenn man ambitioniert ist, wenn man möglichst viel machen will. Inwiefern verträgt sich das gut mit anderen Dingen, die Menschen eben auch in ihrem Leben wichtig sind? Klappt das gut, wenn jemand zum Beispiel sagt: „Okay, meine Karriere ist ein relativ großer Teil meines Lebens und in dem Bereich versuche ich, möglichst effektiv zu sein.” So wie das vielleicht jemand macht, der 10 % seines Einkommens spendet und dann innerhalb dieser zehn Prozent möglichst effektiv ist oder beißt sich das manchmal mit anderen Prioritäten, die Menschen in ihrem Leben haben?
[01:12:07] Judith: Ich glaube, die meisten Leute, die unsere richtig guten Hilfsorganisationen gründen, die sind schon so ein bisschen... denen ist das wirklich sehr wichtig. Also, wir haben auch Leute im Programm, die andere Dinge im Leben machen, die zum Beispiel Familien haben oder so. Aber wenn man zum Beispiel einen Job hat, in dem man 10 Prozent spendet und damit eigentlich auch ganz zufrieden ist, das ist wunderbar, aber wenn man diesen drive noch mehr zu tun nicht hat, dann kann es schwierig werden, wenn das Gründen einer Hilfsorganisation eben so ein bisschen schwieriger wird. Also man hat da ja immer so ups und downs. Das ist in jedem Start-up so. Manchmal ist es einfach wirklich schwierig. Man muss viele Stunden arbeiten und es ist nicht so ein glamouröser Job, wo man immer nur coole Sachen macht. Deswegen muss diese Ambition schon da sein, diese Leidenschaft, Gutes zu tun.
[01:13:00] Stephan: Irgendjemand muss auch den ganzen Papierkram machen. Viele Stunden, die man verbringt, sind wahrscheinlich nicht auf Konferenzen oder nur interessengeleitet, sondern man muss schon, deswegen ist es wichtig, das so klar zu benennen, man muss schon dann sehr dahinter sein.
Welche Merkmale sind hochwichtig?
[01:13:20] Judith: Ja, vielleicht noch ganz lustig, man stellt sich das halt oft so vor, dass man irgendwie auf Konferenzen geht und irgendwie spannende Sachen macht, aber oft sitzt man auch einfach nur alleine vor dem Computer, vielleicht sogar irgendwo in, weiß ich nicht, in Delhi oder so und der Generator funktioniert nicht und das Internet funktioniert nicht und man muss erstmal schnell wieder für die Konferenz, die Telefonkonferenz mit dem Gesundheitsministerium, schnell beim Nachbarn nachfragen, ob der ein Handy hat oder so. Ja, und da ist es eben ganz wichtig, dass man diesen drive dafür hat.
[01:13:50] Stephan: Nicht nur glamourös, auch, aber nicht nur.
[01:13:54] Judith: Genau. Dann ein zweites Merkmal, das wir an unseren besten Gründer:innen oft sehen, ist, dass sie eben sehr an Resultaten interessiert sind. Da haben wir schon so ein bisschen drüber geredet vorher, aber das, was eben wichtig ist für eine gute Hilfsorganisation, ist die tatsächlichen Resultate, die am Ende dabei herauskommen. Wenn man jetzt zum Beispiel nur zufrieden ist damit, dass man irgendwie, dass man diese Radioshows ausgestrahlt hat oder dass man ja, dass man SMS verschickt hat mit Impferinnerungen und man sich dann gut fühlt und dann zufrieden ist, das reicht eben nicht. Sondern die richtig guten Gründer:innen, die sind immer skeptisch und die wollen immer wissen, ganz genau wissen: Habe ich tatsächlich einen Effekt erzielt?
[01:14:39] Stephan: Wie du es vorhin ausgedrückt hast, man versucht sich im Grunde selbst auch zu widerlegen, so wie man auch gute Forschung macht.
[01:14:46] Judith: Ganz genau, ja. Und das ist eine Art Mindset, die eben auch nicht alle Menschen haben und die auch gar nicht alle Menschen haben müssen. Aber für eine gute Hilfsorganisation ist es eben sehr wichtig, weil man eben nicht diese Marktmechanismen hat, die einem zeigen, dass man nicht gut genug ist, sondern man muss selbst die Forschung betreiben, um zu zeigen, sich selbst zu zeigen, überhaupt herauszufinden, ob man gut genug ist. Also die Frage ist da. Und das muss einem wirklich wichtig sein, sonst kann es sein, dass man hinterher eine Organisation gründet und die jahrelang läuft und tatsächlich aber gar keinen besonders großen Effekt hat.
Ja, ein dritter Faktor vielleicht, der sehr wichtig ist, dass man Lust hat auf so eine Start-up-Kultur, auf quasi so ein Start-up-Leben. Weil im Non-Profit-Bereich ist das nicht anders als im normalen Start-up-Bereich, dass eben alles sehr schnell gehen muss. Es gibt viel zu tun, sehr viel Arbeit. Wenn man selbst die Arbeit nicht macht, dann macht sie auch kein anderer. Man kann die Sachen nicht so im Detail machen, also nicht so viel Zeit damit verbringen, alles perfekt zu machen und alles gut zu machen. Man muss einfach rausgehen, man muss die Sachen ausprobieren. Man scheitert sehr oft, man läuft sehr oft gegen eine Wand. Das muss also ein bisschen motivieren, dieses Leben, viel zu arbeiten, viel auszuprobieren.
[01:16:07] Stephan: Wenn man zum Beispiel, wenn der Traumarbeitgeber irgendwie der öffentliche Dienst ist, was wohl gar nicht so selten ist bei Uni-Absolventen, dann sollte man vielleicht darüber nachdenken, ob man doch besser auf einem anderen Pfad dann Gutes tut.
[01:16:19] Judith: Genau, ja. Ja, dann gibt es noch einen vierten Faktor, der sehr wichtig ist für diese Orientierung an Resultaten und der manchmal diesem Startup-Mindset gegenübersteht. Und das ist eben so ein wissenschaftliches Mindset, dass man das mitbringt, dass man daran glaubt, dass wissenschaftliche Methoden wie eben RCTs, dass sie einem sagen können, was in der Welt funktioniert und wie die Welt funktioniert. Denn wenn man das nicht hat, dann ist man vielleicht zufrieden damit, ja, einfach was zu tun, wo man vielleicht im Land ist. Man schickt diese SMS-Erinnerung ab und man trifft die Leute, die dann im Impfzentrum sind. Und dann hat man ein gutes Gefühl und denkt sich: „Ja, ich helfe ja ganz viel.“ Aber vielleicht… man muss halt den Effekt messen, um zu schauen, wie viel helfe ich eigentlich überhaupt? Und das muss einem sehr wichtig sein, sonst wird es schwierig.
[01:17:11] Stephan: Ja, genau. Es kann immer intuitiv, kann es angenehmer sein, wenn man zum Beispiel mehr direkte Interaktionen hat oder direkt vor Augen hat, wirklich vor Augen, was man Gutes getan hat. Aber letztendlich muss man dann schon interessiert daran sein und das auch selber hinterfragen. Also wieder dieses Versuchen, sich selbst zu widerlegen und das wissenschaftlich geleitet sein, sowohl was die Evidenz als auch die Vernunft angeht, um sich wirklich sicher sein zu können, dass man einen guten Effekt hat. Du hast gesagt, manchmal beißen sich diese Startup-Kultur und dieses wissenschaftliche Mindset, in dem man möglichst immer bessere Evidenz haben möchte und sich möglichst sicher sein will, beißen sich so ein bisschen, oder?
[01:17:58] Judith: Ja, also oft sind unsere Gründer:innen einer von zwei Archetypen. Vielleicht so ein bisschen entweder die Person, die so ein bisschen drauf haut, einfach: „Ja, lass uns einfach alles ausprobieren und wir schauen, ob es klappt.“ Und [die] kommen mit viel Energie ran und exemplifizieren so ein bisschen mehr dieses Start-up-Mindset. Und die andere Person in so einem Co-Founder-Team, die ist vielleicht so ein bisschen mehr im wissenschaftlichen Mindset, die sagt so ein bisschen: „Okay, aber lass uns doch noch mal kurz überlegen, was ist denn jetzt hier überhaupt die beste Vorgehensweise? Lass die doch noch mal kurz vergleichen. Lass uns doch jetzt das noch mal kurz modellieren und noch mal kurz ein Modell bauen und schauen, was die Zahlen dazu sagen, was die Forschung dazu sagt.“
[01:18:36] Stephan: Kannst du dich da zuordnen oder war es bei dir so ein bisschen was von beidem?
[01:18:40] Judith: Ne, ich bin schon eher auf der Start-up-Kultur-Ebene unterwegs. Mir ist die Wissenschaft aber sehr wichtig, die Forschung. Wie ich schon erwähnt habe, ich habe damals dieses Internship in der Forschung gemacht und habe gemerkt: Okay, ich finde das super wichtig und ich glaube, dass diese Forschung, dieses Schauen auf die existierende Forschung, die Evidenz, die empirische Evidenz, dass die wichtig ist und der richtige Weg, zu guten Ergebnissen zu kommen. Aber ich selbst möchte das nicht den ganzen Tag machen, Ich bin so ein bisschen mehr, ein bisschen von allem machen, sehr schnell arbeiten, ganz viel machen, viel Neues lernen. Das ist so ein bisschen mehr meine Ecke.
[01:19:14] Stephan: Ich war deswegen unsicher, wo du am besten reinpasst, weil du ja auch selber dann noch an der Uni, bevor du das Ganze gemacht hast, an der Uni mitgeforscht hast in der Bioethikgruppe. Aber vielleicht ist das auch wieder eine andere Art von Arbeiten und ein etwas anderes wissenschaftliches Mindset.
[01:19:29] Judith: Ne, du weißt da schon ganz richtig auf was hin. Ich war gut an der Uni, aber es hat mir nie so viel Spaß gemacht, wie ich eigentlich immer gedacht habe, wie so ein Beruf wirklich machen könnte. Ich habe mich immer so ein kleines bisschen heimlich fehl am Platz gefühlt. Ich habe halt gute Sachen produziert, gute Noten bekommen, aber so richtig gepackt hat es mich irgendwie nicht. Und deswegen hat es auch so viel Sinn gemacht für mich, als ich diesen Berufsweg des Charity Entrepreneurs gefunden habe, ich gelernt habe, okay, da ist die Wissenschaft auch super wichtig, aber wir nehmen uns eben nicht endlos Zeit für alles und müssen alles perfekt machen, sondern es geht darum, wirklich Resultate zu erzielen und Veränderungen in der Welt zu verursachen.
[01:20:11] Stephan: Absolut. Der letzte Aspekt ist dann eben, dass man mit dem anderen Gründer auch wahrscheinlich gut kann, dass man gut mit Menschen zusammenarbeiten kann, oder?
[01:20:19] Judith: Ja, der letzte Aspekt, auf den wir sehr doll schauen, ist, ob man so ein kollaborativer Mensch ist, ob man so ein kollaboratives Mindset hat. Und da geht es vor allen Dingen um zweierlei. Also einmal, wie du schon gesagt hast, dass man gut mit anderen Gründer:innen kann. Und der Grund ist ganz pragmatisch, dass wir im Programm eben so 12 bis 18 Plätze meistens haben pro Kohorte. Und da hat man eben nicht endlose Auswahl. Es sind alles wahnsinnig talentierte Menschen, die im Endeffekt ins Programm kommen, ob sie es wissen oder nicht. Denn nicht jeder hält sich für talentiert, wenn er sich bewirbt. Also man hat schon eine gute Auswahl, aber man muss dann eben auch vom Skillset her, von den Fähigkeiten, vom Hintergrund… Es ist gut, wenn man zusammenpasst und dann ist es gut, wenn man eben mit vielen Menschen mit vielen verschiedenen Arten von Menschen gut kann, dann hat man eben eine größere Auswahl an Gründer:innen. Und zweitens muss man eben, wenn man eine Hilfsorganisation gründet, mit sehr vielen Menschen danach sehr gut interagieren können. Das können Stiftungen sein, also Leute, die einem dann Geld geben, die Intervention überhaupt umzusetzen. Das können Ministerien sein in lower oder middle income countries oft. Es können lokale Menschen sein, die man interviewt, zu schauen, ob die Intervention funktioniert. Und das ist eben extrem hilfreich, wenn man menschlich, sozial gut aufgestellt ist und gut mit verschiedenen Leuten umgehen kann.
[01:21:44] Stephan: Das klingt vielleicht, als wäre es hilfreich, wenn man extrovertiert ist. Zu welchem Ausmaß ist das so?
[01:21:52] Judith: Ich glaube, das ist ein bisschen misleading. Es hilft oft, wenn eine Person im Team so ein bisschen eher extrovertiert ist, also wenn sie ganz gerne diese Kommunikationssachen übernimmt. Aber ich würde sagen, gut 50 Prozent der Leute in unseren Programmen und der incubatees, die eben Organisationen gegründet haben, sind eher introvertiert. Also das würde ich nicht vorher…
[01:22:17] Stephan: Und auch Introvertierte können manchmal diese sozialen Sachen relativ gut machen. Ich erinnere mich an den Satz da: Manchmal sind Introvertierte die besseren Extrovertierten.
[01:22:27] Judith: Ja, genau. Wenn es eben tiefe Gespräche gibt mit einer Person und man eine Beziehung zu der aufbauen muss, da sind oft eben die introvertierten Menschen, wozu ich übrigens auch zähle, vielleicht besser drin manchmal.
[01:22:40] Stephan: Ja, das ist eine gute Überleitung zum Bewerbungsprozess, weil ein Teil davon auch darum geht, sowohl seine alternativen Optionen, seine Karrierewege zu begutachten, aber auch etwas über seine Persönlichkeit herauszufinden. Kannst du den einmal schildern von vorne bis hinten?
[01:22:59] Judith: Ja, also unser Bewerbungsprozess hat fünf Schritte, gut fünf Schritte und das Ziel ist eben, dass möglichst viele Leute, die einfach nur ein bisschen interessiert sind, sich da einfach mal bewerben können, und wir dann halt mit denen gemeinsam diese Hypothese, könnte ich ein guter, eine gute Gründer:in von Hilfsorganisationen sein, zusammen beleuchten. Das heißt, wir sind sehr an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, sowohl aus der weiteren Forschung als auch in unseren internen Daten, was eigentlich gut funktioniert. Also wie kann ich im Bewerbungsprozess früh Talent erkennen, obwohl die Leute das selbst noch gar nicht wissen? Und die Schritte, über die wir das machen: Es gibt halt zuerst ein Bewerbungsformular. Das dauert so ungefähr 30 Minuten, dass man das ausfüllt.
Und wir haben es absichtlich ein bisschen länger gemacht, damit eben Leute aus ganz verschiedenen Ländern mit ganz verschiedenen Hintergründen eine Chance haben zu zeigen, dass es ein guter fit sein könnte. Das ist eben das Ziel davon. Das Bewerbungsformular, das ist so ein bisschen mein Steckenpferd, da bin ich sehr interessiert dran. Da gibt es einen Mix aus kurzen Fragen, die man beantwortet, indem man einen kurzen Text schreibt. Man lädt natürlich seinen Lebenslauf hoch, obwohl der sehr, sehr unwichtig ist im Vergleich zu den anderen Teilen, weil der eben gar nicht so Vorhersagungskraft hat dafür, wobei man gut ist. Und dann gibt es eben ganz viele Multiple-Choice-Fragen und kurze Psychometrie-Fragen, wo man einfach nur ankreuzt: Hier, das ist die Antwort, die ich geben will, das ist die Antwort, die ich geben will, hier will ich eins von sieben geben und die eben darüber funktioniert. Und dieses Bewerbungsformular, da haben wir sehr viel Arbeit reingesteckt, das haben wir über jedes halbe Jahr, haben wir das verbessert und nur die stärksten Inhalte, die halt am meisten Vorhersagekraft haben für, wer später eine gute Charity gegründet hat in unserem Programm, die lassen wir drin. Und dadurch ist es schon ein ziemlich gutes Formular.
[01:25:06] Stephan: Ich bin selber durch den Prozess bei euch noch nicht gegangen, aber es liest sich sehr so, und ich habe es auch mal bei einer anderen Organisation im Bereich Effektiver Altruismus gesehen, dass sie ungewöhnlich evidenzbasiert sind. Sich nämlich daran orientieren, dass Lebenslauf und zum Beispiel wie viele Jahre Erfahrung man hat, keine so guten Prädiktoren sind. Insofern, absolutes Kompliment dafür. Das machen, glaube ich, auch oft… ich habe das Gefühl, in Deutschland noch ein bisschen mehr… viele Organisationen, ob jetzt Unternehmen oder öffentlicher Dienst und so weiter, tendenziell falsch.
[01:25:42] Judith: Ja, und auch so was wie ein Cover Letter.
[01:25:46] Stephan: Spielen auch keine große Rolle, meinst du?
[01:25:47] Judith: Ja, Cover Letter sind auch nicht besonders gut. Man kann daraus einfach nicht gut ablesen, ob jemand gut für eine Rolle passt oder nicht. Und deswegen machen wir das gar nicht erst.
[01:25:57] Stephan: Ja, genau. Eigentlich wissen viele Leute das intuitiv, dass das keine guten Prädiktoren sind, weil es wenig über die Person aus. Man kann das schnell runterschreiben. Manche können sich da besser präsentieren, andere weniger gut.
[01:26:10] Judith: Ja.
[01:26:11] Stephan: Eigentlich Quatsch. Wenn man dann durch die ganzen Stufen gegangen ist und einer der wenigen ist, die bis zum Schluss dabei sind und dann ausgewählt werden, wie läuft dann das Inkubationsprogramm ab?
[01:26:25] Judith: Ja, das Inkubationsprogramm, das sind zwei Monate, zwei sehr intensive Monate. Und das Programm ist ungefähr in zwei Teile geteilt, ganz grob. Und im ersten Teil, so in der ersten Hälfte, da steht im Vordergrund, dass man konkrete Projekte macht. Und man hat nur jeden Tag so ungefähr eine Stunde Video-Content, Video-Inhalte, die so klassisch wie so ein Training wirken. Und dann den Rest des Tages verbringt man eben damit, Projekte anzufertigen mit verschiedenen Gründer:innen, die auch im Programm sind, egal wo sie in der Welt sind. Und darüber lernt man halt, ganz pragmatisch die Methodologie, die man in diesem Projekt anwendet, zum Beispiel sowas wie eine Kosteneffektivitätsanalyse oder eine Forschungsfeldanalyse oder man führt ein Expertengespräch oder sowas. Das macht man eben dann in zwei, drei Stunden und dadurch testet man eben auch den fit mit den anderen Gründer:nnen aus, sodass man am Ende der ersten vier, fünf Wochen hat man schon ein viel besseres Gefühl dafür, welche andere Person vielleicht ein guter Mitgründer für einen sein könnte.
[01:27:37] Stephan: Und wie war das bei dem Programm? Sind beide Monate in London?
[01:27:42] Judith: Ne, also es ist größtenteils remote, aber am Ende des ersten Monats für zwei Wochen fliegen wir alle mit potenziellen Gründer:innen nach London, damit sie da eben sich in Person treffen können, so ein bisschen so ein Verbindungsgefühl aufbauen können und dann eben auch mit ihren Top potenziellen Gründer:innen noch mehr Zeit verbringen können.
[01:28:06] Stephan: Und was man vielleicht auch erwähnen kann, es gibt ein moderates Stipendium dazu, sodass eigentlich der Einkommensverlust niemanden davon abhalten sollte, sich da zu bewerben. Oder die finanzielle Not, dass man denkt, zwei Monate, jetzt muss ich endlich mal arbeiten und irgendwie das Geld reinbringen.
[01:28:26] Judith: Genau, wir wollen da möglichst viele Hindernisse abbauen, die es geben könnte, um so eine gute Hilfsorganisation zu starten. Da ist eben… das Geld ist wichtig natürlich und dann halt eine:n gute Mitgründer:n finden mit dabei, ganz oben dabei.
[01:28:41] Stephan: Dann lass uns abschließend noch einmal der Vollständigkeit halber die anderen Programme von Ambitious Impact erwähnen. Die Organisation hat sich ja verbreitert. Also erstmal: Warum und welche weiteren Programme gibt es?
[01:28:58] Judith: Ja, also warum? Wir haben die ersten drei, vier Jahre haben wir nur Hilfstätigkeits-, Wohltätigkeitsorganisationen, Hilfsorganisationen gegründet und das hat eben ganz gut funktioniert. Und nach drei Jahren können wir schon ganz gut sagen: Okay, die ersten Pilotprogramme sind so richtig gut gelaufen. Wir haben die ersten externen Evaluationen von unseren Organisationen bekommen und es sieht richtig gut und vielversprechend aus, sodass wir wissen, okay, wir wollen es weitermachen. Und dann haben wir zwischendurch schon mal immer mal wieder kleine Experimente gemacht. Es hat angefangen damit, dass eine Stiftung, also jemand der viel Geld hat und der gerne eine Stiftung aufsetzen möchte, die dann Geld an Wohltätigkeitsorganisationen spendet, dass die durch unser normales Inkubationsprogramm gegangen ist und sie hat dieses Training eben auch als sehr wertvoll empfunden.
Und als das so gut geklappt hat, haben wir gedacht, okay, vielleicht könnten wir da ein ganzes Programm drum aufbauen, die eben Leuten, die neue Stiftungen aufsetzen, die viel Geld in diesen Non-Profit-Bereich geben wollen, ihnen beizubringen, wie sie das gut machen können. Das war das zweite Programm, das läuft jetzt immer noch.
Und dann haben wir, als das auch gut gelaufen ist, haben wir uns gedacht, okay, wir probieren das jetzt nochmal und haben ein Forschungstrainingprogramm gestartet, das Research Training Program für Leute, die interessiert daran sind, ihre Forschungsskills, ihre Forschungsfähigkeiten in dem Non-Profit-Bereich umzusetzen und das ihnen eben beibringt, wie macht man eigentlich eine Kosten-Nutzen-Analyse, wie setzt man ein Monitoring- und Evaluation-Framework auf, wie evaluiert man eigentlich verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen und so weiter.
[01:30:42] Stephan: Und auch… [Es] sind Sachen, die man im Studium, egal was man studiert hat, wahrscheinlich nur, wenn dann nur teilweise gelernt hat. Das heißt, wieder gerichtet an ganz unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen.
[01:30:56] Judith: Genau, ja.
[01:30:58] Stephan: Ich glaube, vermutlich kann man sich recht intuitiv gut dem einen oder anderen zuordnen, oder?
[01:31:04] Judith: Das ist, glaube ich, gar nicht so einfach manchmal für Leute. Gerade die Leute, die dann zum Beispiel in der Hilfsorganisation eher diese etwas mehr introvertierte, diese etwas mehr datenbasierte Rolle übernehmen, die könnten oft auch ein ganz guter fit sein für so eine Forschungsrolle in einer etwas jüngeren Organisation, die auch relativ schnell sich bewegt und schnell agiert. Und wir hatten auch schon Leute, die gewechselt sind vom einen Programm später in das andere. Und um das eben zu ermöglichen, haben wir auch gerade einen neuen kombinierten Bewerbungsprozess gestartet, damit Leute, die eben an verschiedenen Programmen interessiert sind — wir werden auch noch zwei, drei andere Programme dieses Jahr starten — eben sich einfach auf alle bewerben können und dann mal schauen, wo sie am besten für geeignet sein könnten. Wir wollen da eben ganz viel Arbeit übernehmen, Menschen zu helfen, herauszufinden, wo ihr Talent dann am besten passen könnte.
[01:31:59] Stephan: Stimmt, das ist ein guter Punkt, weil viele dann sich zum Beispiel doch unterschätzen oder sowas oder sich nicht bewusst sind, so ein Gründerteam kann auch komplementär sein und sich vielleicht nicht ganz vorschnell dem einen oder anderen zuordnen lassen, zuordnen können. Möchtest du die anderen Programme, die jetzt noch neu kommen, einmal kurz anteasern?
[01:32:24] Judith: Ja. In diesem Jahr werden wir sogar auch noch ein neues Programm obendrauf setzen, und zwar werden wir ein For-Profit-Incubation-Programm launchen.
[01:32:36] Stephan: Für die gierigen Menschen.
[01:32:40] Judith: Für die besonders ambitionierten Menschen, die ein gutes Gefühl für den Markt haben. Genau, die Idee da ist, dass wir auch eben wieder, wie bei den Hilfsorganisationen, helfen wollen, neue Organisationen, neue companies zu starten. Und die Idee hier ist aber, dass eben wenn man eine besonders erfolgreiche Organisation gründet, die eben viel Profit machen kann, viel Geld erwerben kann, dann kann man eben dieses Geld sehr gut auch spenden an Hilfsorganisationen, die sehr effektiv sind. Und für viele Menschen ist das ein etwas attraktiverer Weg, die sind ein bisschen mehr an diesen Marktmechanismen interessiert, daran so eine Nische zu finden und ein Produkt aufzubauen, ganz langsam. Da skaliert man auch schneller. Es gibt viele Unterschiede zwischen dem Non-Profit- und dem For-Profit-Bereich.
[01:33:28] Stephan: Man hat auch gutes Feedback.
[01:33:30] Judith: Ja, man hat wirklich gute Feedback-Loops. Entweder man macht Geld oder nicht. Bisschen weniger schwierig als im Non-Profit-Bereich. Ja, dem wollen wir eben auch die Möglichkeit geben, dass Leute das machen können und dass dann eben dadurch viel Geld an Hilfsorganisationen fließen kann. Dadurch, dass Leute eben ein bisschen Hilfe dabei bekommen, so gute For-Profit-Organisationen aufzusetzen.
[01:33:54] Stephan: Und gleichzeitig sind wahrscheinlich viele der Inhalte aus eurem Inkubationsprogramm übertragbar, deswegen ist es auch immer noch nützlich. Ein relevanter Unterschied ist, dass es nicht vorgefertigte Ideen sind in dem Fall, oder?
[01:34:09] Judith: Ja, also wir haben eine Liste mit potenziellen Ideen, die wir auch wieder in unserem weiteren Netzwerk gesammelt haben, aber ich würde sagen, dass man hier eine wirklich gute Idee hat, ist nicht ganz so wichtig am Anfang. Und wir investieren eher in die Menschen, die talentiert sind. Das findet sich oft auch bei anderen For-Profit-Inkubatoren wie YC, Y Combinator, Entrepreneur First und so weiter findet sich das Modell auch, wo es mehr darum geht, dass man wirklich talentierte Leute findet, die sich selbst vielleicht noch gar nicht entdeckt haben und dann in die investiert. Und die können dann schnell durch verschiedene Ideen durchiterieren und dann was wirklich Gutes aufbauen, was genau eine Marktlücke füllt.
[01:34:53] Stephan: Zu dem Programm gibt es noch relativ wenig online, oder? Aber da sollte man dann einfach auf eurer Website immer mal wieder vorbeischauen, wenn das interessant klingt.
[01:35:01] Judith: Genau. Und wir haben auch so ein Newsletter, wo wir natürlich dann immer, wenn sich eine Bewerbung öffnet, das ankündigen und neue Programme ankündigen und so weiter.
[01:35:11] Stephan: Haben wir noch irgendein Programm vergessen oder noch ein kommendes eventuell vergessen?
[01:35:17] Judith: Also eins, was gerade anläuft, gibt es noch. Es gibt noch das EGI, Effective Giving Incubation Program. Und da geht es eben darum, dass es in verschiedenen Ländern gibt es mittlerweile Organisationen wie eben Effektiv Spenden in Deutschland, die du schon erwähnt hast, die steuerbegünstigt Menschen in dem Land die Möglichkeit geben, effektiv zu spenden, an effektive Hilfsorganisationen, die eben so eine Evidenzbasis haben und sehr kosteneffektiv sind. Und da gibt es eben diese Lücke. Es gibt Länder, wo die Menschen sehr viel spenden und wo es ihnen relativ wichtig ist, effektiv zu spenden, wo es aber so eine Plattform gar nicht gibt. Und das versuchen wir eben dadurch zu füllen, dass wir da in diesen Ländern ein paar neue Organisationen gründen, wie eben Effektiv Spenden, die dann Steuerbegünstigungen anbieten und so ein bisschen auch Werbung machen dafür: Hey, wie cool ist das eigentlich, effektiv zu spenden?
[01:36:12] Stephan: Genau, also es wird dadurch mehr Leuten zugänglich, weil man dem einfacher begegnet und es bringt auch finanziell was, weil man dann entweder mehr spenden kann oder eben einfach von seiner Spende einen Teil zurückbekommt über die Steuererklärung.
Vorletzte Frage: Wenn du jetzt in Deutschland spenden müsstest, in Deutschland steuerlich ansässig wärest, wie würdest du deine Spendenentscheidung treffen? Würdest du wegen der steuerlichen Begünstigung hauptsächlich über Effektiv Spenden gehen oder würdest du sagen, manche dieser neuen Organisationen, die vielleicht auch noch nicht ganz den gleichen Evidenzstandard haben, wie diese Top-Empfehlungen, die sind so tolle Möglichkeiten, ich würde auch ohne steuerliche Begünstigung an die spenden?
[01:37:01] Judith: Ja, ich kann die Frage ganz faktisch, faktenbasiert beantworten. Ich bin zwar nicht in Deutschland ansässig steuerlich, aber hier in Großbritannien. Und wie ich das mache, ist, ich teile meine Spenden auf, 50-50. Ich diversifiziere also mein Spendenportfolio so ein bisschen. Und die Hälfte geht einfach an Give Well Top-Organisationen, weil da ganz klar ist, welchen Nutzen die haben. Die können mit dem Geld viel machen und es ist ein ganz klares Korrelat da: Okay, für jede 3 Dollar, die ich spende, kann die Against Malaria Foundation, an die ich jetzt spende, ein weiteres Moskito-Netz verteilen. Und das gibt mir einfach so ein gutes Gefühl, diesen sehr konkreten Effekt zu wissen.
Und die anderen 50 Prozent, die spende ich dann eben nicht steuerbegünstigt, aber hoffentlich sehr effektiv an kleinere Organisationen, wo ich glaube, wo ich so ein bisschen diese extra Einsicht habe in die Forschung, die da reingegangen ist, und wo ich genau weiß, okay, die brauchen jetzt noch irgendwie 30.000 oder so nächstes Jahr, damit sie ihr Pilotprogramm starten können und einen ganz klaren Sinn dafür haben, okay, wenn ich das nicht spende, dann findet das vielleicht kein anderer, weil die Charity noch so klein ist und ja, da so ein bisschen beides machen kann.
[01:38:15] Stephan: Vielleicht auch für einen persönlich wichtig, dann auch für die Motivation, beides zu haben. Ich dachte, vielleicht sei es bei dir anders, weil du… weil manche der Hilfsorganisationen in Großbritannien registriert sind.
[01:38:27] Judith: Ja, aber doch relativ wenige. Und es ist natürlich so, ich arbeite hier im Non-Profit-Bereich und mache jetzt nicht den größten Gewinn ever. Ich glaube, ich könnte woanders sehr viel mehr Geld verdienen. Und deswegen ist das, glaube ich, gar nicht so wert, so mega lange Zeit darauf zu verwenden.
[01:38:47] Stephan: Genau, das kommt auch auf den persönlichen Steuersatz an. Abschließend, möchtest du noch Calls to Action oder zu empfehlenden Ressourcen nennen?
[01:38:57] Judith: Ja, ich würde einfach sagen, wenn irgendetwas in dieser Episode spannend klang, dann kann man einfach auf unsere Website gehen und da haben wir ein kleines Quiz. Das dauert nur so drei, vier Minuten und da kann man ein paar kurze Fragen beantworten, Multiple-Choice-Fragen ganz einfach, und bekommt da schon so einen guten ersten Eindruck dafür, ob dieser Karriereweg des Charity-Entrepreneurs oder vielleicht des Non-Profit-Forschers und so weiter, ob das für einen ganz gut passen könnte. Ich finde das immer ganz lustig. Und wenn man schon dabei ist, ein neues Projekt zu starten, dann haben wir eben noch ein Handbuch, das gibt es auch bei Amazon. Das heißt How to Launch a High Impact Nonprofit. Und das ist wirklich das Buch, mit dem wir auch unsere Leute hier im Programm trainieren. Und damit wollen wir es halt möglichst vielen Leuten möglichst einfach machen, möglichst effektive neue Projekte zu gründen und nicht nur die 15 Leute oder so in jedem Programm, was wir hier haben, sondern möglichst vielen Leute global dabei ein bisschen unter die Arme greifen.
[01:40:00] Stephan: Das ist ein sehr gutes, interessantes Buch. Ich fand es nicht nur in der Vorbereitung auf diese Folge relevant, kann ich also absolut empfehlen.
Ich werde relevante Links auf die Episodenseite packen und danke dir hiermit ganz herzlich für das Gespräch, Judith.
[01:40:15] Judith: Ja, lieben Dank, Stephan. Das war sehr spannend.