N. B. In dieser Folge werden manche der gewaltvollen Praktiken, die bei sogenannten Nutztieren regelmäßig Anwendung finden, besprochen.
Thilo Hagendorff ist nicht nur KI-Forscher an der Universität Stuttgart, er hat sich auch intensiv mit dem Thema Tierhaltung beschäftigt. In seinem Buch Was sich am Fleisch entscheidet geht er auf viele Aspekte der industriellen Tiernutzung ein, angefangen mit dem Leid, das Tiere erfahren, hin zur Mensch-Tier-Beziehung und dem, was die industrielle Tiernutzung mit uns Menschen macht.
Bevor Thilo das Buch geschrieben hat, war er aktivistisch tätig. So weiß er unter anderem aus Undercover-Recherchen bei großen Schweinezuchtbetrieben zu berichten.
Themen in dieser Folge sind unter anderem:
- Thilos Erfahrungen mit Aktivismus und Undercover-Recherchen
- die Zustände in Schweinezuchtbetrieben und bei der Schlachtung
- die psychische Belastung für Mitarbeiter in Tierhaltungs- und Schlachtbetrieben
- Bio-Betriebe im Vergleich zu konventionellen Betrieben
- Folgen der Tierindustrie neben Tierleid, z. B. ein erhöhtes Pandemierisiko, Umweltprobleme, Gesundheitsrisiken, Antibiotikaresistenzen
- der Zusammenhang zwischen Speziesismus und Rassismus/Sexismus
- technologische Lösungen und ethische Aufklärung
- woran Thilo auf langen Radfahrten denkt
Ressourcen
Bücher
Thilos Buch über die industrielle Tiernutzung heißt Was sich am Fleisch entscheidet.
Peter Singer hat sein einflussreiches Buch Animal Liberation überarbeitet und unter dem Titel Animal Liberation Now neu herausgebracht. Eine deutsche Übersetzung wird wahrscheinlich 2025 erscheinen.
Filme
Wie Thilo erwähnt, hat ihm die Dokumentation Earthlings (deutsch: Erdlinge) zuerst vor Augen geführt, was für ein Leben Millionen von „Nutztieren“ führen.
Ähnlich zu Earthlings zeigt der Dokumentarfilm Dominion unter anderem durch mit versteckten Kameras aufgenommen Bildern das Innere von Mastbetrieben.
Transkript
[00:00:00] Stephan: Ich freue mich auf den zweiten Teil meines Gesprächs mit Thilo Hagendorff, der KI-Forscher an der Uni Stuttgart ist, aber in dieser Folge wollen wir reden, über sein Engagement für Tiere und über Tierwohl und Tierethik allgemein.
Thilo, warum engagierst du dich überhaupt für Tiere? Wie hat das angefangen, dass du aktivistisch tätig geworden bist und dann eben auch irgendwann recherchiert hast und dein Buch „Was sich am Fleisch entscheidet“ – kann ich sehr empfehlen – dein Buch zu Tierwohl und man muss sagen zu den Grausamkeiten, die wir Tieren in der industriellen Nutztierhaltung in Anführungszeichen antun, geschrieben hast.
[00:00:47] Thilo: Ja, zuerst mal vielen Dank, dass du mich eingeladen hast.
Um deine Frage zu beantworten: Ich hatte als Kind oder Jugendlicher überhaupt keine besondere Beziehung zu Tieren. Es war dann in meiner Studentenzeit, dass ich eine Dokumentation gesehen habe, „Earthlings“ heißt die, die Bilder gezeigt hat von versteckten Kameras aus Tierhaltungsbetrieben und das hat mich, ja, fast eigentlich traumatisiert, weil ich aus völliger Naivität heraus sehr schlagartig begriffen habe, was für wahnsinnige Gewalt eigentlich, ja, sogenannten Nutztieren angetan wird.
Ich hatte keinerlei Vorstellung davon und diese Dokumentation hat dann eben ausgelöst, dass ich mir überhaupt bewusst geworden bin, dass wir da ein riesiges Problem haben. Denn Tiere sind ja empfindungsfähige Lebewesen, letztendlich so wie wir Menschen. Das sind mit graduellen Unterschieden, aber sie empfinden Schmerz, sie haben Emotionen, sie haben Angst und Freude, genau wie wir und das, was in der industriellen Tierhaltung passiert, ist etwas, was ich plötzlich begriffen habe, ja, dass das ziemliche Grausamkeit ist und ich habe dann eben auch entschlossen, mich da in gewissem Sinne zu engagieren, damit das irgendwie weniger wird, wobei man natürlich die Frage fragen kann: Inwiefern hat man da tatsächlich dann signifikanten Einfluss?
[00:02:18] Stephan: Ich denke schon, dass man einen gewissen Einfluss hat. Bei mir war es ganz genauso und wir kommen auch darauf zu sprechen, dass du ja im Grunde etwas Ähnliches gemacht hast. Du bist auch in Betriebe gegangen und hast eben Bücher geschrieben, in denen verständlich gemacht wird, zum einen: Tiere, ja klar, leiden natürlich genauso, haben genauso Emotionen, Gefühle, Sozialgefüge und so weiter, so wie wir Menschen auch.
Und bei mir war es ganz genau so. Ich habe als Jugendlicher irgendwann mal Aufnahmen gesehen aus so einem Schlachthof oder vielleicht auch aus einem Mastbetrieb und habe mich dann zuerst erstmal entschieden, kein Fleisch mehr zu essen.
Deswegen… Du bist, das darf ich verraten, bist ja ein bisschen älter als ich. Glaubst du, dass damals weniger Bewusstsein vorhanden war in der Bevölkerung allgemein oder war es einfach so, dass es sozusagen ein, ja, ein Unfall war? Ich will nicht sagen: ein „Zufall“, dass du dem nicht begegnet bist, aber so sozusagen ein Unfall, dass du jahrelang ganz ignorant – nicht böse gemeint – aber faktisch ignorant dem gegenüber sein konntest?
[00:03:23] Thilo: Ich glaube schon, dass es wirklich eine Frage der Medien ist und die klassischen Leitmedien sind eben derart gestrickt, dass tierethische Themen da keinerlei Prominenz haben. Eher im Gegenteil: Sie sind ja auch Teil der kulturellen Rechtfertigungsmaschinerie in vielen Fällen für das, was passiert.
Auf der anderen Seite haben wir soziale Netzwerke und so viel Problematisches, wie dort zirkuliert, so viel zirkuliert da eben auch manchmal etwas, was den eigenen Horizont ein Stück weit erweitern kann. Und diese Dokumentation, „Earthlings“ – heute gibt es ja vergleichbare andere, aber damals war es eben Earthlings – sowas würde niemals im Fernsehen gezeigt. Dafür braucht es eben das Internet, dafür braucht es auch soziale Netzwerke, dass ich da überhaupt quasi drüber gestolpert bin.
[00:04:13] Stephan: Und wie ging das dann weiter für dich? Gab es dann irgendwelche Gruppen, in denen du dich engagiert hast oder wie ging es weiter?
[00:04:21] Thilo: Ja, ich hatte eine Phase, wo ich klassischen, ja man würde sagen, Aktivismus gemacht habe. Das bedeutet: Ich habe an Demonstrationen teilgenommen oder habe, ja, mich auf die Straße gestanden und habe Flyer verteilt oder ähnliches. Ich habe allerdings dann zunehmend, ja, Schwierigkeiten gehabt, zu sehen, dass das einfach Sachen sind, die nicht so effizient den Tieren helfen.
Und zweitens war es nie so, dass ich mich groß identifiziert hätte mit dieser aktivistischen Szene. Ich hatte an viele Fragen auch andere Herangehensweise und es war eben immer dieses: „Bin ich in dem, was ich dort tue, effizient?“
Und daraus hat sich dann eben ergeben, dass ich irgendwann angefangen habe, ja, Undercover-Recherchen zu machen, also in die Betriebe zu gehen, sowohl nachts als auch als ganz normal dort Angestellter, so dass man dann für kurze Zeit dort eben den normalen Arbeitsablauf auch mit versteckten Kameras filmen kann und im Anschluss dann eben hingeht und dann doch Leitmedien mit ins Boot nimmt und versucht, diese Aufnahmen ins Fernsehen letztendlich zu bekommen.
Und Gott sei Dank haben wir in Deutschland die öffentlich-rechtlichen und entsprechende Polit-Magazine, die dann auch tatsächlich sich immer wieder bereit erklärt haben, dann doch mal zumindest ausschnittsweise auch zu zeigen: Was passiert eigentlich in der Tierindustrie. Wie viel Korruption oder wie viel korruptes und auch illegales Verhalten gibt es dort.
[00:06:04] Stephan: Hatte das für dich persönlich auch negative Auswirkungen? Also, ja, natürlich hat das irgendwo negative Auswirkungen, weil man natürlich auch seiner Psyche was antut, denke ich, wenn man da reingeht und das so direkt erfährt. Aber ich denke gerade auch an die Kriminalisierung von solchen Aufnahmen. Hatte das für dich damals schon Konsequenzen oder wurde das erst danach noch weiter kriminalisiert in Deutschland?
[00:06:30] Thilo: Ja, es ist tatsächlich eine Kriminalisierung da, auch eine, die sich im Rahmen unseres Rechtssystems auch bewegt und so dass man tatsächlich auch sagen muss, es ist ein Hausfriedensbruch und damit eine illegale Aktivität, also nachts in Betriebe gehen, ohne Erlaubnis und dort filmen.
Jetzt ist es wieder eine Auslegungssache unseres Rechtssystems. Man könnte ja etwa auch sagen: „Na, wenn ein Haus brennt, dann renne ich auch dort rein und möchte retten.“ Da würde niemand sagen: „Ja, der Hausfriedensbruch wiegt jetzt höher als diese Nothilfe, die ich dort leiste.“
Und meiner Meinung nach ist eben auch das, diese Recherchen in den Betrieben, eine Art von Nothilfe, weil das ist das, ja, Mittel, das am meisten Gelinde ist, um diesen Tieren zu helfen, indem ich eben die Situation filme und dann durch öffentlichen Druck, der durch Medien hergestellt wird, Veterinärämter bewege Abhilfe zu schaffen gegenüber dem, ja, auch illegalen Tierleid, was dort stattfindet.
[00:07:39] Stephan: Das sehe ich selbstredend ähnlich. Ich vermute, Richter sehen das leider häufig anders.
Und wenn du von illegalem Verhalten sprichst, von illegalen Aktivitäten, dann meinst du wahrscheinlich sogar in dem engen Sinne illegale Aktivitäten, die nämlich in Deutschland laut Tierschutzgesetz nicht erlaubt sind.
Wir können uns natürlich noch breiter darüber unterhalten, ob nicht das, was wir Tieren selbst vermeintlich legal antun, auf irgendeine Weise nicht nur illegitim ist, sondern eigentlich schon durch unser jetziges Tierschutzgesetz eigentlich illegal sein sollte oder de facto sein könnte, wenn da die Rede ist davon, dass man Tieren nicht aus unvernünftigen Gründen Leid antun darf.
[00:08:24] Thilo: Genau, das ist eben dieser Grundsatz, der dem Tierschutzgesetz voransteht, dass man Leiden oder Schmerzen oder Schäden nicht aus unvernünftigen Grund erzeugen darf. Aber dieser vernünftige Grund, den es braucht, das ist eben eine Auslegungssache.
Und die Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch oder Milch oder Eiern oder anderen tierischen Produkten wird eben als vernünftiger Grund gesehen. Und somit gibt es eben eine Palette an, ja, Schmerzen und Leiden, die Tiere haben, die vollkommen legal sind. Und dann gibt es auch das, was darüber hinausgeht. Also Schmerzen und Leiden, die erzeugt werden, die dann tatsächlich eigentlich auch nach unserem Rechtssystem verboten werden.
Bloß, das kann man aus Erfahrung sagen, wenn man sich einige Jahre mit Tierindustrie beschäftigt: Massentierhaltungsbetriebe und Schlachträume sind größtenteils rechtsfreie Räume. Hier wird das geltende Recht, das bisschen zumindest, was es gibt zum Schutz der Tiere, schlicht nicht durchgesetzt. Und wenn es durchgesetzt wird, dann sind es absolute Ausnahmefälle. Und selbst in der rechtswissenschaftlichen Forschung gibt es Publikationen, die so bezeichnende Titel tragen wie: „Zur faktischen Straflosigkeit organisierter Agrarkriminalität.“
Wie kann organisierte Kriminalität faktisch straflos sein? Naja, das ist einfach, wenn man empirisch untersucht: Wir haben hier Anzeigen wegen Tierschutzverletzungen. Und verfolgen Staatsanwaltschaften diese Anzeigen? Nein, tun sie nicht. Es ist einfach die paradoxe Situation, dass wenn man in Deutschland auf der Straße einen Hund tritt, dann kriegt man die volle Härte des Gesetzes zu spüren. Wenn man 10.000 Puten oder 10.000 Schweinen systematisch Leid zufügt, passiert gar nichts.
[00:10:25] Stephan: Und selbst im engeren Sinne illegales Verhalten wird meistens wahrscheinlich nicht erkannt, weil diese Betriebe auch selten einfach besucht werden.
Wenn dann mit Vorankündigungen, aber auch selbst das passiert eigentlich sehr, sehr, sehr selten.
[00:10:38] Thilo: Ja, die durchschnittliche Besuchsrate gewissermaßen von Veterinärämtern ist in Deutschland bei tierhaltenden Betrieben 17 Jahre. Also alle 17 Jahre kommt jemand. Das variiert von Bundesland zu Bundesland. Mal ist es häufiger, mal ist es auch seltener. Ich glaube Bayern ist der Spitzenreiter mit irgendwie im Durchschnitt alle 40 Jahre oder so kommt jemand. Und wenn jemand kommt, dann ist es vorher bekannt.
Und ich habe selbst Fälle erlebt, wo dann, das war mal im Kaninchen-Mastbetrieb, da hingen dann irgendwie Zettel groß aus. Da hieß es dann: Ja, an dem und dem Tag, irgendwie übermorgen oder so, kommt das Veterinäramt. Bitte alles aufräumen und sauber machen.
Und ja, ich glaube, das ist bezeichnend für das, was dann häufig passiert. Und selbst wenn das nicht, wenn dann nicht alles sauber ist, muss man auch denken, dass die Menschen, die bei Veterinärämtern arbeiten, die werden ja auch nicht dafür belohnt, dass sie Dinge ankreiden, sondern ihre Arbeit ist am leichtesten, wenn sie sich sozusagen auf die Seite derer schlagen, die sie eigentlich kontrollieren sollen.
[00:11:42] Stephan: Fangen wir mal an mit deinen konkreten Erfahrungen in diesen Betrieben. Erstmal, wie hast du das gemacht und in was für Betrieben warst du?
[00:11:52] Thilo: Also hier muss man, glaube ich, eben wieder unterscheiden zwischen diesem Arbeiten in Betrieben und dann das Alltagsgeschehen mitbekommen und dem eben Aufsuchen dieser Betriebe zu nächtlicher Zeit zum Zweck, dass man eben versteckte Kameras aufhängt oder schlicht und ergreifend die Situation der Tiere mit der Kamera festhält.
Vielleicht zuerst einmal zu diesem Arbeiten in Betrieben: Ich persönlich habe das nie lange durchgestanden. Da gibt es Menschen, die können das, die halten das einen Monat oder noch länger aus. Das war bei mir nicht so. Nichtsdestotrotz: Es reicht ein einziger Tag, um viele, viele Sachen mitzubekommen, wo man sozusagen als Außenstehender vollkommen geschockt wäre.
Also ich war in einem Schlachthof, einem bio zertifizierten Hühnerschlachthof. Ich war in Schweinezucht-Fabriken, auch in damals Europas größter Schweinezucht-Fabrik, eine Weile und hatte eine Brille, die eine versteckte Kamera hat oder eine Uhr, die eine versteckte Kamera hat. Das ist ein bisschen kompliziert, weil etwa bei den großen Schweinezucht-Betrieben muss man immer durch so eine Duschschleuse, bevor man da reingeht. Also man muss wirklich sich nackt ausziehen, geht in eine Dusche. Da sind die Türen eine Weile zu. Es kommt Wasser von oben. Man muss quasi duschen, um Keimeintragung in diese Betriebe zu reduzieren und dann geht die andere Seite dieser Dusche wieder auf und man geht dann eben in Kleidung von dem Betrieb rein, in Stiefel von dem Betrieb und da kann man natürlich nicht irgendwas Verkabeltes an sich dran haben, sondern da geht dann eben nur eine Uhr.
Das ist dann schwierig, weil die Aufnahmen nicht so gut sind mit einer Uhr, aber es gibt schon Möglichkeiten letztendlich einer Industrie, die intransparent sein will und sein muss, damit sie überhaupt nur funktioniert, doch ein bisschen ein Beinchen zu stellen und doch das, was eben in den Betrieben passiert, nach außen zu kriegen.
[00:13:51] Stephan:Ja, eben weil, und das ist ja auch einer der Mechanismen, wie es so lange existieren kann, weil auch die Fleischesser, wenn sie das sehen, schon erkennen, dass das nicht in Ordnung ist.
Deswegen würde ich auch sagen, wir halten uns vielleicht nicht groß mit dem Thema Tierethik auf. Kann man auch viel philosophisch darüber reden, inwiefern wir Pflichten gegenüber den Tieren haben und inwiefern das nicht sein kann, weil es nicht reziprok ist und so weiter. Aber eigentlich ist es, glaube ich, keine besonders wichtige oder entscheidende Debatte.
Ich glaube, wir kommen am weitesten, wenn wir vielleicht konkret durch das Leben eines Schweines sozusagen gehen. Ich würde einfach mal exemplarisch Schweine nehmen und dann über die Mechanismen reden, die dazu führen, dass diese organisierte Agrarkriminalität, dass sie weiter existiert. Einverstanden?
[00:14:41] Thilo: Ja, das können wir machen. Also Schweine sind, ja, meiner Meinung nach, wunderbare Lebewesen. Die sind, ja, unglaublich süß, die Ferkel. Die sind sehr soziale Tiere, sehr intelligente Tiere. Vergleichbar mit Hunden. Also man kann mit Schweinen auf sehr komplexe Weisen interagieren.
Und in der Tierhaltung ist es allerdings so, dass zum einen, ja, man muss sagen: Qualzuchten zum Einsatz kommen. Also Tiere, die allein auf Grund ihrer Zucht schon ein gewisses Leiden haben, Gelenkserkrankungen und Ähnliches.
Und dann ist es so, dass es zwei verschiedene Arten von Betrieben gibt, eben die Schweinezucht und die Schweinemast. In der Schweinezucht ist es so, dass weibliche Schweinesauen in körperengen Metallkäfigen – die nennen sich Kastenstände oder Ferkelschutzkörbe – stehen und ja, dort eben künstlich besamt oder künstlich befruchtet werden, diese Ferkel dann zur Welt kommen, nach kürzester Zeit, also drei, vier Wochen, dann getrennt werden von den Müttern, die dann eine gewisse sozusagen Erholungszeit haben, bevor sie dann wieder aufs Neue, ja, trächtig sein müssen. Und...
[00:15:59] Stephan: …und die Säue sind lange teils in diesen Kastenständen, in diesen engen Käfigen sozusagen?
[00:16:05] Thilo: Ja, mehrere Wochen bis mehrere Monate. Auch da ist es wieder so: Es gibt gesetzliche Vorgaben, dass sie in der Phase, wo sie eben nicht trächtig sind, in einem sogenannten Gruppenbereich rumlaufen dürfen… sollen. Aber die meisten Betriebe haben, oder es gibt noch eine zusätzliche Regelung, dass eben diese Kastenstände auch nach hinten hin geöffnet werden sollen, zu gewissen Phasen. Aber das macht natürlich zusätzliche Arbeit. Leichter ist es, die Tiere einfach permanent da drin zu lassen. Und das ist eben dann auch genau das, was gemacht wird. Das haben wir auch nachgewiesen. Es gibt so Sauenkarten, nennt sich das. Da wird dann eben alles, was da passiert, bürokratisch festgehalten. Da kann man dann eben zeigen: Okay, hier und dort hat die Besamung stattgefunden. Trotzdem steht die Sau noch in diesem Kastenstand, da dürfte sie eigentlich nicht stehen. Ergo ist das eine illegale Praktik.
[00:17:03] Stephan: Ja, und Qualzucht können wir es deswegen nennen, weil, wie ja bei Hühnern zum Beispiel auch, wenn die so hochgezüchtet sind – sonst kennt man das vielleicht von Hunden oder so, weil das vermeintlich süß sein soll, kurze Nasen dann haben und nicht gut atmen können – aber bei Schweinen oder Hühnern ist es dann so, dass die, ja, wahnsinnig viel Fleisch eben produzieren sollen und deswegen zum Beispiel die Gelenkprobleme kriegen.
[00:17:27] Thilo: Ja, und bei den Säuen ist es so: Die sind nicht auf möglichst schnellen Fleischansatz getrimmt quasi, sondern die sind darauf gezüchtet, möglichst viele Ferkel zur Welt zu bringen. Und da ist es so, dass inzwischen die Zucht, in Anführungsstrichen, so erfolgreich war, dass Sauen häufig mehr Ferkel gebären, als sie Zitzen haben. Also auch die Zitzenanzahl hat man durch Zucht vermehrt, aber die Ferkel, da hat dann gar nicht jedes einzelne eine Zitze, wo es säugen kann. Beziehungsweise die Ferkel sind dann so klein, weil einfach kein Platz ist im Mutterleib, dass sie auf die Welt kommen und kaum überlebensfähig sind. Diese Tiere werden dann aber auch ohnehin, ja, sehr schnell totgeschlagen.
Der Industriebegriff dafür ist Kümmerlinge und das ist eine Routinepraxis. Das ist das erste, was viele Betriebe morgens machen, rumgehen und Ferkel, die eben schwach wirken, die eigentlich leben könnten, aber die schwach wirken… Man nimmt sie an den Hinterbeinen und schlägt sie tot oder halbtot.
[00:18:27] Stephan: Wie Ferkelschutzkörper auch ein Beispiel von euphemistischer Sprache, weil es natürlich eigentlich suggeriert, ja: Um die muss man sich kümmern und das Gegenteil ist dann der Fall.
Und du hast das auch selber gesehen, oder? Dass die einfach dann auch totgeschlagen werden, entweder an den Hinterbeinen oder dann steht in der Tierschutzverordnung: „Okay, du sollst das mit einem Knüppel machen oder so“, was ja auch nicht besser ist und die aber dadurch nicht unbedingt sofort sterben.
[00:18:54] Thilo: Also die meisten haben einfach eine Schädelfraktur und zappeln dann. Und meine Aufgabe war Eimer wegzutragen mit zappelnden Ferkeln oder ganze Schubkarren wegzutragen, weil die Tiere werden ja dann gesammelt und das ist auch wieder etwas – kann man sich, glaube ich, als Außenstehender nicht vorstellen – aber größere Schweinezuchtbetriebe, die haben Kadaverräume und da stehen Container, die sind oben offen, die sind im Boden eingelassen und Schubkarren mit toten Tieren werden dann in diese Container gekippt. Da sind dann 50 Ferkel oder so, die aus der Schubkarre in den Container gegeben werden und das stinkt in einer Weise, das kann man sich nicht vorstellen und es ist, ja, es ist ein Berg an Schweineleichen und da kommt dann in regelmäßigen Abständen der LKW und fährt es zur Tierkörperbeseitigungsanlage und ganz viele Tiere, die in diese Container kommen, leben.
Die leben weiter, weil sie nicht getötet worden sind und das ist bei Hühnern beobachtet worden in gleichem Ausmaß. Und als wir damals das dann öffentlich gemacht haben, dieses Ferkel Erschlagen, genau, da gab es dann eben entsprechende Erlasse, dass man versucht hat, in manchen Bundesländern zumindest Regelungen zu ändern. Da hat man dann gesagt: „Na, die Ferkel dürfen nicht zum Gegenstand geführt werden“, also auf Deutsch dem Boden oder die Buchtkante, „sondern der Gegenstand muss zum Ferkel geführt werden, mit anschließender Entblutung“, und das ist aber eigentlich noch ein größeres, ja, man muss schon fast sagen, Gemetzel, weil dann hauen irgendwelche Menschen mit so Knüppeln Ferkeln auf den Kopf und treffen nicht richtig, weil die zappeln ja die ganze Zeit und dann kriegen sie auch noch ein Messer in den Hals gestochen, das dann häufig Adern verfehlt und ähnliches. Also ich weiß nicht, inwiefern ich da jetzt Details beschreiben soll, aber das ist eben etwas, das zieht sich da wirklich durch, dass es immer wieder Szenen gibt, wenn man die als Außenstehender sieht, da würde man denken: Ja was, was zur Hölle passiert denn jetzt hier eigentlich?!
Und genau wie du gerade sagtest: Niemand braucht dafür tierethische Theorien oder muss irgendwie tierethische Bücher studieren, sondern eigentlich haben wir moralische Intuitionen, die uns ganz stark davon abstoßen, was dort passiert und deshalb ist es auch so, dass die Menschen, die dort arbeiten, die… Das ist natürlich nichts, was man als Normalsterblicher so einfach machen kann. Deshalb werden dort auch keine, sagen wir mal, einfach Außenstehenden so leicht angestellt.
Und diese Arbeit Tag ein, Tag aus zu machen, hat auch einen Preis für die Psyche. Das ist sehr schwer zu untersuchen, aber da gibt es immer mehr Hinweise dafür, dass das natürlich nicht gesund ist und das ist, letzter Satz, aber das ist mir eigentlich immer sehr, sehr wichtig zu sagen, dass Opfer dieses Industriezweiges, neben den Tieren, auch die Menschen sind, die dort arbeiten müssen.
[00:22:07] Stephan: Ja, wie sollte es anders sein, dass das auch Konsequenzen für Personen hat, die das ausführen. Das ist ja sehr analog zu Kriegen zum Beispiel. Das traumatisiert Menschen auch, wenn sie da andere Menschen umbringen. Machen wir ruhig kurz den Abstecher zu der Psyche der Menschen: Ich glaube, es ist auch okay, wenn wir relativ explizit über solche Sachen reden. Ich habe gewisses Verständnis dafür, dass man nicht in jedem Gemütszustand in der Lage ist, das zu verdauen.
Zu den Leuten, die da arbeiten: Ja, wer arbeitet da so? Wer entscheidet sich dafür? Warum machen die das? Und konntest du irgendwie mit Mitarbeitern da ins Gespräch kommen?
[00:22:48] Thilo: Sehr schwierig, weil meistens kein Deutsch gesprochen wird oder nur in Ausnahmesituationen. Der Mechanismus ist eigentlich ein sehr perfider. Nämlich, dass ökonomische Not von Menschen ausgenutzt wird, um sie quasi in diese Betriebe zu locken. Und das sind alles Menschen, die, ja, keine wirkliche Ausbildung haben. Also ich rede jetzt hauptsächlich über größere Betriebe. Und ja, Menschen aus dem Ausland, aus Osteuropa. Es sind Menschen, ich hatte immer wieder mit Menschen auch zu tun, die im Gefängnis lange Zeit waren, die vorher auf Pelzfarmen oder anderem gearbeitet haben. Und ja, es ist eine Arbeit, die, glaube ich… zu der sich eigentlich unter normalen Umständen niemand so leicht bereit erklären würde.
Weil man geht morgens in eine Fabrik rein. Allein der Gestank darin, das ist etwas, das ist so belastend für den Körper. Und ich musste auch eine oder meine zweite Undercover-Recherche in einem Schweinezuchtbetrieb, wo ich gearbeitet habe, ich musste es aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Weil ich mit so einem Pulver zu tun hatte, was man Ferkeln gegeben hat mit Durchfall. Und ich bin von diesem Pulver selbst so krank geworden, dass ich einfach nicht weiterarbeiten konnte.
[00:24:13] Stephan: Und viel Ammoniakgestank ist da wahrscheinlich auch. Das ist, glaube ich, auch reizend für Schleimhäute und so.
[00:24:18] Thilo: Es ist der Ammoniak. Es gibt ja, also bei den Schweinen jetzt und bei den Kühen, bei den Hühnern ist es ein bisschen anders, aber es gibt Spaltenboden und darunter gibt es den Güllekeller. Das heißt, da stehen 65.000 Tiere, die koten in diesen Güllekeller rein, wo die Gülle dann langsam – die ist ja auch etwas flüssig quasi – langsam fließt sie dann nach außen. Aber erstmal ist da unterm Boden wie so ein Schwimmbad an Exkrementen. Und daraus emittieren natürlich Gase. Und diese Gase sorgen dafür, dass – ich weiß jetzt nicht den genauen Prozentsatz – aber ein großer, großer Anteil der Schweine zum Beispiel komplett vereiterte Augen hat. Oder die absolute Mehrheit an Schweinen Lungenerkrankungen hat.
Und Lungenerkrankungen, da reden wir über Belastungen, die so weit gehen, dass die Tiere so viel husten müssen, dass nur durch das Husten so viel Druck auf die inneren Organe kommt, dass der Enddarm zum Anus austritt. Das nennt man Mastdarmvorfall. Ist ein ganz, ganz übliches Phänomen in der Schweinemast. Und das muss man sich mal überlegen. Man hustet, man muss so viel husten, dass man die eigenen Organe aus dem Körper rausdrückt nach einer Zeit. Ich glaube, das kann man sich letztendlich gar nicht vorstellen.
Und es gibt ein paar Untersuchungen zumindest an sogenannten Schlachttieren, also Tieren, die dann zum Schlachthof gefahren sind, wo man geguckt hat, in welchem Gesundheitszustand kommen die dort eigentlich an. Und die Feststellung ist: Es gibt kein gesundes Tier, was zum Schlachthof geht, sondern die haben alle systematische oder auch seltenere Krankheiten. Also sie haben alle irgendwelche, sie leiden alle unter Krankheiten. Die sind nicht gesund und sie überleben halt auch nur gerade bis zu diesem Punkt, wo dann diese sogenannte Schlachtreife erreicht ist.
Man sieht es dann immer wieder an Tieren, die befreit werden, die auf Lebenshöfe kommen, dass allein aufgrund der Zucht es schwierig ist, die länger am Leben zu erhalten, als eigentlich industriell quasi vorgesehen ist. Und bei Schweinen sind das sieben oder acht Monate oder neun Monate, also eine sehr kurze Zeit nur. Aber eigentlich können die Tiere 15 Jahre alt werden.
[00:26:41] Stephan: Und zu dem Ausmaß, zu dem man sich das vorstellen kann, ist es ja so, dass – wir können darüber reden, bei Fischen zum Beispiel ist vielleicht ein Rationalisierungsmechanismus, dass man denkt, die haben keinen Schmerz oder so – aber bei Schweinen, es ist ja ganz offensichtlich, dass die uns sehr, sehr nahe sind.
Klar, man hat vielleicht nicht so viel Interaktion damit wie mit einem Hund oder so, dass man das konkret selber erlebt, aber es ist, weil sie uns ziemlich nahe Säugetiere sind, sehr offensichtlich, wie grausam das ist, wenn eben dann das Kind nicht zu seiner Mutter kommt und nicht gestillt werden kann. Und im Buch ist auch beschrieben: Manchmal werden die sogar erdrückt, also dass die Mutter wegen der Platznot eins oder mehr ihrer Kinder erdrückt, zum Beispiel.
Lass uns vielleicht, um ein bisschen Struktur beizubehalten, weiter mit der Chronologie des Schweinelebens machen. Also die werden geboren, wir haben die Problematik mit den Sitzen, mit der Enge. Wie geht es weiter?
[00:27:36] Thilo: Also bei Ferkeln ist es so, dass gewisse, man muss sagen, Verstümmelungen vorgenommen werden, damit die Tiere besser quasi den Bedingungen der Mast sich anpassen. Es werden etwa die Schwänze kupiert, die Ringelschwänze. Da gibt es das sogenannte Kopier-Trafos. Das ist so ein heißes Stück Metall. Manchmal nimmt man auch einfach eine Kneifzange und schneidet eben diesen Schwanz an der sensibelsten Stelle ab, damit so ein Stummel stehen bleibt, der dann die Schweine in der Mast dazu anregt, gleich auszuweichen, wenn andere diesen Ringel oder diesen Schwanzstummel quasi als, ja, in Anführungsstrichen Spielzeug gebrauchen, denn Schweinemast, das sind komplett strukturlose Buchten, da sind intelligente Tiere drin, die wollen sich mit irgendwas beschäftigen. Und das Einzige, was sie dann haben, sind, ja, diese Schwanzstummel, auf denen sie rumkauen können.
Das passiert auch häufig, aber dadurch, dass eben gerade dieser sensibelste Teil nur übrig bleibt, tendieren die Tiere eben dazu auszuweichen. Und man will halt Verletzungen vermeiden, weil Verletzungen bedeutet, dass da Keime reinkommen können und dass die Tiere dann eben, ja, sterben an möglichen Infektionen.
[00:28:50] Stephan: Und eigentlich sind sie natürlich friedfertig, aber wegen der Reizarmut fängt man dann eben irgendwann an, irgendwas halt zu machen.
[00:28:57] Thilo: Ja, Kannibalismus. Also man nennt es Kannibalismus. Das ist eine psychische Störung letztendlich, die die haben. Das würden sie natürlich unter normalen Umständen nie machen. Da gäbe es anderes zum Kauen. Ja, das ist eine Sache.
[00:29:10] Stephan: Die Verstümmelung, also wahrscheinlich ist es klar, aber die wird halt ohne Anästhesie gemacht. Das sollte man auch erwähnen.
[00:29:15] Thilo: Ja, da gibt es viele Diskussionen darum und das soll auch verpflichtend gemacht werden, dass zumindest für das Kastrieren von männlichen Ferkeln dann eine Betäubung über Gas oder Ähnliches verpflichtend wird. Ich weiß auch ehrlich gesagt gar nicht ganz genau, wie da die juristische Diskussion, auf welchem Stand die derzeit ist, weil es gibt natürlich ja immer wieder Vorstoße, was zu verbieten. Dann gibt es Ausnahmegenehmigungen, die dann teilweise auch flächendeckend gelten. Man sieht es ja etwa beim Kükenschreddern, was prinzipiell auch verboten ist und trotzdem weitergemacht wird.
[00:29:49] Stephan: Lange, lange Übergangsfristen haben wir dann oft bei solchen Sachen.
[00:29:51] Thilo: Ja, oder man weicht halt in Länder aus, wo es dann weiterhin erlaubt ist oder Ähnliches. Und was eben auch noch gemacht wird, ist, dass neben diesem Kastrieren der männlichen Ferkel, bei allen Ferkeln die Eckzähne rausgeklipst werden, auch mit einer Zange, die eben diese Eckzähne abschneidet oder es wird eben abgeschliffen, damit, ja, die Brust oder man nennt es das Gesäuge bei den Sauen nicht verletzt wird durch eben diese Rangkämpfe, die die Ferkel dann haben, weil es häufig zu wenig Zitzen gibt.
Manchmal ein bisschen komplex die Gründe dahinter zu erklären, aber letztendlich geht es halt immer um Maßnahmen, dass die Tiere eher in diesem System irgendwie, ja dann schon zumindest bis zur Schlachtung es durchhalten. Es werden Impfungen vorgenommen gegen bestimmte Viren, die typischerweise in der Mast aufkommen, Circoviren und anderes. Auch dieses Impfen ist leider ein sehr grausamer Prozess, weil, ja, da werden eben die Ferkel sehr stark zusammengepresst und zusammengetrieben, dass sie sich kaum noch bewegen können.
Man macht es mit so Brettern und dass dann eben diese Impfpistolen möglichst schnell dann in die Ferkel gestochen werden können, wobei man auch häufig dann wieder die Stelle verfehlt. Da passieren die verrücktesten Sachen. Da ist ja auch immer Hektik und einfach eine viel zu hohe Arbeitsbelastung für die Leute.
Und wenn diese Schritte vorgenommen worden sind, werden nach einer gewissen Zeit dann die Ferkel in sogenannte Flatdecks eingestallt. Das ist so ein Zwischenschritt zwischen Mast und Zuchtbetrieb. Und dann gibt es eben noch diese Mast, wo einfach es nur noch darum geht, ja, quasi so ein Futterbrei zu sich zu nehmen, bis eben diese 110 Kilo Schlachtgewicht dann quasi erreicht sind.
[00:31:34] Stephan: Und dann ein Leben geprägt, wie du gesagt hast, von vielen Krankheiten, Verhaltensauffälligkeiten, die die Schweine dann unweigerlich entwickeln. Sachen, die wir ganz offensichtlich als psychische Störungen bei Menschen charakterisieren würden. Wie ist es dann gegen Lebensende, wenn sie zur Schlachtfabrik kommen?
[00:31:52] Thilo: Ja, zuerst mal, bevor Tiere dieses Alter überhaupt erreichen, dass sie zur Schlachtung tatsächlich zugeführt werden, wie man das nennt, muss man sagen, dass ein Viertel aller Schweine sterben vorher. Also ein Viertel. Das ist bei so und so vielen Millionen Schweinen natürlich auch eine ganze Menge an Millionen Tieren, die einfach nur aufgrund der Haltungsbedingungen leiden und sterben am Ende.
Und dann gibt es eben ja immer noch die Mehrheit der Schweine, die zur Schlachtung gebracht werden. Und ja, ich bin unsicher, wie weit ich ins Detail gehen soll. Aber es ist natürlich ein extrem brutaler Prozess, der letztendlich schon beim Treiben der Tiere in den Tiertransporter anfängt .Da gibt es dann so Sachen wie, dass Schlagstempel appliziert werden. Das sind solche, ja, Metallplatten mit Metallspitzen dran, die dann in Tinte getunkt werden und dann wirklich mit richtiger Kraft auf die Schweine geschlagen werden, dass die beiden, ja, Schweinehälften eine entsprechende Markierung haben, dass man das eben nachverfolgen kann, wo die herkommen.
Beim Treiben werden häufig Elektroschocker eingesetzt oder Drahtbürsten, die in die Genitalien gedrückt werden oder eben einfach Knüppel und Tritte. Es wird an den Ohren gezogen und und und. Es wird in die Augen gepikst, dass sie sich in die richtige Richtung drehen. Häufig sind sie dann falsch rum in irgendwelchen Gängen. Also da sind auch wieder, ja, diverse, diverse Praktiken gängig, die extreme Schmerzen für die Tiere bedeuten. Und die Theorie beim Schlachten ist ja, dass eben die Betäubung stattfindet und dieses anschließende Entbluten mit dann dem Tod als Folge. Und die Betäubungsmethoden sind aber einfach unglaublich häufig unzulässig, sodass unbetäubte Tiere der weiteren Schlachtung zugeführt werden.
Das kann etwa bedeuten, dass die Betäubung mit einer Elektrozange stattfinden soll. Diese Elektrozange wird nicht richtig angesetzt oder der Strom ist zu schwach eingestellt oder Ähnliches. Das heißt, das Tier kriegt einfach nur einen wahnsinnigen Stromschlag, ist noch wach, bekommt dann einen Kehlstich. Möglicherweise ist der Kehlstich nicht richtig platziert, sodass es nicht schnell genug ausblutet, bis es an dem Förderband ins Brühbad reingefahren wird, sodass dann auch unglaublich viele Schweine erst in einem 60 Grad heißen Brühbad ersticken im Lauf der Zeit. Dieses Brühbad soll eben die Entfernung der Borsten erleichtern.
Und der Umstand, dass eben die Tiere nicht richtig betäubt sind, während sie dann quasi getötet werden, das ist etwas, was nicht nur Schweine betrifft, sondern Kühe und Kaninchen und Puten und Hühner gleichermaßen. Und das ist bei kleineren Schlachthöfen sogar noch schlimmer als bei den größeren.
Also häufig hat man so diese Idee, dass der Metzger von nebenan und so, dass da noch irgendwie die Welt in Ordnung ist. Aber es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass fast die Hälfte aller Tiere in diesen kleineren Schlachthöfen nicht korrekt betäubt sind. Das ist ja eigentlich eine Art von Grausamkeit, dann zerlegt zu werden oder in ein Brühbad zu kommen oder die Haut abgezogen zu kriegen, wie das bei Kühen häufig ist, während man noch Schmerzempfinden hat… Ja, ich weiß gar nicht, wie ich das bewerten soll.
[00:35:29] Stephan: Bei Menschen kennen wir das höchstens als mittelalterliche Strafen, bei denen es dann nicht einfach die Todesstrafe war, sondern dann noch kurz vor dem Tod viel Leid ertragen werden musste.
Andere Betäubungsmethoden sind auch nicht besser. Ich weiß nicht, wie häufig, je nach Kategorie, die Fehlbetäubungen sind, aber beim Bolzenschuss dann, wird ein Gerät angesetzt, das trifft nicht immer gut im Gehirn. Bei der CO2-Betäubung ist es so, dass man ein Erstickungsgefühl hat und auch am Ende ist man nicht unbedingt betäubt und so weiter.
[00:36:05] Thilo: Ja, weil die Gondeln eben häufig zu schnell wieder aus diesem CO2-Bad herausgefahren werden, weil ja alles schnell gehen muss.
[00:36:12] Stephan: Ja, ja. Genau. Und bei den ganzen Schnitten und Betäubungen müssen wir uns im Grunde vorstellen: Das passiert ja alle paar Sekunden. Jemand, der da arbeitet, der macht dann eine repetitive Bewegung tausende Male am Tag oder so.
[00:36:28] Thilo: Ja.
[00:36:29] Stephan: Glaubst du, das hilft Leuten, wenn sie relativ explizit hören oder auch sehen. Eben – du hast ja diese Undercover-Recherchen gemacht – sehen, was passiert? Oder führt das schnell dann doch irgendwie zu einer Abwehr oder dass man dann ganz zumacht oder ausschaltet oder so?
[00:36:47] Thilo: Beides. Ich glaube, für manche Menschen ist es sehr eindrücklich, auch in einem Sinne, dass man dann sagt: Okay, an derartigem Geschehen möchte ich mich nicht mehr aktiv beteiligen, indem ich es mitfinanziere durch mein Konsumverhalten. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass es viele Menschen gibt, die wirklich, ja, das verdrängen möchten und auch, wenn sie das wahrnehmen, wenn sie diese Informationen erhalten, trotzdem Rationalisierungsstrategien haben oder auch Verzerrungsstrategien oder man könnte vielleicht sogar sagen Selbstbetrugsstrategien, die dann dazu führen, dass weiterhin man sich so verhält, dass man doch auch indirekt dieses Geschehen mitträgt oder mitfinanziert.
[00:37:38] Stephan: Ja, ja. Erscheint mir, erscheint mir plausibel. Also genau bei dir war es auch wie bei mir, dass die Beschreibung der Grausamkeit hilft, sich das präsent zu machen und dann auch danach zu handeln. Aber andererseits ist nicht jeder und nicht immer dafür empfänglich. Und dann muss man über die Strategien, wie man das am besten nahe bringt und am besten darüber aufklärt, muss man nachdenken. Und über die Lösungen, die ja auch anders aussehen können, als das präsent zu machen. Wir können später über technologische Lösungen reden und darüber, was effektiv ist, weil es uns letztlich natürlich um das Tierwohl oder die Verminderung von Leid geht.
Einmal noch zur Haltung: Du hast es mit den kleinen Betrieben erwähnt und eine Vorstellung, die man auch haben kann, ist, dass Bio-Haltung grundsätzlich angenehm und viel besser für die Tiere ist, dass das ein gutes Leben ist im Gegensatz zu der konventionellen Tierhaltung. Führ das mal vielleicht aus und ordne das ein.
[00:38:34] Thilo: Also meiner Erfahrung nach gibt es unglaublich krasse Unterschiede zwischen tierhaltenden Betrieben. Das ist ein wahnsinniges Spektrum von schrecklichem bis gutem Management hin. Und ich würde mich nicht auf eine Position stellen wollen und hier eine Schwarz-Weiß-Sicht entwickeln und sagen irgendwie: „Alles ist schlecht“ oder „Konventionell ist schlecht und Bio ist gut“ oder ähnliches, sondern es gibt sowohl im Bio-Bereich Horrorbetriebe als auch gut geführte, gut gemanagte Betriebe und im konventionellen Bereich genauso.
Es gibt Regulierungen, die gewisse Unterschiede typischerweise bedingen. Diese Unterschiede betreffen etwa die Art des Futters, das Tiere bekommen, ein bisschen das Platzangebot, was Tiere haben, ob sie Einstreu haben oder nicht, ob bestimmte Medikamente verboten sind oder nicht. Aber ich glaube, dass die Bio-Tierhaltung oder auch diese vielen Labels, die es gibt, die nicht unbedingt was mit Bio zu tun haben, sind vor allen Dingen entstanden als Reaktion auf eine kritischer werdende Öffentlichkeit. Also eine Art Gewissensberuhigungsstrategie.
Also: „Hier haben wir unser schönes Label“ oder „Hier haben wir unseren Bio-Betrieb. Ihr braucht nicht mehr kritisch sein, denn hier ist bei Bio ja alles wunderbar.“
Und was ich zumindest durch die vielen Recherchen gelernt habe, die ja genauso Bio-Betriebe umfasst haben, ist: Dass es letztendlich Makulatur ist. Und ich will nicht leugnen, dass es eine Handvoll an Betrieben gibt, wo wirklich ein extrem hohes Maß an Respekt gegenüber den Tieren gelebt wird, wo sie extrem große Freiheiten haben, natürliche Sozialverbände und und und. Aber der Durchschnitt an Bio-Betrieben ist Massentierhaltung, so wie man sich das stereotypisch vorstellt. Tausende von Hennen, hunderte von Schweinen, hunderte von Kühen.
Und der Durchschnitt an Bio-Betrieben ist auch so, dass das Tierleid, was darin entsteht, sich nicht signifikant unterscheidet von konventionellen Betrieben. Und ein ganz gewichtiger Punkt ist ja, dass egal ob Bio-Tier oder konventionelles Tier, sie kommen alle in den gleichen Schlachthof. Wenn ich sage, dass es biozertifizierte Schlachthöfe gibt, dann betrifft das Hygienemaßnahmen nach dem Tötungsraum. Die sind bei Bio höher als bei konventionellen. Also Hygienemaßnahmen wie mit dem Fleisch verfahren werden muss.
Deshalb habe ich da ehrlich gesagt schon eine sehr, sehr kritische Haltung entwickelt gegenüber der Bio-Tierhaltung. Und ich erinnere mich noch gut an eine der letzten Recherchen, die wir gemacht haben. Ich meine, ich mache diese Recherchen ja nicht mehr, schon seit vielen, vielen Jahren nicht. Aber eine der letzten, die wir gemacht haben, da standen wir an einem Bio-Landbetrieb, der wirklich ausgezeichnet war. Und der hatte auch einen Freilauf, also die Schweine konnten nach draußen. Und dieser Freilauf, da war Schweinekot 20 Zentimeter hoch. Die Schweine sind dort durch diesen Schweinekot quasi gewatet. Das war ein Bio-Landbetrieb.
[00:41:55] Stephan: Und Schweine sind keine dreckigen Tiere, sondern wenn die sich frei entscheiden können, dann trennen die natürlich die Plätze, an denen sie defäkieren, von den Plätzen, an denen sie sich beschäftigen, anderweitig.
Also können wir festhalten im Grunde: Es gibt ein paar Unterschiede, ein paar Unterschiede mit den Größen und so weiter. Aber nichts, womit man sich eigentlich wohlfühlen kann.
Hättest du denn Ratschläge für Menschen, die zum Beispiel nicht direkt bereit sind, Fleisch aufzugeben? Wie begegnest du denen dann? Also die Gefahr dann zum Beispiel eben bei Bio ist, dass das ein Gewissensberuhiger ist. Aber glaubst du, dass es sozusagen Zwischenstufen gibt – vegetarisch könnte eine Sache sein – weitere Zwischenstufen, mit denen man Menschen erreicht? Oder ist es, einfach zu sagen: Schraub die Frequenz runter? Oder konzentriere dich auf die eine versus die andere Spezies?
[00:42:50] Thilo: Genau, es gibt auf jeden Fall Zwischenstufen. Ich glaube, die Menge an tierischen Produkten, die man konsumiert, zu reduzieren, ist schon ein sehr guter Schritt, wenn man wirklich Leid verringern will. Aber auch, wenn man etwas für seine Gesundheit tun will oder etwas zum Umweltschutz beitragen möchte. Ich glaube nicht, dass man sagen kann: Kauft dieses oder jenes Fleisch. Weil letztendlich ist immer intransparent: Wie hat jetzt diese Schlachtung des Tieres, von dem dieses Stückchen Fleisch kommt, stattgefunden? Oder wie hat das jetzt als Individuum sein Leben verbracht? Was ist dem in seinem Leben passiert? Niemand kann das wirklich nachhalten. Von dem her würde ich da nicht sagen, dass man irgendwie sicher, quasi bessere Tierprodukte mit einem gewissen Label oder in einem gewissen Laden oder Ähnlichem kaufen kann.
Für mich persönlich ist die Lösung gewissermaßen, dass man sagt: Ich mag den Geschmack von Käse, von Milch, von Fleisch, ich experimentiere mit Alternativprodukten, wenn das etwas für mich ist. Die sind natürlich häufig auch jetzt nicht so gesund wie ein Obstteller, aber man muss sie ja fairerweise mit quasi dann ihrem Pendant vergleichen, wo sie dann teilweise tatsächlich ein Stückchen gesünder sind, weil sie weniger Fette oder Ähnliches haben und keine Medikamentenrückstände und so weiter und so fort.
Und ich glaube, dass hier das, was Fooddesigner – das ist auch so ein negativer Begriff – aber was sie da geleistet haben teilweise, was so Fake-Fleisch angeht, das befriedigt das Geschmackserlebnis. Also meiner Meinung nach! Gut, ich kann mich jetzt auch nicht mehr so gut erinnern vielleicht nach 16 Jahren ohne Fleisch, aber ich glaube schon, dass man da diese Idee, dass man jetzt wirklich viel verzichten muss, wenn man keine tierischen Produkte mehr isst, dass dieser Verzicht gar nicht so gegeben ist tatsächlich.
[00:44:48] Stephan: Bei mir waren es auch 13, 14 Jahre, glaube ich, schon ohne Fleisch. Ich glaube, ich habe den Geschmack so ein bisschen verlernt. Aber das ist ja auch ganz fein, dass diese Fleischersatzprodukte eben Fleischkonsum ersetzen. Also das ist nicht weiter tragisch, wenn ich das nicht mag, weil ich vor allem von rotem Fleisch den Geschmack irgendwie verlernt habe, glaube ich.
Ich habe noch einen Punkt dazu, was man Menschen gegebenenfalls empfehlen könnte, wenn sie nicht bereit sind, die Menge ihres Fleischkonsums zu reduzieren: Wäre nicht ein legitimes Argument: Konzentrier dich dann wenigstens auf größere Tiere wie Schweine oder Rinder, weil weniger Tiere pro Gramm Fleisch leiden?
[00:45:30] Thilo: Ja, das ist tatsächlich eine Diskussion, die geführt wird. Ich bin mir unsicher. Ja, vielleicht ist es intuitiv zu sagen: Lieber eine Kuh als 200 Hühner oder noch krasser gesagt: Lieber ein Wal als 30 Kühe. Vielleicht ist das so, ja.
Für mich persönlich ist es ein Gedankenexperiment, wo ich versuche, Unrecht mit Unrecht zu verrechnen. Also meine persönliche Sicht ist, dass ich zu Nahrungsmittelzwecken nicht den Tod eines Tieres in Kauf nehmen muss. Deshalb sage ich „Unrecht mit Unrecht verrechnen.“ Deshalb habe ich ehrlich gesagt mich auch nie in dieses Gedankenexperiment vertieft, muss ich gestehen. Aber wahrscheinlich, ja: Lieber weniger als mehr.
Umgekehrt: Die kleineren Tiere tendieren ja dann auch dazu, tatsächlich nochmal ein anderes Set an kognitiven Fähigkeiten zu haben, wie größere Tiere. Wobei das auch nicht immer gilt. Schwierig.
[00:46:39] Stephan: Sehr schwierig. Natürlich ist man am besten damit bedient, wenn man das gänzlich vermeidet. Und ich glaube, das stimmt, dass man Unrecht mit Unrecht dann aufrechnet oder zumindest vergleicht, dass wir das aber wahrscheinlich auch in anderen Aspekten tun. Und wenn mir jetzt jemand eine Waffe auf die Brust setzt und sagt, was soll ich denn essen? Na, dann würde ich sagen: Vielleicht lieber das Rind.
Ich weiß nicht, ich glaube, wir müssen nicht groß über die anderen Schnittstellen von sogenannter Nutztierhaltung mit anderen Problemen sprechen. Wir können sie vielleicht einmal erwähnen, weil sie wichtig sind, aber sie sind auch bekannt. Magst du die Liste runtergehen?
[00:47:18] Thilo: Ja, ich weiß gar nicht, ob ich das erschöpfend hinbekomme in der Kürze der Zeit. Aber ja: Die Umweltprobleme sind gigantisch. Ich persönlich denke, dass tatsächlich das größte Umweltverbrechen, das wir begehen, bedingt ist durch die Tierindustrie. Nicht nur, weil wir hier über gigantische Emissionsmengen reden, also CO2 als auch sogenannte vergessene Klimagase, die ungleich potenter sind, also zum Beispiel Methan. Es geht nicht nur um diese Klimagase, sondern es geht auch um Eintragung von Gülle ins Grundwasser. Es geht um Abholzung von Wäldern, um Flächen für Futtermittel anzubauen. Also, zwei Drittel aller Ackerflächen sind nur für Futtermittel da.
Es geht darum, dass wir extrem viele Hungertote oder fehl- oder unterernährte Menschen in Kauf nehmen, weil wir so viel Futtermittel anbauen, anstatt Sachen, die wir für den menschlichen Konsum vorsehen. Es geht um Wasserverschmutzung, es geht um Zoonosen, also Keime, die sich innerhalb von Tierbetrieben so mutieren, dass sie irgendwann zum Menschen überspringen können und sich dann möglicherweise auch von Mensch zu Mensch weiter verbreiten. Und mir war auch nicht bewusst, dass drei Viertel aller Infektionskrankheiten, die wir haben, also alles von der normalen Erkältung bis hin zu Windpocken oder Corona, dass das tierlichen Ursprung hat und höchstwahrscheinlich eben immer diesen Ursprung hat in Tiernutzung auch.
Gut, bei Corona gibt es die Diskussion, wo kommt es wirklich her? Es ist wahrscheinlich, dass es entweder von einem Markt kommt oder aus einem Labor oder aus einer Pelzfarm. Ich glaube, aktuell vertreten sehr, sehr viele diese These, dass es von einer Pelzfarm kommt.
[00:49:09] Stephan: Aber es ist auch nicht so entscheidend und wir sollten uns ja auch nichts vormachen. Alles drei könnte es gut sein. Wir sollten nicht gefährliche biologische Gain-of-Function-Research machen. Wir sollten nicht diese Wet-Markes haben, wo auch noch Tiere unter schlechten Bedingungen und verschiedene Spezies nah beieinander sind. Und Pelzfarmen sind sowieso grausig. Aber es könnte auch genauso gut irgendwie aus einem Schweinemastbetrieb in Niedersachsen kommen oder so. Also…
[00:49:35] Thilo: Genau so ist es.
[00:49:36] Stephan: Wir sollten uns auch nichts vormachen, dass das irgendwie jetzt an diesen schlimmen Wet-Markets liegt oder so. Das ist nicht grundsätzlich anders. Und gleiches gilt natürlich für Antibiotika-Resistenzen.
[00:49:46] Thilo: Genau, das wäre dann noch, wo man die Liste weiterführen könnte. Es geht dann auch über in diese gesundheitlichen Themen. Klar, Antibiotika-Resistenzen werden immer mehr. Auch dafür hat man keine Lösung. Die Zukunft, die schlechte Version ist, dass wir an einfachsten Infektionskrankheiten versterben werden, weil wir keine Gegenmittel da haben. Da bin ich vielleicht noch leicht optimistisch, dass es dafür technische Lösungen gibt, aber garantiert ist es nicht.
[00:50:11] Stephan: Wer jetzt noch genauer über die Grausamkeiten lesen möchte, in Anführungszeichen, den würde ich einfach auf dein Buch verweisen. Aber wir können festhalten: Das ist jetzt bei Hühnern und bei Rindern usw. alles sehr analog. Auch bei Fischen sind die Zahlen noch mal viel höher. Aber auch da ist ziemlich klar: Die fühlen Schmerz und die Methoden in den Fischfarmen, wo dann zum Beispiel das Wasser nicht genug Sauerstoffsättigung hat oder auch die Fangmethoden, die sind recht grausam.
Das Buch ist aber nicht nur das. Du verbreiterst das Thema dann sozusagen noch darauf, dass du guckst, was dieser Umgang mit Tieren auf diese Art mit uns macht. Sowohl mit den Leuten, die da direkten Kontakt haben, mit den Leuten, die da arbeiten, die dann vielleicht irgendwie abstumpfen und solche Sachen, die, denen anderen Arten von Grausamkeit leichter fallen, als auch mit uns als Gesellschaft. Und ich würde dich da einladen, das noch auszuführen. In dem Buch findet sich zum Beispiel der Satz: „Menschen lernen am Fall der industriellen Tiervernichtung.“ Oder auch: „Doch so wie Menschen heute mit vielen Tieren umgehen, werden sie in absehbarer Zukunft mit ihresgleichen verfahren.“
Das hat mich dunkel an den Satz von Heinrich Heine erinnert: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“
[00:51:31] Thilo: Ja, was mich auf diese Gedanken gebracht hat, war, dass ich für das Buch gar nicht unbedingt an tierethischer Literatur interessiert war, sondern ich habe versucht Erklärungen zu finden – vor allen Dingen in der Psychologie – warum wir als Gesellschaft industrielles Töten von Tieren so akzeptieren. Und in der psychologischen Forschung bin ich dann immer wieder über Arbeiten gestoßen, die gar nichts mit Tieren zu tun hatten, sondern die zum Beispiel einfach nur darum gingen, Diskriminierungshaltungen zu erklären.
Eine Studie, die mich besonders beeindruckt hat, war… Oder nein, ich ziehe es anders auf: Ich sage erst mal noch: Dass ganz viel Literatur festgestellt hat, dass einzelne Diskriminierungsdimensionen, also klassischerweise Rassismus und Sexismus, sich überlappen. Also: Wo viel Rassismus auftritt, ist auch viel Sexismus und umgekehrt. Und dann gibt es Literatur, die zeigt, dass das auch für Speziesismus gilt, also für abwertendes Denken gegenüber bestimmten Spezies, gegenüber bestimmten Tierspezies.
Und eine Studie – das wollte ich gerade erwähnen – die wird mir immer im Gedächtnis bleiben, weil ich das so eindrücklich fand: Dort hat man Kinder, ganz viele Kinder, untersucht, indem man ihnen eine Aufgabe gegeben hat, kleine Fotos zu sortieren. Fotos von Tieren verschiedener Spezies und von Menschen mit verschiedenen Hautfarben oder verschiedenen Ethnien. Und die Aufgabe für die Kinder war einfach: Sortiert diese Karten. Das war alles, was man ihnen gesagt hat.
Und dann hat man festgestellt, dass Kinder, die beim Sortieren besonders große Abstände zwischen Karten mit Tieren und Karten mit Menschen gelegt hatten, die hatten auch besonders große Abstände gelegt zwischen Bildern von Menschen mit verschiedenen Ethnien. Also man hat hier quasi eine Vorform von Rassismus und Sexismus, die sich überlappen, festgestellt.
Und Forschung, die darauf folgte dann, das nennt sich dann Interspecies Model of Prejudice oder Social Dominance Orientation, da gibt es diverse Fachausdrücke für, die das immer wieder bestätigt. Also dass dieses diskriminierende Denken gegenüber verschiedenen Ethnien, Geschlechtern, aber auch eben Tieren miteinander zusammenhängt. Und deshalb, glaube ich, ist es nicht falsch zu sagen, dass man sozusagen am Tier erlernen kann zu diskriminieren, auch in anderen Bereichen. Oder umgekehrt: Wenn wir quasi lernen, rücksichtsvoller gegenüber Tieren zu handeln, dass das auch einen Einfluss hat auf andere Dimensionen von diskriminierendem oder auch nicht diskriminierendem Denken und Handeln.
[00:54:25] Stephan: Gewissermaßen fände ich auch, das wäre die schönste Lösung für das Problem von Tierleid. Und wir reden jetzt einfach erst mal über Tierleid, vor allem in der Industrie – man könnte noch eine weitere Diskussion über Wildtierleid haben – die schönste Lösung wäre, wenn wir achtsamer werden, wenn wir uns das präsent machen, wenn wir deswegen anders entscheiden zu handeln.
Aber wie optimistisch bist du, dass das auch tatsächlich der realistischste Lösungsweg ist? Oder denkst du eher: Vielleicht finden wir am Ende eine technologische Lösung für ein moralisches Problem? Nämlich, dass wir zum Beispiel die Fleischalternativen noch viel besser machen oder eben tatsächliches Fleisch, aber eben In-vitro-Fleisch dann züchten, wofür kein Tier sterben muss. Und das dann auch noch so günstig – das ist eben auch ein entscheidender Faktor – dass selbst Leute, die indifferent gegenüber Tierleid sind, das konsumieren?
[00:55:19] Thilo: Ja, die Antwort auf deine Frage korreliert jetzt natürlich ein Stück weit mit meinem Menschenbild. Und da kann ich irren, aber um ehrlich zu sein: Meine Hoffnung auf ethische Aufklärung und dementsprechend nachfolgendes Handeln ist sehr, sehr klein. Also ich will nicht sagen, dass das kein Prozess ist, der möglich ist. Aber es ist kein Prozess, der skaliert, zumindest in den Dimensionen, die wir bräuchten. Weil, wir haben ja eine gewisse Dringlichkeit.
Es gibt ja – wir haben jetzt viel über das tierethische Problem gesprochen – aber es gibt quasi eine ökologische Notwendigkeit für unser eigenes Überleben auf Dauer, dass wir Tierindustrie runterschrauben, massiv reduzieren. Eine ökologische Notwendigkeit und Dringlichkeit. Und das heißt: Wir brauchen einen Ansatz, der skaliert. Und diese Skalierung kriegen wir nicht durch ethische Aufklärung hin, sondern durch das, was du als zweites genannt hast: Den Markt, der entsprechend über technologische Innovationen Alternativen anbietet, die günstiger sind und die gleichen Bedürfnisse bedient, die mit tierischen Produkten in Verbindung stehen. Ob das gelingt, weiß ich nicht. Aber meine Hoffnung ist vielmehr auf diesen Pfad quasi gesetzt. Also auf den Pfad, dass wir technologisch in Vitro-Fleisch herstellen können, was dann auch noch günstiger wird als quasi das Fleisch, was vom Tier kommt.
[00:56:53] Stephan: Ja, meine Intuition ist auch eine ganz ähnliche. Ich vermute, dieser tierethische Ansatz – oder wir müssen es auch gar nicht Tierethik nennen, in dem Sinne, dass es keine ausgefeilte Theorie sein muss – aber dieser Ansatz ist vielleicht schon insofern wichtig, als dass auch der Antrieb oder die Motivation für diese technologischen Ansätze, dass dieser Antrieb für die technologischen Ansätze oft moralischer ist. Also In-vitro-Fleisch oder andere Fleischersatzprodukte wurden schon auch zu einem guten Maß deswegen entwickelt und vorangetrieben, weil es Leute gibt, die das als beste Lösung für das Problem des Tierleids sehen.
[00:57:37] Thilo: Ja, da stimme ich dir absolut zu. Das ist natürlich wichtig, ja.
[00:57:40] Stephan: Vielleicht sollte man noch dazu sagen: Es gibt natürlich schon auch hilfreiche Öffentlichkeitsarbeit. Ich denke, es stimmt schon, dass wir nicht durch Öffentlichkeitsarbeit das so gut skalieren können, dass wir jeden davon überzeugen können, sich pflanzenbasiert zu ernähren und das Problem so beseitigen, aber neben der Vorantreibung von solchen technologischen Lösungen gibt es schon auch immer wieder gute Beispiele davon, wie das zum Beispiel auch hilfreich sein kann, wenn man Unternehmen gezielt unter Druck setzt.
Wenn man sich vielleicht gezielt wendet an eine große Supermarktkette und dann wenigstens dafür sorgt, dass die Eier aus etwas besseren Betrieben kommen. Und wenn die Kosten für die Supermarktkette kleiner sind als der potenzielle Imageverlust, dann kann das immer noch nützlich sein. Insofern vielleicht das als ein positiver Punkt und das, was man schon auch der Öffentlichkeitsarbeit zugestehen muss, neben diesem überhaupt: Dass es manche Leute eben doch erreicht und Motivation bereitstellt. Und du hast das Buch ja eben auch geschrieben. Das ist ja auch eine Art der Öffentlichkeitsarbeit und führt eben schon dazu, dass es zumindest bei manchen auf Anklang stößt.
[00:58:52] Thilo: Ja, ich gebe dir absolut recht. Und ich bin auch der Letzte, der nicht auch diese, sozusagen, ethischen Bemühungen nicht unterstützen wollte. Ganz im Gegenteil. Es ist wirklich nur: Wenn man sich in so einem globalen Denken quasi diese Frage nach der Effizienz stellt, dann glaube ich schon, dass der Impact hoffentlich von In-vitro-Fleisch dem überwiegt von Unternehmenskampagnen, Öffentlichkeitsarbeit, Protesten etc. etc. Aber das heißt auf keinen Fall, dass man das jetzt aufhören sollte. Ganz im Gegenteil. Man muss es eigentlich noch viel mehr intensivieren.
[00:59:29] Stephan: Und der ganze Bereich ist unterfinanziert im Vergleich zu vielen anderen wichtigen Problemen. Und wenn wir das nur ansatzweise versuchen zu quantifizieren, wie viel Leid das ist, wie günstig wir Tieren helfen können, sozusagen, dann ja, das ist schwer zu begreifen, die Skalen, in denen wir uns dort bewegen.
Warum stößt das bei manchen Menschen auf Anklang, diese tierethischen Ansätze, diese Öffentlichkeitsarbeit? Liegt das einfach an unterschiedlichen Veranlagungen oder an einer unterschiedlichen Sozialisation? Was ist das?
[01:00:00] Thilo: Ja, das sind ganz, ganz viele Aspekte. Man kann ja etwa beobachten, dass, ja, die Geschlechter sehr unterschiedlich darauf reagieren. Also, dass Frauen viel stärker dadurch angesprochen werden als Männer. Bei Männern ist, ja, häufig die eigene Identität auch sehr stark verknüpft oder dieses Bild von Maskulinität verknüpft mit dem Konsum von Fleisch beispielsweise. Also häufig kann auch so eine Umstellung wie etwa hin zu einer mehr pflanzenbetonten oder sogar pflanzenbasierten Ernährung, wie so eine Art symbolische Bedrohung für das, wofür man selbst steht, mit seiner Identität oder mit dem, was man tut, gesehen werden.
Letztendlich, ja, sind es auch so offensichtliche Faktoren, wie dass auch Empathiefähigkeit unterschiedlich ausgeprägt ist. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen dahingehend, inwiefern man Tieren zugesteht, gewisse mentale Fähigkeiten zu haben oder auch so etwas wie Schmerzempfinden. Das nennt sich in der Forschung Mind Denial. Das ist auch sehr unterschiedlich ausgeprägt, wie Menschen hier quasi, was für ein Tierbild sie gewissermaßen haben.
Es hängt sehr stark auch von Offenheit generell ab. Also, es gibt ja Openness als Faktor in der Persönlichkeitsforschung und Menschen, die stärker konservativ sind, haben eben eine geringere Openness und sind daher skeptischer gegenüber, ja, neuen Verhaltensweisen, neuen Produkten, neuen Arten, auf die Welt zu blicken, was auch immer. Hier ist es so, dass Menschen mit mehr Openness natürlich dem Thema gegenüber viel offener stehen.
Dann ist es auch so, dass zum Beispiel so subtile Dinge wie: „Hat man ein Haustier oder nicht und hat dadurch eine gewisse Tierbeziehung“, dass das auch dann so distanziertere Tierbeziehungen, wie zum Beispiel zu Nutztieren, beeinflusst.
Also, lange Rede, kurzer Sinn: Es gibt ganz, ganz viele Aspekte, die das beeinflussen, ob jemand empfänglich oder weniger empfänglich dafür ist.
[01:02:09] Stephan: Genau. Also, viele Persönlichkeitsaspekte und wahrscheinlich auch viele kontextuale Aspekte. Und ob man das Gefühl hat, man ist irgendwie in einem Austausch oder ist das jetzt zu debattenhaft und dann mache ich vielleicht lieber zu oder ob man das Gefühl hat, das berührt die Identität direkt sehr und so weiter und so fort.
Und in deinem Buch sind ja auch die verschiedenen Rechtfertigungsmechanismen von eben dieser „euphemistischen Sprache“ über, „man beantwortet das eine Unrecht mit dem anderen“, als würde es irgendwie das negieren oder der „selektiven Aufmerksamkeit“; das ist alles angesprochen. Und ich würde das Buch unseren Hörerinnen und Hörern ans Herz legen. Es heißt Was sich am Fleisch entscheidet.
Hast du noch andere Bücher oder Filme oder irgendetwas, was du empfehlen möchtest?
[01:02:56] Thilo: Ich hatte Earthlings erwähnt als Dokumentation, die mich damals sehr beeindruckt hat. Es gibt einen neueren Film, der aber letztendlich von der Machart genauso ist. Er heißt Dominion. Das ist aber auch wirklich harte Kost. Aber nichtsdestotrotz wichtig, sich das auch anzuschauen. Es gibt viele gute und mittelgute Bücher. Schwierig, eine direkte Empfehlung auszusprechen. Vielleicht…
[01:03:25] Stephan: Im Englischen gäbe es noch Animal Liberation Now, vielleicht, von Peter Singer.
[01:03:29] Thilo: Ja, genau, das ist natürlich der Klassiker.
[01:03:30] Stephan: …was neu aufgelegt wurde.
[01:03:31] Thilo: Genau, der Peter hat es gerade neu aufgelegt. Ja, ansonsten gibt es… also ein Buch, das gar nicht jetzt sich so direkt mit Tierethik beschäftigt, aber es doch sehr stark schreibt. Es heißt How to Survive a Pandemic. Das hat mich unglaublich beeindruckt. Da geht es sehr viel um Corona, aber auch um andere Zoonosen und wie diese Zoonosen letztendlich ihren Ursprung haben in einem gewaltvollen Mensch-Tier-Verhältnis. Aber da geht es gar nicht um Philosophie. Also das ist wirklich… Ja, das ist letztendlich ein medizinisches Buch, aber unglaublich beeindruckend. Das kann ich wirklich empfehlen. Das hat, glaube ich, 900 Seiten oder so, ist ein Riesenbuch, aber ich habe es verschlungen, weil ich das so beeindruckend fand und auch bedrohlich und beängstigend ein Stück weit. Ja, so aus dem Stegreif.
[01:04:17] Stephan: Ich werde noch ein, zwei weitere verlinken, die sich eben mit Ansätzen wie In-vitro-Fleisch beschäftigen, damit man auch den Zugang dazu vielleicht nochmal hat und sich da weiter informieren kann.
Vielleicht, weil es jetzt nicht alles ganz heitere Sachen sind, die wir besprochen haben, zum Abschluss noch eine leichtere Frage an dich: Du machst gerne Extremsport mit dem Fahrrad, unter anderem. Wenn du stundenlang auf dem Fahrrad bist, was denkst du dann?
[01:04:44] Thilo: Ja, also die ganz extremen Sachen, die gehören leider tatsächlich jetzt auch schon seit einer Weile der Vergangenheit an, weil ich eine Verletzung habe, die mich leider etwas länger beschäftigt. Aber ja, was denke ich dort?
Ich genieße es, gesund und fit zu sein. Ich denke ehrlich gesagt gar nicht so viel nach. Ich mag die Freiheit, ja, hunderte von Kilometern fahren zu können und ich bin manchmal traurig, wie wenig Wälder es noch gibt, wie viele Autos auf den Straßen sind. Aber letztendlich, ja, Freiheit ist etwas sehr wichtiges und sich vorzustellen, dass das eingeschränkt ist und sei es auf so drastische Weise, wie es für viele Tiere eingeschränkt ist, das ist, ja, schwierig, schwierig sich vorzustellen.
[01:05:43] Stephan: Thilo, danke dir für deine Arbeit und danke, dass du dir Zeit genommen hast für dieses Gespräch.
[01:05:50] Thilo: Ja, danke, dass ich hier sein durfte.